Bundesliga (D)

Lichtblick Jablonski: "Gerade der Beste, den wir haben"

Der Ausnahme-Schiedsrichter

Lichtblick Jablonski: "Gerade der Beste, den wir haben"

"Sein Umgang mit Spielern und Verantwortlichen ist für sein Alter bemerkenswert": Sven Jablonski, hier in Dortmund.

"Sein Umgang mit Spielern und Verantwortlichen ist für sein Alter bemerkenswert": Sven Jablonski, hier in Dortmund. IMAGO/Kirchner-Media

Die nächste Schiri-Schelte schien programmiert. Am 20. Spieltag köpfte Augsburgs Ermedin Demirovic den Ball im Strafraum Leandro Barreiro an den Arm. Die Distanz war kurz, Barreiro befand sich im Sprung. Den nach VAR-Eingriff verhängten Strafstoß empfand der Mainzer Mittelfeldspieler erwartungsgemäß als ungerecht. Doch statt sich in die Reihe der Akteure zu stellen, die nach einem solchen Fall auf die Handspielauslegung und deren Anwendung durch die Bundesliga-Referees schimpfen - beides bietet genug Angriffsfläche -, geschah Erstaunliches.

Barreiros Aussagen sind sinnbildlich

Barreiro lobte den Unparteiischen Sven Jablonski - für dessen Kommunikation. Der Austausch in der Halbzeit und nach Abpfiff sei "sehr positiv und respektvoll" gewesen: "Mir war es einfach wichtig, mit dem Schiri gut darüber reden zu können. Das macht die Angelegenheit für mich als Spieler zumindest etwas angenehmer." Zumal Jablonski die Argumentation verstanden habe, "dass ich in dieser Situation nicht viel anders machen kann", sagte Barreiro: "Er hat mir dann erklärt, was die Regelauslegung vorsieht. Das verstehe ich auch. Obwohl diese Auslegung meiner Meinung nach wenig Sinn macht. Doch darauf haben weder der Schiri noch ich Einfluss."

Topspiele 2022/23 unter Jablonskis Leitung

Bemerkenswerte Äußerungen, auch wenn sie Barreiro durch den 3:1-Sieg eventuell leichter fielen. Sie stehen sinnbildlich für einen Mann, der in schwierigen, durch viele Fehler und ständiges VAR-Theater geprägten Zeiten für das deutsche Schiedsrichterwesen einen Lichtblick verkörpert. "Das ist gerade der Beste, den wir haben", sagt ein Bundesliga- Manager. Jablonski leitet zunehmend brisante und exponierte Partien in der Regel souverän und geräuschlos. Auch vergangene Saison zeigte er beim Topspiel Bayern gegen Leipzig (3:2, kicker-Note 2,5) eine gute Leistung, führte am Saisonende das kicker-Notenranking mit einem Schnitt von 2,53 an. Aktuell liegt nur Patrick Ittrich (2,33) vor Jablonski, hat aber vier Partien weniger und kein Topspiel geleitet.

Jablonskis Auftreten: "Größtes Talent seit über zehn Jahren"

Ein Vorteil des Bremers ist seine Statur. Durch seine 1,90 Meter strahlt er eine natürliche Präsenz aus, die ihm in Rudelbildungen und gegenüber emotional aufgeladenen Spielern hilft. Ein "Sky"-Kommentator bezeichnete ihn deshalb mal als den "Haaland unter den Schiedsrichtern". Jablonski erinnert mit seinem Auftreten an die ebenfalls groß gewachsenen (Ex-)Top-Schiedsrichter Knut Kircher, Manuel Gräfe oder Deniz Aytekin. "Sein Umgang mit Spielern und Verantwortlichen ist für sein Alter bemerkenswert", sagt der selbst noch aktive Aytekin und bekennt: "Mir macht es richtig Freude, seine Spielleitungen anzuschauen."

Sein Umgang mit Spielern und Verantwortlichen ist für sein Alter bemerkenswert.

Deniz Aytekin

Für Gräfe, der seit dem unfreiwilligen Ende seiner Laufbahn 2021 neben seiner rechtlichen Auseinandersetzung mit dem DFB regelmäßig die Schiri-Chefs, die Struktur sowie die Qualität einzelner Referees kritisiert, ist Jablonski gar "das größte Talent seit über zehn Jahren". Nach Jablonskis Auftritt bei der Partie Dortmund gegen Leipzig Anfang März schrieb Gräfe bei Twitter: "Natürlich wird er auch noch Fehler machen, aber er kann kicken, ist sehr weit von der Persönlichkeit, konzentriert, clever, hat einen guten Umgang mit Spielern."

Stach, Aytekin und Petersen leiteten gemeinsam ein Bezirksligaspiel. 

Petersen und Stach verkabelt: "Muss ich den Arm heben?"

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Auch Jablonskis Vorgesetzter spart nicht mit Lob. "Er steht gut in den Spielen drin, egal welcher Schwierigkeitsgrad. Sven genießt schon jetzt eine hohe Akzeptanz, es gibt zu ihm sehr viel positives Feedback, auch von Spielern, Trainern und Managern", sagt Lutz Michael Fröhlich, Geschäftsführer Sport und Kommunikation der DFB Schiri GmbH: "Sein Auftreten wirkt offen und uneitel. Er hat ein gutes Gespür dafür, welche Situationen für den Spielablauf wichtig sind. Im Umgang mit dem VAR bleibt er unkompliziert und arbeitet die Situationen offen und lösungsorientiert ab." Wohl auch, um den Empfindlichkeiten der verschiedenen Egos im 24er Bundesligakader der Referees Rechnung zu tragen, fügt Schiri-Boss Fröhlich an: "Sven passt sehr gut in die Reihe einiger sehr talentierter Schiedsrichter der jungen Generation." Tatsächlich ragt er in dieser ohnehin nicht langen Liste aber ein gutes Stück heraus.

Unterm Strich ist es ein ganz schön großer Blumenstrauß, der Jablonski da von vielen Händen gebunden wird. Den Umgang damit möchte er mit Bescheidenheit meistern. "Im Mittelpunkt sollen das Spiel und die Spieler stehen, nicht wir Schiedsrichter. Wenn man trotzdem Lob bekommt, ist das natürlich schön", sagt er dem kicker: "Ich werde versuchen, meine Art der Spielleitung und Kommunikation mit Spielern und Trainern so fortzuführen."

Bis er 13 war, interessierte er sich nicht wirklich für die Menschen an der Pfeife

Der gelernte Bankkaufmann hat eine klassische Schiri-Laufbahn genommen. Dass sein Vater Jörg Linienrichter war und unter anderem zum Gespann bei Thomas Helmers kuriosem Phantomtor gehörte, spielte für seinen Karriereweg laut eigenen Aussagen keine Rolle. Zunächst kickte er leidenschaftlich für den Blumenthaler SV, für den er immer noch pfeift. Bis zum Alter von 13 Jahren interessierte er sich nicht wirklich für die Menschen an der Pfeife. Dann aber meldete sich sein ganzes Jugendteam beim Schiri-Lehrgang an - die Aussicht auf ein nettes Taschengeld sowie freien Eintritt mit dem Schiedsrichterausweis ins Weserstadion waren verlockend. Noch zwei Jahre spielte Jablonski parallel, ehe er sich aufs Pfeifen konzentrierte und einen schnellen Aufstieg hinlegte. Seit 2017 wirkt er in der Bundesliga.

In seinem jeweiligen Debütjahr in den vier höchsten Ligen war er stets der Jüngste. Wie jetzt unter den zehn deutschen FIFA-Referees, denen er seit Anfang 2022 angehört. Wie üblich bei Neulingen leitete er bisher nur Juniorenpartien, ist derzeit etwa bei der U-19-EM-Quali in Frankreich im Einsatz. Neben der Bestätigung seiner national guten Leistungen warten international die größten Herausforderungen. Vor allem wegen der "teilweise anderen Anforderungen", auf die der zweimalige Weltschiedsrichter Dr. Felix Brych hinweist, der Jablonski auch zur "neuen Generation junger und talentierter Schiedsrichter" in Deutschland zählt.

Die UEFA-Vorgaben sorgen für einen schwierigen Spagat

So verlangen die UEFA-Verantwortlichen um Chef Roberto Rosetti ein kompromissloseres, weniger kommunikatives Auftreten sowie beim Handspiel und bei Fouls eine strengere Auslegung. Die Vorgaben widerstreben teilweise zwar dem Sinn des Spiels, müssen von FIFA-Schiedsrichtern aber konsequent umgesetzt werden, wollen diese international Karriere machen. Die kann übrigens nach nur einem misslungenen Spiel einen heftigen Knick erfahren. Viel Druck und ein schwieriger Spagat. Besonders für Vertreter der Bundesliga, in der Ermessensspielraum und gutes Gespür für den Charakter einer Partie einen höheren Stellenwert genießen.

Jablonski muss sich auf UEFA- und FIFA-Ebene Schritt für Schritt vorarbeiten. Auf Sicht ist er aber ein großer Hoffnungsträger, um die durch den internationalen Abschied von Brych und Aytekin entstandene Qualitätslücke unter den deutschen FIFA-Referees zu schließen. Champions-League-Luft hat er auch schon regelmäßig geschnuppert. Als Vierter Offizieller im Team von Felix Zwayer verrichtete er zuletzt etwa beim Rückspiel Real Madrid gegen Liverpool seinen Dienst.

Am nächsten Samstag findet hierzulande ein Duell auf Königsklassenlevel statt. Nach den vergangenen drei Halbjahren wäre es keine große Überraschung, sollte Jablonski erstmals den Klassiker zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund anpfeifen.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 27. März - hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

Carsten Schröter-Lorenz

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