Bundesliga (D)

Jan Koller im Interview: Als Torwart in der kicker-Elf des Tages

Als Torhüter in der kicker-Elf des Tages

Koller im Interview: "Ich musste in den Kofferraum steigen, um den Fans zu entkommen"

Sein wahrscheinlich berühmtester Moment: Jan Koller als Dortmunder Ersatzkeeper gegen den FC Bayern.

Sein wahrscheinlich berühmtester Moment: Jan Koller als Dortmunder Ersatzkeeper gegen den FC Bayern. Getty Images

Wenn er muss, sagt Jan Koller, dann spricht er auch mal Deutsch. Und manchmal muss er eben, vor allem, wenn er zur Legenden-Elf von Borussia Dortmund eingeladen wird, mit Spielern wie Dede, Stephane Chapuisat, Florian Kringe und Martin Driller. Auch sonst hat der ehemalige Sturm-Riese des BVB, der an diesem Donnerstag seinen 50. Geburtstag feiert, noch viele Verbindungen nach Dortmund - und das liegt nicht zuletzt an zwei ganz besonderen Ereignissen.

Im kicker sagten Sie einst, Ihr Lieblingsfilm sei das Heldenepos "Troja". Fühlen Sie sich selbst als Held, Herr Koller?

Sicher nicht (lacht).

In Dortmund sieht man Sie aber trotzdem noch so.

Beim BVB hatte ich eine wunderschöne Zeit, und sicher: Wir haben die Meisterschaft gewonnen. Aber es gab so viele Spieler, die viel für den Verein getan, viele Spiele bestritten haben. Solche Klublegenden wie Dede, Matthias Sammer, Jürgen Kohler - und da nenne ich nur ein paar - haben sich diesen Titel viel eher verdient als ich.

Trotzdem spickten Ihre Karriere Titel, Triumphe - und vor allem Tore. Dabei haben Sie Ihrer eigenen Aussage nach kein Talent.

Ich bin erst mit 19 Profi geworden, spielte zuvor als Amateur. Einige Kollegen aus der Nationalmannschaft wurden besser und früher ausgebildet. Klar, auch ich habe irgendwo etwas Talent, aber der Großteil war harte Arbeit.

Auch mit dem Kopf?

Ja, auch dafür hatte ich keine besondere Anlage. Anfangs war meine Größe eher ein Hindernis, vor allem als Jungprofi bei Sparta Prag. Da musste ich hart an meiner Motorik, Technik und Koordination arbeiten, habe erst spät mit spezifischem Kopfballtraining beginnen können. Damit stieg auch das Selbstvertrauen.

Zu Beginn war davon also nicht so viel vorhanden?

Nein, ich wusste nicht, dass so viel in mir steckt, vor allem nicht im Kopfballspiel. Das hat mich auch der eine oder andere Trainer spüren lassen.

Als Lehmann vom Platz flog, sagte ich direkt, dass ich seinen Platz einnehmen würde.

Koller über seinen Torwart-Einsatz gegen Bayern

Ihre Wurzeln liegen aber woanders, nämlich im Tor.

Das stimmt. In der Schülermannschaft spielte ich zwar im Feld, mit 15 Jahren ging ich jedoch für zwei Jahre ins Tor - bei meinem Dorfverein in Smetanova Lhota.

War das die Grundlage für Ihre wohl kurioseste Partie im November 2002?

Ja, als wir gegen Bayern spielten, schon dreimal gewechselt hatten und Jens Lehmann vom Platz flog, sagte ich direkt, dass ich seinen Platz einnehmen würde. Damals zog ich mir nach dem Training des Öfteren die Handschuhe über, um die Jungs ein paar Freistöße auf mein Tor schießen zu lassen.

Wie nahmen Sie damals den Druck wahr?

Es war natürlich eine Umstellung für mich - vom Tore schießen zum Tore verhindern. Aber ich konnte auf meine Erfahrungen als Keeper zurückgreifen, mich in die Stürmer hineinversetzen und habe es am Ende sogar in die Elf des Tages des kicker geschafft - als Torhüter.

Vom Ausstatter bekamen Sie damals übergroße Handschuhe geschenkt.

Die liegen noch immer bei mir zuhause. Auch mein Name ist darauf gestickt.

Jan Koller gegen Real Madrid

Gegen Real Madrids "Galacticos" traf Koller 2003 in beiden Spielen. Bongarts/Getty Images

Nach diesem 1:2 gegen die Bayern wurde der BVB Zweiter, ein Jahr zuvor war die Meisterschaft gelungen.

Das war ein ganz besonderer Moment. Gegen Bremen erzielte Ewerthon das entscheidende Tor, in diesem Moment schießen einem tausende Gedanken durch den Kopf. Ich musste kurz innehalten, um den Moment auszukosten und mir gewahr zu werden, dass ich da gerade etwas Unbeschreibliches erreicht hatte, etwas, das meine gesamte Kariere prägte - und woran ich mich noch heute erinnere. Es war der schönste Zeitpunkt meiner Laufbahn.

Nicht das 3:2 mit Tschechien gegen die Niederlande bei der EM 2004? Die Begegnung gilt als eine der besten des Jahrtausends.

Nur wenn wir dann auch den Pokal geholt hätten und nicht im Halbfinale gegen Griechenland (0:1 nach Silver Goal, d. Red.) ausgeschieden wären. Wir haben nur die Hälfte der Arbeit gemacht. Es war eine riesige Enttäuschung.

Trotzdem kamen Sie weit, prägten mit Spielern wie Karel Poborsky, Pavel Nedved, Tomas Rosicky und Petr Cech eine Ära. Was war damals entscheidend für den Erfolg?

Jeder wusste damals um seine Rolle. Und das war nicht leicht, denn jeder war gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere, spielte in internationalen Topklubs. Da eine Hierarchie zu bilden, war nicht einfach.

Der damalige Trainer Karel Brückner hat es aber geschafft.

Er ernannte Nedved und Poborsky zu seinen Kapitänen, was der Rest von uns respektiert hat. Zudem hatten wir alle ein super Verhältnis, treffen uns noch heute zum Eishockey spielen, unternehmen gemeinsam Dinge.

Waren Sie und Milan Baros damals ein perfektes Sturmduo?

2004 wechselte der Trainer das System setzte auf zwei Spitzen statt auf eine. Und natürlich hatten wir klasse Mitspieler. Aber es stimmt: Ich hatte den Körper und die Kopfballstärke, er das Tempo und die Dribbelkunst. Es ist kein Zufall, dass wir beide noch immer die Torjägerliste der Nationalmannschaft anführen (mit 55 und 41 Treffern, d. Red.).

Ist ein solcher Erfolg wie damals heute noch möglich?

Nach dem EM-Aus gegen die Türkei 2008 kam der Cut, viele Spieler hörten auf, andere hatten gesundheitliche Probleme. Heute sehe ich nur Tomas Soucek und Patrik Schick auf internationalem Top-Niveau, mit Abstrichen Adam Hlozek.

Woran liegt das?

Wir kamen damals alle aus dem restriktiven Ostblock, der Fußball war unsere einzige Chance. Heute haben die Spieler ganz andere Möglichkeiten, der Sport steht nicht mehr an erster Stelle.

Ich hatte Angst, meine Frau bei Auswärtsfahrten alleine zu lassen.

Koller über die Überfälle in Dortmund

Bei Ihnen aber schon. Trotzdem blieben Sie 2006 nicht in Dortmund, sondern wechselten nach Monaco.

Meine damalige Frau wollte etwas anders sehen, sie lebt noch heute mit einer meiner Töchter dort. In Dortmund wurden wir zudem fünfmal ausgeraubt, wir fühlten uns einfach nicht mehr wohl. Ich hatte Angst, sie bei Auswärtsfahrten alleine zu lassen. Es gab zwar ein neues Vertragsangebot, aber die Zeit war auch reif für etwas Neues.

Außerhalb Deutschlands.

Ja, zu einem anderen Bundesligaklub wäre ich auch aus Respekt zum BVB nicht gegangen.

2007 taten Sie das aber doch, Hans Meyer wollte Sie unbedingt nach Nürnberg holen.

Das stimmt, leider wurde er jedoch kurz darauf gefeuert. Ich hatte einen schweren Stand, auch selbst verschuldet.

Weil Sie nach einem 0:0 mit dem Club mit den Dortmunder Fans feierten?

Sie riefen mich mit Sprechchören aus der Kabine zurück, haben sich über meine Rückkehr nach Dortmund gefreut. Aus Respekt den Dortmundern gegenüber ging ich nochmal zur Süd. Es war eine schöne Zeit dort, die Menschen haben mich immer gemocht.

Jan Koller

Seinen Wechsel nach Nürnberg betrachtet Koller heute als Fehler. imago sportfotodienst

Die Nürnberger fanden Ihre Aktion unangebracht.

Sie feindeten Jaromir Blazek und mich an, stellten uns als Alleinverantwortliche für die Misere und den Abstieg dar. Als wir von einem Auswärtsspiel zurückkamen, wurden die Spielernamen ausgerufen - und wir beide ignoriert und angefeindet. Tomas Galasek wurde von seiner Frau abgeholt, ich musste bei ihm in den Kofferraum steigen, um den Fans zu entkommen. Das war ein schwerer Schlag. Es war ein Riesenfehler, nach Nürnberg zu wechseln.

2011 beendeten Sie ihre Profikarriere. Aus dem Team von 2004 wurden viele Spieler zu Funktionären, Rosicky als Sportdirektor bei Sparta Prag, Nedved als Vize-Präsident bei Juventus Turin. Wollten Sie nie im Fußball bleiben?

Als Trainer oder Manager auf keinen Fall. Ich habe genug zu tun, bin TV-Experte, habe einen autobiographischen Film veröffentlicht. In Frankreich habe ich zudem die 2. und 3. Liga beobachtet und meine Berichte nach Tschechien geschickt. Ich könnte also auch als Scout arbeiten.

2006 sagten Sie bei Ihrem Abschied aus Dortmund, dass noch glorreiche Zeiten auf den BVB zukommen würden. Angesichts des Fast-Bankrotts eine gewagte Aussage. Aber Sie behielten recht. 2008 kam Jürgen Klopp und mit ihm der Erfolg.

Ich habe Dortmund einfach als große Familie wahrgenommen. Keiner der Fans hätte die Seiten gewechselt, jeder hat ihn unterstützt. Daran habe ich geglaubt. Dazu war die Jugendarbeit schon immer klasse - und ist es noch immer.

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