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"Ein nachhaltiges Projekt": Darum steckt Milan nicht in der großen Krise

Rossoneri brauchen dringend Serie-A-Punkte

"Ein nachhaltiges Projekt": Darum steckt Milan nicht in der großen Krise

Hat in dieser teils durchwachsenen Saison auch schon lauthals mit seinem Milan-Team gefeiert: Stefano Pioli.

Hat in dieser teils durchwachsenen Saison auch schon lauthals mit seinem Milan-Team gefeiert: Stefano Pioli. IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Unglaubliche 19 (!) Punkte hat Serie-A-Spitzenreiter Vorsprung auf den aktuellen Zweiten Lazio Rom, die dritte Meisterschaft für die Süditaliener ist elf Spieltage vor Rundenschluss wahrlich nur noch eine Frage der Zeit.

Klar ist obendrein: Ein solcher Erfolgslauf war im Vorfeld dieser Saison nicht abzusehen, schließlich hatten die Partenopei mit ihrem ausgeklügelten Spielstil unter Trainer Luciano Spalletti im Sommer hochklassige Leistungsträger wie Lorenzo Insigne (FC Toronto), Kalidou Koulibaly (FC Chelsea), Fabian Ruiz (PSG) oder auch Vereinsrekordtorschütze Dries Mertens (Galatasaray) verloren.

Das stellte Milan-Coach Stefano Pioli auf einer Pressekonferenz vor dem bevorstehenden Duell zwischen designiertem Meister und amtierenden Scudetto-Träger (Sonntag, 20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) ebenfalls hervor: "Ganz ehrlich: Als sie im Sommer so viele Leistungsträger verloren und 'nur' zwei starke Spieler (Khvicha Kvaratskhelia sowie Min-Jae Kim; Anm. d. Red.), die in unserem Fußball bis dato noch recht unbekannt waren, verpflichtet haben, war es schwer vorherzusagen, dass sie diesen Fußball spielen könnten."

"Niemand ist perfekt"

Die vier Duelle 2022/23

Doch der nach den goldenen Diego-Maradona-Jahren 1987 und 1990 auf den dritten Scudetto wartende Traditionsklub, der außerdem erst seit 2007/08 wieder Erstligist ist und einige Vize-Meisterschaft hinter Nordrivale Juventus zu verdauen gehabt hat, hat der Konkurrenz das Fürchten gelehrt. "Sie haben Beständigkeit, Stärke und eine hohe Qualität an den Tag gelegt - also all die Eigenschaften eines großartigen Teams", gestand Pioli nun.

Der Mailänder Coach wollte hier aber einen entscheidenden Punkt ergänzen: "Jedoch ... niemand ist perfekt oder unbesiegbar."

Damit lenkte der Trainer geschickt darauf ein, dass Napoli trotz der famosen Bilanz (22 Serie-A-Siege, 64:16 Tore) eben auch schon viermal geschlagen wurde. Einmal in der Champions-League-Gruppenphase nach bereits feststehenden K.-o.-Runden-Einzug (0:2 in Liverpool), einmal in der Coppa Italia (überraschendes Achtelfinal-Aus gegen Aufsteiger und Tabellenschlusslicht US Cremonese) sowie zweimal in der Liga (0:1 bei Inter Mailand und das 0:1 gegen Lazio). Interessant: Die letzten drei Pleiten ereigneten sich alle in diesem Jahr.

Rechenspiel mit Juventus

Warum also liegen die Süditaliener wirklich so uneinholbar vorn? Das liegt ganz klar am Zusammenspiel aus der neapolitanischen Konstanz gerade vor dem Jahreswechsel und dem immer wieder stotternden Auftreten der anderen Top-Klubs. Vereine wie Lazio (fünf Niederlagen), Inter als amtierender Pokalsieger (neun), Milan als amtierender Meister (sieben), die Roma (acht), Atalanta (acht) und Juventus (fünf) haben neben souveränen Wochen immer wieder auch Hänger eingestreut, die Napoli eiskalt für einen Ausreißer genutzt hat.

Selbst wenn man zum Beispiel die stolzen 15 Punkte Abzug für den Rekordmeister aus Turin gedanklich hinzurechnen würde, wären die Bianconeri als dann klarer Zweiter immer noch 15 Zähler hinter dem Fast-Champion.

Erklärungsansätze für das Milan-Loch

Rafael Leao (li.), Sandro Tonali (Mi.) und Stefano Pioli

In der Liga zuletzt akut schwächelnd unterwegs: Milan um Rafael Leao (li.), Sandro Tonali (Mi.), Stefano Pioli. IMAGO/Colorsport

Auch ein schneller Blick auf den Meister gibt direkt Auskünfte: Allein in diesem Jahr erlebten die Rossoneri so einige Nackenschläge - das Aus in der Coppa Italia (0:1 gegen Torino), ein 0:3 in der Supercoppa gegen Stadtrivale Inter, ein 0:4 bei Lazio, ein 2:5 gegen Sassuolo. Nur drei Dreier aus den letzten elf Serie-A-Partien zeugen von einer großen sportlichen Talfahrt. "Ich bin definitiv enttäuscht von unserer Arbeit", wurde Pioli deswegen kurz vor der Länderspielpause beim Gespräch mit "Sky Sport Italia" und dem 1:3 in Udine deutlich. Beim miesen Abschneiden zuletzt nahm sich der 57-Jährige nicht aus: "Das bedeutet auch, dass der Trainer einen schlechten Job gemacht hat."

Doch auch hier lohnt ein genauerer Blick: Die Mailänder verfügen weiterhin über einen sehr jungen Kader - nur logisch also, dass Profis wie die Verteidiger Pierre Kalulu (22) und Fikayo Tomori (25) sowie Mittelfeldlenker Sandro Tonali (22) immer mal wieder Leistungsdurchhänger hatten nach dem Scudetto-Jahr. Akteure wie der 22-jährige Belgier Charles de Ketelaere sind derweil im ersten Milan-Jahr noch nicht richtig angekommen - und auch Star-Angreifer Rafael Leao (23) kann nicht immer glänzen.

Er kann den Ball nicht immer so weit vor dem Tor nehmen und dann an fünf, sechs Spielern vorbeidribbeln.

Stefano Pioli über Rafael Leao

Dazu Coach Pioli: "Ich hab ihn gebeten, scharfsinniger zu sein, ein Stürmer zu sein. Manchmal ist er zu weit vom Tor entfernt. Er neigt manchmal einfach dazu, sich zu sehr auf den Ball zu fokussieren. Klar ist: Er kann den Ball nicht immer so weit vor dem Tor nehmen und dann an fünf, sechs Spielern vorbeidribbeln. Wir versuchen, ihn wieder näher vor das Tor zu bringen."

Außerdem hat in Keeper Mike Maignan der große Rückhalt aufgrund einer länger andauernden Verletzung viele Wochen gefehlt. Das alles macht die teils vielen Gegentore samt Niederlagen erklärbar. Pioli weiß: "Wir müssen es alle besser machen."

Purer Pioli-Optimismus

Was also liegt vor den Mailändern? Eine ganze Menge, wenn man den Worten des Trainers Glauben schenkt. "Es ist klar, dass wir die Liga nicht noch einmal gewinnen können, aber wir wollen diese Mini-Meisterschaft der Mannschaften gewinnen, die um einen Platz in der Champions League kämpfen", so Pioli über die Plätze zwei bis vier. Dass die aktuell nur mit knappen Vorsprung auf die Roma auf Rang vier stehenden Rossoneri das schaffen können, davon ist er überzeugt: "Ich trainiere eine sehr verantwortungsbewusste Mannschaft, wir werden die Fehler analysieren."

Darüber hinaus steht der stolze Klub aus der Lombardei nach dem aufgrund einer starken Defensivleistung (kein Gegentor in beiden Partien) souveränen Weiterkommen gegen Tottenham im Viertelfinale der Königsklasse, wo gleich weitere Duelle mit Napoli warten (12. und 18. April). Nach dem ersten Einzug in ein CL-Viertelfinale seit elf Jahren hofft die AC Mailand hier natürlich auf den großen Wurf. Pioli dazu: "Ich denke, dass nichts unmöglich ist. Unser Ziel ist es, in Europa unter die besten vier Teams zu kommen."

Und somit den Aufschwung Milans nach vielen tristen Jahren unter dem seit 2019 engagierten Coach weiter voranzutreiben: "Wir sind einer der wenigen Vereine mit einem nachhaltigen Projekt. Nur wenige Teams schaffen es, direkt wieder (die Meisterschaft; Anm. d. Red.) zu gewinnen und in Europa konkurrenzfähig zu sein. Das ist ein Sprung, den wir noch nicht gemeistert haben, aber dieses Jahr gibt uns auch die Chance, vieles genauer zu verstehen, um in Zukunft ein noch stärkerer Klub zu sein."

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