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"Es wirkte wie eine Familienfeier"

Sportfoto des Jahres 2022: Fotograf Marvin Ibo Güngör im Interview

"Es wirkte wie eine Familienfeier"

Das Sportfoto des Jahres 2022: Lionel Messi präsentiert den WM-Pokal.

Das Sportfoto des Jahres 2022: Lionel Messi präsentiert den WM-Pokal. Marvin Ibo Güngör

Mit 16 Jahren machte er seine ersten privaten Sportfotos bei einem Testspiel des Karlsruher SC. Heute lebt und arbeitet Güngör als freier Fotograf in Hannover, wo er auch Fotojournalismus studierte. Zu seinen Schwerpunkten gehört der Fußball, den er seit über zehn Jahren auch bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften begleitet.

Herr Güngör, Sie haben den Hauptpreis abgeräumt. Herzlichen Glückwunsch! Wie haben Sie davon erfahren?

Ich war beim Sport, als das Handy klingelte. Ich kannte die Nummer nicht und schrieb kurz zurück: Wer hat angerufen? Ist es wichtig? Als ich dann den Namen Sebastian Widmann las, hatte ich eine Vorahnung. Denn wenn zu diesem Zeitpunkt der Vorjahressieger des Wettbewerbs "Sportfoto des Jahres" anruft …

Und dann begannen Sie zu strahlen?

Ja, klar. Obwohl ich zugeben muss, dass ich schon ein kleines bisschen darauf spekuliert hatte, dass dieses Foto ein Kandidat sein könnte.

Danach wurden Angehörige und Freunde auf den Platz gelassen - es wirkte wie eine Familienfeier.

Marvin Ibo Güngör

Wie lautet Ihre Beschreibung dazu?

Das Foto entstand bei der Fußball-WM in Katar, die ich für die Agentur GES fotografierte. Im Finale am 18. Dezember im Lusail Stadium hatte Argentinien Frankreich mit 4:2 im Elfmeterschießen besiegt, ein echter Krimi. Danach wurden Angehörige und Freunde auf den Platz gelassen - es wirkte wie eine Familienfeier. Kapitän Lionel Messi wird von seinem Ex-Mitspieler Sergio Aguero auf die Schultern genommen und präsentiert den argentinischen Fans auf der Tribüne den Weltpokal.

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Es scheint schon etwas später zu sein, das Stadion hat sich geleert.

Ja, es sind bestimmt 30 Minuten seit der Siegerehrung vergangen. Ich dachte schon fast: Da kommt nichts mehr. Dann entwickelte sich eine neue Dynamik im Innenraum unter den versammelten Spielern, Familienangehörigen und Freunden.

Wo befinden Sie sich?

Ich stand direkt hinter der Werbebande, Gott sei Dank ganz vorne. Sonst hat man oft noch viele Kolleginnen und Kollegen vor sich. Der Druck von hinten nahm entsprechend zu - bis am Ende die Bande umfiel …

Die Szenerie erinnert total an Maradona, wie der 1986 in Mexiko als Weltmeister in ähnlicher Pose gefeiert wurde.

Marvin Ibo Güngör

Was macht dieses Bild für Sie persönlich so besonders?

Ich habe etwa 180 Auslösungen von dieser Szene. Aber diese hat als einzige einen optimalen, fast symmetrischen Aufbau. Der strahlende Messi mit dem Pokal genau in der Mitte, die zwei oben auf dem Tor, die jubelnde Menge ohne optische "Störfaktoren". Und natürlich ist es auch die Story, die das Turnier begleitet hat. Schafft es Messi, bei seiner fünften WM endlich Weltmeister zu werden? Er hat es geschafft. Und die Szenerie erinnert total an Maradona, wie der 1986 in Mexiko als Weltmeister in ähnlicher Pose gefeiert wurde. Dabei hätte ich das Endspiel fast gar nicht miterlebt.

Wieso das?

Im Viertelfinale wurde ich krank und flog nach Hause. Aber natürlich hat es gekitzelt. Als es mir besser ging, dachte ich: Wahrscheinlich werde ich es irgendwann bereuen, wenn ich nicht wieder hinfliege. Am Ende holt Messi das Ding, und ich verpasse ein gutes Foto. Also bin ich samstags um 17 Uhr geflogen, war am Finaltag um 4 Uhr in Doha, habe fünf Stunden geschlafen und bin weiter ins Stadion. Das Ende war natürlich überragend.

Die WM in Katar war umstritten. Wie haben Sie das Turnier erlebt?

Wie Menschenrechte und Arbeitsbedingungen in Katar wirklich sind, lässt sich auch vor Ort schwer einschätzen. Sicher ist es wichtig, weiter ein kritisches Auge auf das Land zu werfen. Die Bedingungen für Medienvertreter waren erwartbar gut. In der Gruppenphase war es möglich, zwei Spiele pro Tag zu fotografieren, was für eine WM bisher einmalig war und einen selbst an die Belastungsgrenze gebracht hat. Bei meiner ersten WM 2014 konnte ich elf Spiele verfolgen, in Katar trotz Krankheit 27.

Interview: Sabine Vögele

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