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Nachruf auf Pelé: Der König ist unsterblich

Nachruf auf Fußball-Ikone

Pelé: Der König ist unsterblich

Hat im Weltfußball Spuren hinterlassen, die unauslöschlich sind: Pelé.

Hat im Weltfußball Spuren hinterlassen, die unauslöschlich sind: Pelé. imago images

Einmal, 1963 war das, zogen sie ihm sogar die Hosen aus. Ein verzweifelter Versuch, Pelé zu stoppen. Es ging um alles, für Gegner Boca Juniors um den ersten Sieg in Südamerikas Meisterliga, für den FC Santos um die Titelverteidigung. Im Final-Rückspiel also rissen ihm die Argentinier von Boca die Hose runter, doch Pelé, damals 22 Jahre jung, ließ dies kalt. Fix die Hose gewechselt, dann das Tor, natürlich das Siegtor: auswärts, in Argentinien, in der Hölle der Bombonera.

Im Jahr zuvor hatte der Wundermann Santos zum ersten Titel in dieser Copa Libertadores geführt. Nun hatte Pelé, in der Höhle des Löwen, diesen Triumph wiederholt. "Der erste Sieg war die Taufe, aber die Titel-Verteidigung ein Jahr später war die Bestätigung unseres Erfolges und damit die Offenbarung", erinnerte sich Pelé später.

Beim ersten Tor war er 15

Zum Zeitpunkt dieser Offenbarung war er schon zweimaliger Weltmeister. Bei der WM 1958 in Schweden war er zum Fußballgott aufgestiegen, 17 Jahre und 249 Tage alt war er beim 5:2 im Finale über die Gastgeber - dennoch traf er zweimal. Schon am 7. September 1956 hatte er für Santos sein erstes Tor gemacht. Im allerersten Spiel. Mit 15.

WM-Finals 1958 und 1970

Den Kunstnamen Pelé hatte sich Edson Arantes do Nascimento einst als Kind selbst geschaffen: durch eine ungewollte Verballhornung bei der Nennung des Provinz-Fußballers Bilé.

Als er am 19. November 1969 sein 1000. Tor schoss, natürlich im Tempel Maracana, läuteten in Brasilien die Kirchenglocken. Der Treffer verdrängte in der Heimat die zweite Mondlandung von den Titelseiten. Bei der WM 1970 in Mexiko folgte die ultimative Krönung seiner Fußballkunst, der dritte WM-Titel. 1962 war er, weil verletzt, ja nur zweimal zum Einsatz gekommen. 1970 aber tanzten sich Pelé und die Seleçao in nie dagewesener Form zum Titel. Das Bild des jubelnden Helden in den Armen Jairzinhos ist längst eine Ikone.

Unerreicht ist auch der Zauber, der von Pelés Kunst ausging: Erinnern Cristiano Ronaldos Tore im Vergleich dazu nicht oft denen eines Roboters? Messi ist jetzt zwar auch Weltmeister, aber eben "nur" einmal.

Pelé aber hatte alles, Titel und Tore: Einmal erzielte "O Rei", der König, in einem Spiel acht Treffer, 93-mal gelang ihm ein Dreierpack, neunmal in Folge war er Liga-Torschützenkönig in Brasilien, in 92 Länderspielen traf er 77-mal. Jahrzehnte später wurde er zum Weltfußballer des 20. Jahrhunderts ernannt.

Beckenbauer spielte den Ball - und forderte ihn nicht zurück

"Er war der Größte, den ich je sah", adelte selbst der große Argentinier Cesar Luis Menotti. "Pelé war der kompletteste Fußballer aller Zeiten", lobte Günter Netzer. "Er war für mich ein Traum", schwelgte einst Franz Beckenbauer, der 1977 mit Pelé und New York Cosmos US-Meister wurde. Es sollte der letzte Titel für Pelé werden. 1281 Treffer in 1363 Spielen lagen da hinter ihm. Wobei die Statistiken am Ende etwas ausfransen, was letztlich aber irrelevant ist.

Relevant ist: Selbst Beckenbauer, wie dieser noch Jahrzehnte später erklärte, hatte den Teamkollegen Pelé einst "bestaunt". Selbst ein Beckenbauer war damals, in den 70ern bei Cosmos, nur Staffage für Pelé: "Ich habe ihm den Ball hin gespielt, doch ich habe ihn nicht zurückgefordert. Bei ihm nicht." Warum auch? Beckenbauer: "Selbst ich staunte, wie einer sich in seinem damals ja schon höheren Alter bewegen kann."

Franz Beckenbauer, Pelé

Einstige Teamkollegen und Freude: Pelé (re.) und Franz Beckenbauer. imago images

Angebot des FC Bayern abgelehnt

Ende der 1960er hatte der Wundermann übrigens ein Angebot des FC Bayern abgelehnt. Cosmos sagte er Jahre später zu, man hatte Pelé gelockt mit den Worten: "Wenn du zu Real Madrid oder Juventus Turin gehst, dann kannst du vielleicht einen weiteren Titel gewinnen. Wenn du zu uns kommst, kannst du ein ganzes Land erobern."

Und in der Tat: Erstmals überhaupt gaben sich beim "Soccer" Hollywoods damalige Superstars wie Robert Redford oder Barbara Streisand die Ehre. Alle wollten den (Fußball-)Missionar sehen. Selbst wenn er mal nicht spielte und nur auf der Tribüne saß.

1977 dann sein Abschiedsspiel. Cosmos gegen Santos, am 1. Oktober im Giants Stadium von New York. Übertragen in alle Welt, damals nicht üblich. Pelé spielte anfangs für Cosmos - und erzielte per Freistoß das letzte Tor seiner Karriere. Noch mal: Nummer 1281.

Pelé: "Ich habe alles mit Liebe getan"

Nach der Pause schlüpfte er ins Trikot seines FC Santos, bei dem über 20 Jahre zuvor alles begonnen hatte. Nach dem Abpfiff sagte Pelé: "Ich habe alles mit Liebe getan." Selbst der größte Sportler der Historie, Muhammad Ali, zollte dem König vor Ort Tribut: "Nun gibt es zwei, die die Größten sind."

Die Karriere des Königs: Ikone Pelé in Bildern

Doch so charmant Pelé international auftrat, und er jettete ja noch mit 75 durch die Welt und ließ sich, bestens honoriert, unnötige Fragen stellen zu Diego Maradona oder eben Messi und Ronaldo, so nonchalant stieß er in seiner Heimat viele immer wieder vor den Kopf. Dass daraus kaum Skandale wurden, verdankte er seinem Status als ewiger "Rei", als König für die Ewigkeit. Als der dunkelhäutige Ex-Dortmunder Tinga vor einigen Jahren mit Affengeräuschen gemobbt wurde, meinte Pelé, Tinga solle sich nicht so haben, so sei das eben im Fußball.

Er war wie alle: auch nur ein Mensch.

Ex-Mitspieler Tostao

Eine Gesellschaftsdebatte folgte, und einmal mehr zeigte sich, dass praktisch alle Brasilianer den unsterblichen Fußball-"König" verehrten, den der 1000 und mehr Tore - viele aber von dem "Post-Fußball"-Pelé enttäuscht waren. Von dem Pelé, der eine uneheliche Tochter erst nach viel Juristerei anerkannte, dessen politisches Intermezzo als Sportminister vielen übel aufstieß, weil: Plötzlich war der Strahlemann drin im Politik-Sumpf. Da wurde die Überfigur zum Sterblichen. Tostao, 1970 an der Seite Pelés selbst zum Weltmeister und zur Legende geworden, sah den Rummel um den Superstar stets nüchtern: "Er war wie alle: auch nur ein Mensch."

Aber einer, der strahlte wie sonst nur wenige: Sein ewig jugendliches Aussehen? Pelé: "Ändere nie deine Frisur!" Und dennoch: Einer kannte oder zumindest erkannte den König zunächst nicht: Papst Benedikt. Erst nach langwierigen "Verhandlungen" mit dessen Privatsekretär Georg Gänswein durfte Pelé 2005 in Köln rund eine halbe Stunde mit dem Papst sprechen.

Zum Ende hin schämte sich der König

Die letzten Jahre waren dann gezeichnet von Krankheiten und Krankenhausaufenthalten. 2021 war Pelé ein Tumor im Dickdarm entfernt worden, Anfang Dezember war er erneut ins Krankenhaus eingeliefert worden, die Meldungen überschlugen sich: von Anpassung der Medikamente bis Palliativstation war alles dabei. Doch die Krankenakte war schon zuvor lang gewesen: Rippenbrüche, Probleme an Wirbelsäule und Knie, Nierensteine, Harnweg-Infektion, Prostata-OP.

Auch einen Rollator benötigte der einstige Balljongleur seit längerem. Die Folge: Scham und Depressionen, wie sein Sohn Edinho Anfang 2020 offenbarte: "Man muss sich vorstellen: Er war immer eine imposante Figur. Und jetzt kann er nicht mehr richtig gehen. Es beschämt ihn." Die Seleçao erinnerte während der WM in Katar rund um jedes Spiel an Pelé, mit Statements und Bannern. Man wolle den WM-Titel auch für ihn, den König, gewinnen, sagten Neymar und Co. - das gelang nicht.

Am diesem Donnerstag, den 29. Dezember 2022,  ist Edson Arantes do Nascimento, der vielleicht besser Fußballspielen konnte als jeder andere Mensch vor und nach ihm, im Alter von 82 Jahren gestorben.

"O Rei" Pelé aber ist unsterblich.

Jörg Wolfrum

WM-Held Pelé