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Flick und die Systemfrage: "So weit sind wir noch nicht"

"Wir müssen einiges verbessern"

Flick und die Systemfrage: "So weit sind wir noch nicht"

Fünf vor zwölf? Hansi Flick steht mit der deutschen Nationalmannschaft mit dem Rücken zur Wand.

Fünf vor zwölf? Hansi Flick steht mit der deutschen Nationalmannschaft mit dem Rücken zur Wand. picture alliance/dpa

Aus Katar berichtet Karlheinz Wild

Mit der Analyse der 1:2-Niederlage gegen Japan hat Hansi Flick mit seinem Trainerteam sofort begonnen. Der Bundestrainer fand da auch "viele gute Szenen, die wir der Mannschaft zeigen und mitgeben können mit Blick auf Spanien". Solche gab es durchaus, gutes inklusive direktes Passspiel, das zu Kombinationen wurde, sowie einige beste Chancen, jedoch eben lediglich einen Treffer, obendrein per Strafstoß, den Ilkay Gündogan einschoss (33.).

Ein zweites Tor gelang nicht mehr, so dass Flick am Tag danach in einer vormittäglichen Videoschalte zusammenfassen musste: "Wir haben jetzt keinen Schuss mehr frei, den Fehlschuss hatten wir gestern." Die Vorgabe für die zweite Gruppenpartie am kommenden Sonntag ist damit klar. Ein Sieg muss her.

Dazu sind einige Verbesserungen notwendig. Die Qualität dafür sei vorhanden, meint der DFB-Chefcaoch, "aber da geht es darum, den Mut und Charakter zu haben, sich zu zeigen". Also müsse jeder Einzelne "das Spiel für sich besser gestalten und mehr am Spiel teilnehmen", sagte Flick, "von daher haben wir Einiges zu tun, wir müssen Einiges verbessern, um gegen Spanien unser Ziel zu erreichen", das heißt, die Chance für die letzte Begegnung in der Gruppe gegen Costa Rica zu wahren.

Ein Defizit, das auch Akteure wie Joshua Kimmich und Manuel Neuer bald nach dem Abpfiff noch im Stadion als fundamental ansprachen, war die Chancenverwertung. "Wenn man zwei, drei Hochkaräter hat, muss man das Spiel zumachen", bestätigte Flick, "diese Effizienz haben wir vermissen lassen und hintenraus zu viele Fehler gemacht." Die Last der Verantwortung für dieses Ergebnis wollte er aber nicht einem einzelnen Mannschaftsteil aufbürden, schon gar nicht einem Spieler allein.

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Niklas Süle, der an beiden Gegentreffern beteiligt war, hat Flick, so erklärte er es, auf die rechte Außenseite und Thilo Kehrer auf die Bank versetzt, weil der Dortmunder gut trainiert hatte. Intern würden dessen und alle die Fehler "klar" angesprochen, damit die Mannschaft gewinnbringend erfahre, "was wir uns vorgenommen haben und was dabei rumgekommen ist".

Grundsätzlich werde in der Offensive wie in der Defensive jeder Mann gebraucht, sagte Flick, "wir haben auch in der Defensive die Kompaktheit, die wir haben wollten, nicht herstellen können". Und da müsse jeder Abwehrspieler mit aller Konsequenz das eigene Tor verteidigen, um ein 1:0 nach Hause zu bringen. "Da muss man gut stehen." Doch dieses vereinte Verteidigen und Verschieben sowie abgestimmte Besetzen und Abschirmen der Räume kriegt die deutsche Mannschaft nicht hin, immer wieder dürfen die Gegner auf freier Wiese nach vorne durchstarten.

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Zur Heilung würden alle Rezepte durchgesprochen, sagte Flick, jede Personalie, jede Position. Auf die Idee, Joshua Kimmich wieder nach rechts außen in die Viererkette zu versetzen, ging der Bundestrainer nicht konkret ein. Eine klare Absage erteilte er einer Abkehr weg von der Viererkette hin zu einer Dreier- beziehungsweise Fünferreihe. "So weit sind wir noch nicht, dass wir unser System ändern", stellte Flick klar.

Auf die kicker-Frage, ob diese deutsche Nationalmannschaft im November 2022 wirklich so gut sei, wie es verbreitet wird, oder ob sie sich nicht eher in einem Lern- und Findungsprozess befinde, antwortete er: "Die Mannschaft hat mit Sicherheit noch Potenzial, das sie im Moment nicht ganz abruft." Dennoch glaube er, "dass wir eine gute Qualität haben".

Als Coach muss er in der aktuell heiklen Lage natürlich alle Zweifel bekämpfen und seine Auswahl starkreden. "Wir vertrauen der Mannschaft, wir sind positiv", betonte Flick, "und wir wollen auch schauen, dass wir dieses Spiel gegen Spanien positiv angehen." Bis dahin gehe es vor allem darum, diesen Tiefschlag gegen Japan "zu verarbeiten und den Kopf freizukriegen", um so auf die zweite Aufgabe gegen Spanien "fokussiert" zu sein.

Dem Cheftrainer Flick stellt sich da eine neue Herausforderung, beim FC Bayern München erlebte er vor allem die angenehmen Seiten des Fußballs, beim DFB zunächst ebenso mit acht Siegen hintereinander, ehe diese Erfolgsserie in diesem Kalenderjahr 2022 ins Stocken geriet: Es gab drei Siege, fünf Unentschieden und nun die zweite Niederlage. Der Gruppensieg in der Nations League misslang, der derzeitige Trend ist nicht so vielversprechend. Dennoch will Flick auf seine Mannschaft so einwirken, "dass sie den Glauben hat, dass sie dieses Ding am Sonntag in die richtige Richtung schieben kann".

Den 7:0-Sieg der Spanier gegen Costa Rica wird Flick noch heute studieren. In jedem Fall sind in dieser Alles-oder-Nichts-Partie Mut, Selbstsicherheit und Stressresistenz gefragt, Versagensängste helfen da nicht weiter. "Ich glaube an Erfahrung", sagte Flick und verwies auf die Startelf, die ausnahmslos aktuelle Darsteller in der Champions League seien. Man könne also "nicht sagen, dass wir eine unerfahrene Mannschaft haben", allenfalls die WM-Erfahrung fehle noch etwas.

Gegen Spanien verlangt er von den Seinen, "dass wir Charakter zeigen", um "die letzte Chance" zu nutzen. Flick, ganz als Psychologe unterwegs, gibt sich "da positiv, weil wir eine gute Truppe haben". Allerdings müsse sie "auf dem Platz als kompakte Einheit besser agieren", da muss jeder Einzelne seine Aufgabe über 90 Minuten erfüllen und das gesamte Team "die Intensität und Aktivität hochhalten". Zusammengefasst: "Wir können und müssen es besser machen." Wenn das Können tatsächlich so ausgeprägt gegeben ist, sollte das Müssen eine Selbstverständlichkeit sein bei einer WM.