kicker

Kickers Emden gleich Geheimfavorit? Rießelmann bremst

Traditionsklub möchte mittelfristig in den Profifußball

Aufsteiger Emden gleich Geheimfavorit? Rießelmann drückt auf die Bremse

Starke Seehafenstädter: Kickers Emden wurde in der Oberliga Niedersachsen souverän Meister.

Starke Seehafenstädter: Kickers Emden wurde in der Oberliga Niedersachsen souverän Meister. IMAGO/Jens Doden

MEHR ZUR OBERLIGA NIEDERSACHSEN

Beim 4:2 gegen den VfV Hildesheim hat der BSV Kickers Emden am Samstagabend den 18. Sieg in Serie geholt. Feiern durften die Emder aber schon am Wochenende zuvor, denn durch den 1:0-Erfolg bei Germania Egestorf-Langreder konnten sie frühzeitig den Wiederaufstieg in die Regionalliga Nord klarmachen.

Ein Erfolg, der vor zwölf Monaten nicht zwingend zu erwarten war, denn in der Saison 2022/23 kassierte Kickers in der vierten Liga häufig herbe Klatschen und stieg chancenlos ab. Im Frühjahr 2023 stand der Klub aus Ostfriesland vor einem Scherbenhaufen, denn finanziell drückten die Verbindlichkeiten und sportlich wollten die wenigen Leistungsträger wie Stürmer Tido Steffens (aktuell 23 Saisontreffer) das Weite suchen.

Vollends geändert hat sich wenig später die Perspektive des Klubs durch den Einstieg von Henning Rießelmann und seiner Agentur "Onside", die für zahlreiche Profi-Klubs Trainingslager und Testspiele organisiert. Zum Kreis der Vertragspartner gehören unter anderem der FC Liverpool, Borussia Dortmund, der VfB Stuttgart und Werder Bremen. Rießelmann hat den BSV wieder in die Spur geführt und gemeinsam mit Trainer Stefan Emmerling einen Kader zusammengestellt, der nach etwas Anlaufzeit die Oberliga Niedersachsen dominiert hat.

Podolski rührt die Werbetrommel

Während es sportlich ab Mitte der Hinrunde ausgezeichnet lief, haperte es beim BSV lange noch neben dem Platz. Der Grund: Immer wieder kamen alte Verbindlichkeiten auf den Tisch, die die eigentlich schon für den Herbst anvisierte Ausgliederung der ersten Mannschaft mehrmals verhinderten. Im Dezember initiierte der Klub deshalb eine Retter-Kampagne, für die auch Lukas Podolski die Werbetrommel rührte. Ende Dezember gab Rießelmann schließlich die Zusage, in der Seehafenstadt weiterhin an Bord zu bleiben. Die Ausgliederung in eine GmbH, an der "Onside" dann 49 Prozent der Anteile übernehmen wird, soll nun im Mai erfolgen. Als deren Geschäftsführer wird Rießelmann fortan gemeinsam mit dem aktuellen Kapitän Bastian Dassel fungieren. Der 34-jährige Innenverteidiger beendet nach dieser Saison seine Karriere.

Rießelmanns Einstieg beim BSV ist für den Klub bis dato ein Segen. Der 41-Jährige hat von Sommer 2019 bis November 2022 Blau-Weiß Lohne trainiert und den Klub in dieser Zeit von der Landesliga bis in die Regionalliga geführt. Seine Vision in Emden: einen Traditionsklub wieder in die Erfolgsspur bringen. "Wir haben uns gefragt: 'Wo ist ein gallisches Dorf, das wir aus dem Dornröschenschlaf holen können?'", erzählt er im Gespräch mit dem kicker. Die Wahl von ihm und seinem "Onside"-Team fiel letztlich auf den BSV. Dort, so Rießelmann, sei "der Patient klinisch tot gewesen. Wir wollten ihn wieder zum Leben erwecken und werden nun dafür sorgen, dass er mit beiden Beinen im Leben steht".

Zu Beginn seines Engagements stieß Rießelmann in Ostfriesland partiell allerdings auch die für den Landstrich nicht unübliche Skepsis entgegen. Schließlich gab es bei den Emdern in der Vergangenheit schon den ein oder anderen Geldgeber. Nicht immer ging dies für den Klub letztlich gut aus. Den großen Reibach, versichert Rießelmann, peile er in Zukunft nicht mit dem BSV an. "Ich bin einfach fußballverückt und liebe es, einen Verein aufzubauen", betont er. "Das letzte, was ich mache, ist damit Geld zu verdienen. Das ist einfach eine Passion."

Kickers Emden ist kein Verein für Kaviar und Schampus, sondern ein Arbeiterverein.

Henning Rießelmann

Für die Verbesserung der Strukturen konnte Rießelmanns Riege mit ihren Kontakten namhafte Sponsoren für den BSV gewinnen. Auf der Brust wirbt "Schauinslandreisen", auf dem Ärmel Marc Kosicke, der unter anderem Jürgen Klopp berät, mit seiner Stiftung "HBUFC". Die DNA des Klubs soll auf keinen Fall verändert werden. Wenngleich Rießelmann durch seine Agentur die große Fußballwelt kennt, setzt er auf Bodenständigkeit. Seine Devise: "Kickers Emden ist kein Verein für Kaviar und Schampus, sondern ein Arbeiterverein." Das Tragen einer Rolex am Arm, beteuert der 41-Jährige, liege ihm völlig fern. Stattdessen laufe er viel lieber im Trainingsanzug des Klubs herum. Sein Lieblingsessen: Currywurst mit Pommes-Mayo. Und passend zur Nordseeküste: "Fischbrötchen liebe ich auch."

Erste Modernisierungen gab es in dieser Saison bereits bei den Trainingsbedingungen und am Ostfriesland-Stadion. In diesem sorgte ab dem Herbst allerdings immer wieder der Platz für Probleme - altbekannte Sorgen in Emden. Im Sommer soll dieser nun ausgiebig saniert werden. Deutlich geringer wiederum werden die Umbauarbeiten am Kader ausfallen. Das Grundgerüst für die Regionalliga wurde bereits im vergangenen Sommer geschaffen. Vor allem mit den Transfers von Kai-Sotirios Kaissis, Dennis Engel, Fabian Herbst (alle VfB Oldenburg) und Pascal Steinwender (Teutonia Ottensen).

Junge Spieler aus der Regionalliga

Eine äußerst starke Saison haben darüber hinaus bisher Tobias Steffen (18 Treffer, kam von Atlas Delmenhorst) und David Schiller (18 Tore, Blau-Weiß Papenburg) hingelegt. Bei der Zusammenstellung des Teams haben die Emder im vorherigen Sommer auf die regionale Komponente geachtet. 17 Spieler besitzen ihre Wurzeln in Ostfriesland. Verpflichtet hat der BSV für die kommende Saison mit Linksverteidiger Felix Boelter (19, Carl Zeiss Jena), Rechtsverteidiger Luis Podolski (19, Hannover 96) und Stürmer Joshua Dudock (18, Werder Bremen) bisher drei junge Spieler. Für das zentrale Mittelfeld kommt mit Marten-Heiko Schmidt (28, Weiche Flensburg) ein weiterer Ex-Oldenburger an den Dollart. Mit Michael Igwe (21) von Teutonia Ottensen ist auch schon eine weitere Offensivkraft gefunden. Angedacht ist derweil noch eine Verstärkung für die Innenverteidigung. Darüber hinaus wird aus der eigenen U 19 Stürmer Jan Sabath (19) einen Platz im Kader erhalten.

Kein Thema sind hingegen Marek Janssen und Christopher Schepp, die beiden Stürmer des SV Meppen. Rießelmann hat beide einst in Lohne trainiert, ist mit ihnen freundschaftlich verbunden und berät sie in ihrer Karriereplanung. Daher wurde in den vergangenen Monaten im Nordwesten auch hin und wieder gemunkelt, er könne sie für sein ambitioniertes Projekt nach der Saison nach Emden lotsen wollen. "Das wird nicht passieren", stellt er nun klar. "Dann wäre ich ein schlechter Freund und ein schlechter Wegbegleiter. Schließlich möchte ich, dass sie maximal hoch Fußballspielen."

Die steile Entwicklung in Emden ist freilich auch der Konkurrenz nicht entgangen. Mitunter wird der BSV schon als Geheimfavorit auf die Meisterschaft in der kommenden Saison gehandelt. Davon möchte Rießelmann allerdings nicht viel wissen. Er verweist auf die "sehr starke Regionalliga", in der Demut gefordert sei. Das erste Ziel: "Ganz klar der Klassenerhalt."

Gleichwohl: In Emden wurde in den vergangenen Monaten wieder die Euphorie um Kickers entfacht. Liebend gerne denken die Fans an die Saison 2008/09 zurück, als der BSV in der 3. Liga gegen Kaliber wie Fortuna Düsseldorf, Union Berlin oder Dynamo Dresden gewonnen hat, ehe der Klub sich aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage zurückziehen musste. Die Regionalliga soll auch zukünftig nicht das Ende der Fahnenstange sein. Aus der Ambition, den Klub mit etwas Anlaufzeit mittelfristig zurück in den Profifußball zurückzuführen, macht Rießelmann keinen Hehl.

Karsten Lübben

Meister der Regionalliga Nord: Wolfsburger Rekordsieger, Lübeck mit bestem Punkteschnitt