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Mit Chip-Ball: Abseitstechnologie kommt WM 2022 zum Einsatz

Überprüfungszeit soll von 70 auf 25 Sekunden im Schnitt sinken

Mit Chip-Ball: Abseitstechnologie kommt bei der WM zum Einsatz

"Al Rihla" - der offizielle Spielball der WM 2022 - mit seiner vernetzten Balltechnologie.

"Al Rihla" - der offizielle Spielball der WM 2022 - mit seiner vernetzten Balltechnologie. Adidas

Nun kommt er also doch an prominenter Stelle zum Einsatz, der Chip im Ball. Bei der Torlinientechnologie hatte er gegenüber Kamerasystemen noch den Kürzeren gezogen, nun ist er zumindest eines von zwei Kernelementen der halbautomatischen Abseitstechnologie. Ein Sensor im Zentrum des offiziellen WM-Balls übermittelt 500-mal pro Sekunde Balldaten ans Videocenter, wodurch sich der regeltechnisch relevante erste Kontakt beim Spielen oder Berühren des Balles genau bestimmen lässt.

Den Rest übernimmt auch hier ein optisches Erfassungssystem. Zwölf spezielle unter den Stadiondächern installierte Tracking-Kameras werden in Katar den Ball und bis zu 29 Datenpunkte jedes Spielerkörpers 50-mal pro Sekunde erfassen, um deren genaue Position zu bestimmen. Die Datenpunkte decken alle Extremitäten und Gliedmaße ab, die für Abseitsentscheidungen relevant sind.

"Roboter-Schiedsrichter? Das ist nicht der Fall"

Künstliche Intelligenz kombiniert beide Datensätze. Nach einem erzielten Tor erhält das VAR-Team dadurch innerhalb weniger Sekunden die Information, ob sich im Verlauf des betreffenden Angriffs ein beteiligter Spieler der angreifenden Mannschaft inklusive des Torschützen in einer Abseitsposition befunden hat.

Dieses rein technisch generierte Signal "Abseits" wird laut FIFA-Schiedsrichterchef Pierluigi Collina anschließend vom VAR-Team durch eine eigene Überprüfung der Zeitlupen validiert und auf Strafbarkeit hin untersucht. Denn eines war Collina bei aller Freude über die neue Technik im Rahmen einer internationalen Medienrunde wichtig zu betonen: "Ich habe von Roboter-Schiedsrichtern und ähnlichen Dingen gelesen. Das ist aber nicht der Fall. Die Schiedsrichter treffen weiterhin die Entscheidungen, haben lediglich eine neue technische Hilfe."

Collinas oberstes Ziel: "Korrekte Entscheidungen auf dem Platz"

Das VAR-Team muss beispielsweise klären, ob der Ball vom Mitspieler oder vom Gegner gespielt wurde und ob ein relevanter gegnerischer Ballkontakt bewusst oder unabsichtlich geschah, um die Frage nach der Strafbarkeit zu beantworten. Oberstes Ziel bleibt es laut Collina ohnehin, "letztlich korrekte Entscheidungen auf dem Platz zu treffen". Deshalb werde mit den Referees auch weiterhin intensiv an der Entscheidungsqualität gearbeitet, auch unabhängig von der Technik, etwa bei Handspiel- oder Foulsituationen.

Für die technische "Abseitswarnung" auf den VAR-Bildschirmen erwartet Collina ähnlich akkurate und verlässliche Ergebnisse wie bei der Torlinientechnologie, die auf wenige Millimeter genau und beinahe in Echtzeit die Position des Balles bestimmt. Getestet wurde die halbautomatische Abseitstechnologie bereits beim FIFA Arab Cup im Dezember 2021 in Katar und bei der Klub-WM im Februar 2022 in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

"Wir haben dort sehr positive Erfahrungen mit der Technologie gesammelt, werden aber natürlich bis zum WM-Start weiter an der bestmöglichen Anwendung arbeiten", sagt Collina. Das gilt besonders für die 36 für die globalen Titelkämpfe nominierten Schiedsrichter und ihre Assistenten um den deutschen FIFA-Referee Daniel Siebert sowie die 24 WM-VAR um Marco Fritz und Bastian Dankert.

Beträchtlicher Kostenaufwand - Ab 2023/24 auch in der Bundesliga?

Die Linienrichter bei der WM 2022 in Katar

Sie sollen weiter entlastet werden: Die Linienrichter bei der WM 2022 in Katar. imago images

Bei der WM werden pro Spiel acht Leute im Videocenter arbeiten, der VAR und drei Assistenten inklusive Abseitsexperten plus vier Operatoren. Neben dem Personal- ist auch der Kostenaufwand beträchtlich. Genaue Zahlen will die FIFA nicht nennen, so erklärt Johannes Holzmüller, Direktor für Technologie und Innovation beim Weltverband, mit Blick auf drei Jahre Entwicklungszeit und neueste Soft- und Hardware: "Jede neue Technologie ist im Moment der Einführung teuer, aber mit der Zeit werden die Kosten signifikant sinken. Der Preis für die Torlinientechnologie pro Stadion war beispielsweise beim ersten Test während der Klub-WM 2012 in Japan viermal so hoch wie heutzutage. Generell hoffen wir, dass künftig so viele Wettbewerbe wie mögliche diese Technik als Unterstützung nutzen können."

Die Investitionen in die Abseitstechnologie sollen sich schnell bezahlt machen, für die Protagonisten - und die Zuschauer. "Wir sind uns bewusst, dass es manchmal zu lange dauert, mögliche Abseitssituationen zu überprüfen, insbesondere, wenn die Abseitsentscheidung sehr eng ist", räumt Collina ein und rechnet damit, dass die durchschnittliche Zeitspanne für eine Abseitsüberprüfung von bisher 70 Sekunden künftig auf etwa 25 Sekunden sinken wird. Obendrein sollen in der folgenden Unterbrechung für mehr Verständnis und Transparenz sowohl auf den Stadionleinwänden als auch in den TV-Übertragungen auf Basis der Positionsdaten animierte 3D-Grafiken eingeblendet werden, die die Abseitsstellung genau aufschlüsseln.

Man darf gespannt sein, wie sich diese Innovation in der Praxis schlägt. Bewährt sie sich bei der WM, ist nach kicker-Informationen ab der Saison 2023/24 auch in der Bundesliga mit dem Einsatz der halbautomatischen Abseitstechnologie zu rechnen.

Carsten Schröter-Lorenz

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