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Abbruch im Münchner Derby: Wie das Geschehen eskalierte

Verletzte nach Gewaltausbruch im Gästeblock

Abbruch im Münchner Derby: Wie das Geschehen eskalierte

Auch Pfefferspray kam am Samstag in Heimstetten zum Einsatz. Das Spiel wurde aus Sicherheitsgründen von Schiedsrichter Simon Schreiner abgebrochen.

Auch Pfefferspray kam am Samstag in Heimstetten zum Einsatz. Das Spiel wurde aus Sicherheitsgründen von Schiedsrichter Simon Schreiner abgebrochen. IMAGO/Lackovic

Als die Regionalliga-Partie in Kirchheim, Ortsteil Heimstetten, am Samstag kurz nach 15 Uhr endgültig abgebrochen wurde, stand ein erster Verlierer bereits fest: Der Fußball. Der nämlich rollte an diesem 22. Spieltag vor den rund 500 Zuschauern an der Ausweichspielstätte Heimstetten lediglich zwei Minuten lang, ehe andere Akteure das Feld übernahmen: Politik, Fans, Polizei. Mit einem hässlichen Ausgang.

Was bislang bekannt ist: Gegenstand der Auseinandersetzung, die letztendlich zu einem gewaltsamen Polizeieinsatz und dem Abbruch führte, war eine Zaunfahne, auf der die Aufschrift "FC Bayern Fanclub Kurdistan" die Flagge der nordirakischen Autonomen Region Kurdistan rahmt. Tatsächlich ist ein Fanclub aus dem kurdischen Erbil auch offiziell beim FC Bayern registriert. Die Fahne hatte bereits eine Vorgeschichte aus dem Hinspiel Ende Juli: Türkgücü bat damals im Stadion an der Grünwalder Straße um Entfernung. Vergeblich, die Bayern machten "von ihrem Hausrecht gebrauch", wie die Münchner Türken es in ihrem offiziellen Statement zu den Vorkommnissen am Samstag formulieren, und ließen sie hängen. Im Rückspiel nun war sie ursächlich für eine Spirale der Eskalation.

FC Bayern Fanclub Kurdistan

Der Auslöser der Eskalationsspirale: Eine Zaunfahne mit der Aufschrift "FC Bayern Fanclub Kurdistan". IMAGO/Beautiful Sports

Während Türkgücü davon spricht, Erkenntnisse darüber zu haben, dass besagte Zaunfahne "ausschließlich bei den Spielen gegen Türkgücü aufgerollt" werde, "wohl in der Hoffnung, die Fans zu provozieren", ist auf der Facebook-Seite des "Club Nr. 12", der Vereinigung aktiver Bayernfans, die Rede davon, dass sie "nicht zum ersten Mal bei einem Spiel der Bayern Amateure hing." Dennoch machen die Fans aus dem speziellen Kontext, in der sie zum Einsatz kommt, keinen Hehl: Die Fahne sei "als Statement von einigen Fans gegen von ihnen als Missstände in der Türkei wahrgenommenen Zustände zu verstehen, wie Rassismus gegen Kurden und Kurdinnen, eingeschränkte Meinungsfreiheit und politische Verfolgung".

Provokation vs. Statement

Was die eine Seite am Samstag also als nicht hinnehmbare Provokation verstand - auch vor dem Hintergrund des jüngsten Terroranschlags in Istanbul, der nach offizieller Version der türkischen Regierung kurdische Drahtzieher haben soll - war für andere Seite ein politisches Statement, das "weder beleidigend" gewesen sei noch "strafrechtlich relevante Symbolik" beinhalt habe.

Zumindest angemeldet war die Zaunfahne an diesem Tag nicht. Sie wurde nach Türkgücü-Angaben erst kurz nach Anpfiff entrollt, worauf der Heimverein seinerseits von seinem Hausrecht Gebrauch machen und sie entfernen lassen wollte. Was dann passierte, formuliert die Polizei in ihrer Mitteilung zu den Vorfällen wie folgt: "Aufgrund des Ausrollens des Banners kam es unmittelbar zu lautstarken und sehr emotionalen Reaktionen auf Seiten der Fans von Türkgücü München. Nun traten die eingesetzten Ordner an den Fanblock des FC Bayern München heran, um hier das Banner zu entfernen. Diese Ordner wurden daraufhin aus dem Fanblock heraus unmittelbar gewaltsam durch Schläge attackiert. Aufgrund dieses Übergriffes wurden nun Einsatzkräfte der Polizei an den dortigen Fanblock herangeführt."

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An diesem Punkt im Eskalationsverlauf gehen die Schilderungen der Parteien auseinander: Während Türkgücü davon spricht, dass sich die Bayern-Fans weigerten, die Fahne abzunehmen und dies letztlich den Polizeieinsatz zur Folge hatte, ist im "Club-Nr.-12"-Statement die Rede davon, dass man genau das nach Aufforderung hin getan und lediglich eine Herausgabe an die Polizei verweigert habe. In diesem Punkt bestätigt die Polizei die Fan-Version: "Das Banner wurde in der Folge von den Fans zusammengerafft und von mehreren Personen festgehalten", heißt es im Bericht. Die Partie war zu diesem Zeitpunkt bereits unterbrochen. 

Da Türkgücü wohl vermeiden wollte, dass die Zaunfahne bei Fortsetzung der Partie ein weiteres Mal gezeigt werden würde, entschied die Polizei - nach eigener Ansicht "vor allem um eine weitere Eskalation zu vermeiden" - dass sie aus dem Stadion gebracht werden müsse. Nachdem ein Versuch seitens der Polizei, das Problem "kommunikativ zu lösen", erfolglos blieb und auch die Androhung "unmittelbaren Zwangs" nicht fruchtete, wurde entschieden, die Fahne "mit einem polizeilichen Zugriff" zu entfernen. Über die Rechtmäßigkeit dieses Einsatzes gehen die Meinungen konsequent auseinander, der "Club Nr. 12" empfindet ihn als völlig unverhältnismäßig: Es habe zu diesem Zeitpunkt "keinerlei Provokation seitens der Bayernfans" mehr gegeben.

Pfefferspray und Schlagstock

Was dann folgte, ist unstrittig, da auf diversen Videos zu sehen, die im Netz kursieren: Ein massiver Einsatz von Pfefferspray gegen Fans, zudem wird ein Mann von einem Beamten bereits am Boden liegend mit dem Schlagstock mehrfach traktiert. Bei dem Einsatz kam offenbar auch ein Kind zu Schaden. So musste ein 11-jähriger Junge mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren werden. "Dazu mussten noch weitere Fans vor Ort oder im Nachgang sogar ebenfalls im Krankenhaus medizinisch versorgt werden", heißt es im Bericht der Bayernfans.

Die Polizei schreibt von "einer massiven Gegenwehr der betreffenden Fans", die letztlich zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock und nach bisherigem Erkenntnisstand zu neun Verletzten aus dem Fanlager des FC Bayern München und zehn verletzten Polizeibeamten führte. Einen "unverhältnismäßigen und extrem gewalttätigen Polizeieinsatz", nennen es hingegen die Fanvertreter, und das, "obwohl eine Weiterführung des Spiels zu diesem Zeitpunkt bereits überhaupt nicht mehr in Aussicht stand."

Tatsächlich werden sich die Behörden Fragen gefallen lassen müssen: Ist der Einsatz von Gewalt verhältnismäßig, um eine weder illegale, noch explizit beleidigende, aber offenbar als provozierend wahrgenommene Zaunfahne zu beschlagnahmen und so vermeintlich ein Regionalliga-Spiel durchzudrücken? So oder so: Erreicht wurde das durch den Polizeieinsatz nicht - auch wenn das Stück Stoff schließlich durch die Beamten sichergestellt wurde. Ermittelt wird nun wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung. Ein Ball rollte an diesem Tag im "ATS Sportpark" nicht mehr.

Jan Mauer

Die Stadien in der Regionalliga Bayern