Bundesliga (D)

Die Gewinner, die Verlierer: Herthas Camp im kicker-Check

Lukebakio, Boateng, Piatek & Co.

Die Gewinner, die Verlierer: Herthas Camp im Check

Wer hat überzeugt, wer nicht? Hertha und der neue Trainer Sandro Schwarz.

Wer hat überzeugt, wer nicht? Hertha und der neue Trainer Sandro Schwarz. IMAGO/Matthias Koch

Die Bedingungen im St. George’s Park, dem Trainingszentrum des englischen Fußballverbandes FA in der Grafschaft Staffordshire, waren vom Feinsten. Und trotz der Testspielniederlagen gegen Derby County (0:1), Nottingham Forest (1:3) und West Bromwich Albion (1:2) stellte Trainer Sandro Schwarz auch am Tag der Abreise nach zwölf Tagen intensiver Arbeit die inhaltlichen Fortschritte heraus: „Wir wissen, dass das weiter ein Prozess ist, in der Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen. Der ist auch nächste Woche nicht abgeschlossen, nur weil der Pokal losgeht. Dennoch siehst du Fortschritte, Entwicklung und immer mehr Automatismen."

Aber in manchen Sequenzen auch alte Muster, die Schwarz tilgen will. Bei den Profis gab es in den arbeitsreichen Tagen in England Überraschungen und Enttäuschungen. Der kicker macht den Check:

Die Gewinner

Marvin Plattenhardt (30): Seit 2014 bei Hertha - und so wichtig wie nie. Seit Freitag als Nachfolger von Dedryck Boyata neuer Kapitän, dazu unumstrittener Stammspieler links in der Viererkette und mit berechtigten Aussichten auf eine Vertragsverlängerung über 2023 hinaus: Der WM-Teilnehmer von 2018, in der Vorsaison unter Tayfun Korkut fast abgemeldet und unter Felix Magath wie Phönix aus der Asche emporgestiegen, genießt die volle Rückendeckung des neuen Trainers. "Wir wollten eine Veränderung haben. Das war keine Entscheidung gegen Dedryck, sondern für Platte, denn er hat einen extrem hohen Stellenwert in der Mannschaft und im Verein", erklärt Schwarz zur Umbesetzung der Kapitänsposition. Plattenhardt sagt: „Ich bleibe als Mensch der, der ich bin. Ich bin nicht der, der jedes Mal eine Riesen-Ansprache macht oder irgendwie rumschreit. Ich bin ein ruhiger und gelassener Typ." Und einer, der jetzt mehr Verantwortung hat und den der Klub dadurch auch aus seiner Komfortzone zu holen hofft.

Kevin-Prince Boateng (35): Nicht Lucas Tousart, nicht Vladimir Darida - Boateng startete bei der Generalprobe gegen West Bromwich (1:2) auf der Acht als Nebenmann des gesetzten Suat Serdar. "Er haut raus, was er im Tank hat", sagt Schwarz über Boateng. "Er spielt nicht auf Ankommen, das finde ich gut." Boateng, knapp fünf Kilogramm leichter als im Sommer 2021, als er aus Monza nach Berlin zurückkam, hat eine bessere Grundfitness als vor zwölf Monaten. Das macht ihn belastbarer. Er hat sich erkennbar etwas vorgenommen für seine letzte Saison. Und er ist - als rechte Hand von Plattenhardt - neuer Vize-Kapitän. Sein Einfluss war auch vorher schon groß. Und womöglich bekommt er in der neuen Saison doch mehr Spielanteile als von manchen erwartet.

Dodi Lukebakio (24): Kam nach seiner Wolfsburg-Leihe als sicherer Verkaufskandidat zurück - und geht als Stammspieler in Herthas letzte Vorbereitungswoche. Bringt seinen Trainer wegen taktischer Versäumnisse punktuell immer noch in Rage, aber immer öfter auch wieder seine Gegenspieler in die Bredouille. Die zutreffende Erkenntnis von Geschäftsführer Fredi Bobic: "Dodi haut sich rein und bleibt weniger liegen als früher." Der Belgier hat erkennbar Lust auf Hertha. Sein Tempo, sein linker Fuß, sein Eins-gegen-eins - all das tut dem Team gut. Ist aktuell als Rechtsaußen klar in der Startelf. Und wenn Marco Richter (nach OP wegen eines Hodentumors) in wenigen Wochen zurückkommt, wird es einen interessanten Konkurrenzkampf geben. Lukebakios Vorteil: Er kann auch als Linksaußen ran oder in einem 4-4-2 als zweite Spitze.

Derry Scherhant (19): Unbekümmert, mutig im Eins-gegen-eins, guter Abschluss, technisch stark: Der Instinktfußballer ist ein Rohdiamant. War im Testspiel gegen Premier-League-Aufsteiger Nottingham Forest (1:3) nicht nur wegen seines Tores mit Abstand auffälligster Berliner. Legte keine klassische NLZ-Karriere hin, sondern kam als Quereinsteiger 2020 vom Berliner SC zu Hertha und legte in der Vorsaison in seinem Premieren-Jahr in der Regionalliga Nordost für Herthas U 23 bemerkenswerte Zahlen auf: 16 Tore, 8 Assists in 34 Einsätzen. Muss körperlich zulegen, aber bringt fußballerisch ganz viel mit - und ist bei den Profis derzeit womöglich auf dem Flügel sogar besser aufgehoben als im Sturmzentrum. Bobic schwärmt: "Derry hat den Hunger und bringt unheimlich vieles mit. Wenn er dranbleibt und hart arbeitet, kann er in den nächsten ein, zwei Jahren bei uns eine Überraschung werden."

Deyovaisio Zeefuik (24): Als Rechtsverteidiger in der Vergangenheit oft hektisch - in der aktuellen Vorbereitung ausschließlich im Zentrum ausprobiert und dort positiv aufgefallen: als Sechser, Achter und im nichtöffentlichen Testspiel am Samstagvormittag gegen die U-23-Teams von Watford und West Bromwich (in Summe nach 90 Minuten 5:0) sogar als Innenverteidiger. "Deyo ist dynamisch, ein guter Fußballer, er bringt eine gute Körperlichkeit mit", sagt Schwarz. "Er ist fleißig und nimmt die Rolle an. Er hat sich nie unterkriegen lassen und ist sehr schnell aufnahmefähig, was neue Positionen angeht." Der Niederländer, in der Rückrunde an Championship-Klub Blackburn Rovers verliehen, bleibt ein Wechselkandidat. Aber er streckt erkennbar den Kopf raus. Bobic lobt: "Solche Spieler wollen wir haben, die diese Mentalität mitbringen, auf dem Platz jeden Tag alles zu geben. Damit sticht er brutal raus."

Die Verlierer

Krzysztof Piatek (27): Sucht weiterhin die Form, die ihn einst beim CFC Genua attraktiv genug für Milan machte. Der zweitteuerste Einkauf der Hertha-Geschichte spielte bei der Generalprobe gegen West Bromwich keine Minute. Den Job im Sturmzentrum teilten sich Torschütze Davie Selke, der neben seinem Treffer weitere gute Aktionen hatte, und Youngster Luca Wollschläger. Beim Anlaufen und im Festmachen von Bällen hat der Pole weiterhin Defizite. Und im Strafraum, seinem Biotop, bekommt er weiterhin zu wenig Bälle. Er konnte im England-Camp keine Argumente für sich liefern - und ist zusammen mit Omar Alderete weiterhin Verkaufskandidat Nummer 1.

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Dedryck Boyata (31): Binde weg - und bald auch der Stammplatz? Startete am Samstag gegen West Brom in der Innenverteidigung neben dem gesetzten Marc Oliver Kempf. Klar ist: Wenn Neuzugang Filip Uremovic fit ist, wird es ein enges Rennen. Und: Trainer Schwarz hält viel von Youngster Linus Gechter, der hinter Boyata und Uremovic in Lauerstellung liegt. Boyata will mit Belgien unbedingt zur WM. Ob er dafür Hertha noch als die beste Adresse ansieht, ist fraglich. Ein Verkauf des Ex-Kapitäns scheint immer wahrscheinlicher.

Dong-jun Lee (25): Comeback gegen Nottingham - und gleich wieder an den Adduktoren verletzt: Der südkoreanische Nationalspieler, im Winter geholt, kommt bei Hertha einfach nicht in Tritt. Fällt fürs Pokalspiel in Braunschweig definitiv aus. Und dürfte es auch danach sowohl auf dem rechten Flügel (gegen Lukebakio und Richter) als auch links (gegen Neuzugang Chidera Ejuke, Myziane Maolida und Scherhant) schwer haben.

Jurgen Ekkelenkamp (22): Der Vorjahres-Zugang verpasste angeschlagen Teile der Übungseinheiten im Trainingslager. Könnte als kreativer, torgefährlicher Achter neben Serdar dem Team eigentlich viel geben - aber ist aktuell ohne Selbstvertrauen und Rhythmus. Immerhin: Der Niederländer traf am Samstagvormittag gegen die U 23 von Watford. Ist aktuell auf der Acht aber hintendran im Konkurrenzkampf mit Boateng, Tousart und Darida und von der Startelf ein deutliches Stück weg. Von der erhofften Steigerung im zweiten Hertha-Jahr ist beim früheren Ajax-Spieler bisher nichts zu sehen.

Steffen Rohr

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