Champions League

Hamann über seinen Elfmeter 2005: "Der Weg in die linke Ecke war einfacher"

Didi Hamann über das CL-Finale zwischen Liverpool und Milan 2005

Hamann im Interview: "Der Weg in die linke Ecke war einfacher"

Auch dank Benitez getroffen: Didi Hamann bei seinem Elfmeter im CL-Finale 2005.

Auch dank Benitez getroffen: Didi Hamann bei seinem Elfmeter im CL-Finale 2005. imago images / Buzzi

Herr Hamann, der Tag damals begann ja erst mal gar nicht so erfreulich. Wann haben Sie erfahren, dass Sie nicht in der Startelf des FC Liverpool stehen würden?

So rund 90 Minuten vorm Anstoß. Ich war eigentlich fest davon ausgegangen, dass ich spiele. Aber als Trainer Rafa Benitez die Aufstellung verlas, war ich nicht dabei.

Das passierte demnach erst recht spät, nach der Ankunft im Stadion?

Ja. Aber das ist ja auch okay. Wenn man als Spieler schon einen Tag vorher weiß, dass man nicht von Beginn an dabei ist, fährt man mit einer anderen Spannung zum Match. Ich halte es so für besser oder für richtig. Natürlich war ich im ersten Moment enttäuscht. Aber Fußball ist ein Mannschaftssport, der Trainer hatte sich zunächst für elf andere Kollegen entschieden. Das war dann eben so.

Dann saßen Sie also auf der Bank und sahen, dass die Tore gegen Ihr Team fielen: 0:1, 0:2, 0:3 - was haben Sie bei jedem Tor gedacht?

Beim ersten habe ich gedacht: okay, Standard, passiert mal. Besser in der ersten als in der letzten Minute. Beim zweiten dachte ich: Puh! Und beim dritten: Das war’s …

… "und danke, dass ich jetzt noch reinkommen darf…"?

Damit habe ich zur Pause ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich hatte nur gedacht, dass wir eine Riesenchance verpasst haben, den Titel zu holen. Der Trainer war recht ruhig in der Kabine. Er kündigte den Wechsel an. Ich kam für Steve Finnan, damit Steven Gerrard als unser torgefährlichster Mann eine Position vorrücken konnte im Mittelfeld.

Wie ging es weiter?

Schon beim Warmmachen, als unsere Fans gesungen haben - wahrscheinlich mehr aus Verzweiflung als aus Glaube oder Hoffnung -, ist schon mit jeder Minute etwas Selbstvertrauen zurückgekommen. Ich habe mir gesagt: Wenn die drei Tore schießen können in einer Halbzeit, können wir das auch.

Was gab Ihnen Zuversicht?

Dass wir mit der Mannschaft viele Finals gespielt und bis auf eines zuvor alle gewonnen hatten. Und die meisten waren eng. Aber wir haben fast immer einen Weg gefunden, das Ding noch zu gewinnen, obwohl wir einige hätten verlieren können oder müssen. Also waren wir darauf aus, im zweiten Durchgang das erste Tor zu erzielen, und dann wollten wir weiterschauen.

Hamann schoss Elfmeter mit Ermüdungsbruch

So kam es. Auf das 1:3 von Steven Gerrard folgte das 2:3, zu dem Sie die Vorlage gaben.

Ja, nach dem ersten Tor hat sich das Spiel gedreht und auch die Stimmung im Stadion. Milan war wie paralysiert für fünf, sechs Minuten. Vladimir Smicer, dem ich den Ball zugepasst hatte, erzielte das 2:3. Das hieß für uns: Game on!

Das 3:3 dann im Elfmeter-Nachschuss durch Xabi Alonso. Verlängerung, Elfmeterschießen. Sie hatten während des Spiels einen Ermüdungsbruch im Fuß erlitten. Sie verrieten aber nichts und wurden erster Elfmeterschütze.

Wem hätte ich es denn sagen sollen?

Dem Trainer vielleicht, dass Sie eigentlich nicht der ideale Schütze sind unter diesen Voraussetzungen …?

(lacht) Ach so, ne, ne. Das war ja erträglich. Ich hatte zwar gemerkt, dass etwas nicht stimmt, nachdem ich gegen Ende der Verlängerung zum Kopfball hoch gegangen und dann gelandet war. Ich hatte mit 18 oder 19 Jahren mal beide Mittelfüße gebrochen. Es hatte diesmal was geknackt. Aber ich war voller Adrenalin. Wenn mich der Trainer also fragen würde, ob ich schieße, war mir klar, dass ich "ja" sage, zumal ich auch einer der Erfahrensten in der Mannschaft war.

Serginho haute Milans ersten Elfmeter drüber. Nahm das ein wenig Druck von Ihnen oder verstärkte es ihn?

Es hat die Sache schon ein Stück leichter gemacht. Auf der anderen Seite war mir bewusst, dass wir durch meinen Schuss die Chance hatten, zum ersten Mal an dem Abend in Führung zu gehen. Psychologisch hat es also den Druck eigentlich erhöht, aber mir persönlich war es so lieber.

Benitez' Akribie gibt Hamann zu denken

Man sagt, es sei ideal, sich als Elfmeterschütze vorher auf eine Ecke festzulegen. Haben Sie das auch so gehandhabt oder sich spontan entschieden?

Es ist immer einfacher, dass du Geschwindigkeit für den Schuss generierst, wenn du über den Körper gehst. Wer als Rechtsfüßer in die rechte Ecke schießt, muss den Körper aber weiter aufmachen, die guten Torhüter schauen dich dann zudem ein Stück weit aus. Also war für mich klar, dass ich meine linke Ecke wähle, weil es der einfachere Weg war. Ich habe mich eigentlich mehr auf die Höhe konzentriert.

Mit welchen Gedanken?

Benitez war ja sehr akribisch. Wir hatten zwar nur einmal in der Saison in der Vorbereitung Elfmeterschießen trainiert, aber er war mit Statistiken gut vorbereitet. Und die besagte, und das hatte ich auch gelesen, dass die Chance 91 Prozent höher ist, den Elfmeter zu verwandeln, wenn er über einer gewissen Höhe ist, so ab 1,20 Meter. Die meisten Strafstöße werden ja unten gehalten. Aber zu hoch darf der Schuss natürlich auch nicht angesetzt werden, weil man dann die Torlatte ins Spiel bringt.

Sie haben verwandelt.

Richtig. Und wenn ich mir einen Punkt aussuchen hätte können, wo ich den Ball platziere - mit einem Kreuz an der Spielkonsole geht das ja virtuell -, dann hätte ich wohl genau dahingeschossen. Ich war natürlich erleichtert und froh, dass er drin war.

Sein größter Moment als Fußballer: Didi Hamann mit dem Henkelpott.

Sein größter Moment als Fußballer: Didi Hamann mit dem Henkelpott. picture-alliance / Pressefoto ULMER

Dann nahm alles seinen Lauf. Liverpool gewann das Elfmeterschießen, den Henkelpott. War das der schönste Tag in Ihrem Fußballerleben?

Ja, absolut. Die Weltmeisterschaft und die Champions League waren die zwei Titel mit dem höchsten Stellenwert und die ich gewinnen wollte. Mit der WM hatte es drei Jahre zuvor leider nicht ganz geklappt. Dann aber die Königsklasse zu gewinnen, mit dem Verein, der sich über diesen Wettbewerb in den 70ern und 80er Jahren einen großen Ruf erworben hatte, war schon großartig. Zumal es der erste Henkelpott nach 21 Jahren war, und weil eben zum fünften Mal, durfte der Klub ihn behalten. Die Art und Weise war natürlich etwas ganz Besonderes, ebenso das Feiern mit den Fans dann in Liverpool. Das war unbeschreiblich. Was man aber bei aller Freude nicht vergessen darf: Bei den beiden Elfmetern, die unser Keeper Dudek gegen Pirlo und Shevchenko hielt, stand er jeweils klar vor der Linie. Diese Schüsse wären heute wohl wiederholt worden. Das war grenzwertig.

Es sollte wahrscheinlich so sein, sonst hätte ja die schöne Aufholjagd aus Liverpool-Sicht nichts genutzt…

… ja, genau, so war es wohl.

Etwas skurril war damals, dass nach dem Finale noch gar nicht feststand, ob Liverpool als Sieger überhaupt in der Champions League starten dürfte in der kommenden Saison.

Ja, stimmt. Das wurde erst danach irgendwann entschieden. Wir waren in der Liga nur Fünfter geworden, man fand einen Kompromiss, indem wir drei Qualifikationsrunden durchlaufen mussten. Das war besser, als gar nicht antreten zu dürfen. Wir haben es dann auch geschafft.

Zwei Jahre später spielten Sie bereits für Manchester City. Ging Ihnen Liverpools Finalniederlage gegen Milan, das 2007 erfolgreich Revanche nahm, dennoch nah? Oder haben Sie es der AC nach dem für sie bitteren Abend auch etwas gegönnt?

Ja, Letzteres schon ein bisschen. Wenn ich noch in Liverpool gewesen wäre, wäre es natürlich etwas anderes gewesen. Ich war damals im Stadion in Athen und hatte den Eindruck, dass Milan total verunsichert war wegen des Spiels zwei Jahre zuvor. Dann sind sie aber doch irgendwie ins Spiel gekommen. 2005 hätten wir das Spiel nach diesem Verlauf eigentlich nicht mehr gewinnen dürfen, aber 2007 hätte Liverpool gewinnen müssen. Doch Milan siegte 2:1, war ein bisschen cleverer.

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Interview: Thomas Böker