Das LSH-Lifestyle-Hotel in Rio de Janeiros vornehmen Stadtteil Barra de Tijuca ist seit einiger Zeit Anlaufstelle für junge Geschäftsleute aus Europa und Amerika. Eleganter und dennoch legerer Schick, gelegen in einem boomenden Viertel mit großzügigen Malls und einer großen Auswahl an Cafés und Restaurants.
So war es zwar ein Zufall, aber kein Wunder, als sich Bayer Leverkusens Manager Jonas Boldt und der ehemalige Nationalspieler Kevin Kuranyi gerade in der Lobby dieser Herberge über den Weg liefen. Man kam ins Gespräch, natürlich ging es um Fußball, speziell um brasilianische Fußballer. Kuranyi ging fest davon aus, dass sich Boldt auf Sichtungstour im Land des fünffachen Weltmeisters befand und gab einen kurzen Überblick über die Talente-Situation in der Heimat seiner Ahnen. Zwei junge Profis spielten dabei eine besondere Rolle: Vinicius Jr., der aber bereits für rund 45 Millionen Euro von Real Madrid gekauft wurde. Und ein gewisser Paulinho von Vasco da Gama. Kuranyi: "Von dem wusste ich, dass er eine Ausstiegsklausel über 30 Millionen Euro im Vertrag stehen hatte. Deshalb kam er in meinen Augen für Bayer nicht in Frage."
Doch Boldt war nicht zufällig in Rio und nicht mehr, um zu scouten. Diese Arbeit war bereits erledigt. Boldt war da, um zu verpflichten. "Da hat sich einmal mehr gezeigt, was ein funktionierendes Netzwerk ausmacht", sagt Kevin Kuranyi, mittlerweile selbst in der Spielerberatung tätig und voll des Lobes für Boldt: "Es stimmt, die Schnellen fressen die Langsamen. Als die anderen kamen, hatte Jonas den Sack schon zugemacht."
Klingt seltsam, doch selbst eine Verletzung spielte Bayer in die Karten
Die Informationen, die Boldt und die Leverkusener Scouting-Abteilung gesammelt hatten, ermutigten den Bundesligisten, diesen Spieler ganz oben auf die Wunschliste zu setzen. Und im Mittelpunkt der Verhandlungsstrategie standen die finanziellen Probleme von Paulinhos Klub Vasco da Gama. Etliche Gläubiger traten dem Management auf die Füße, die Spielergehälter konnten nicht pünktlich bezahlt werden. In dieser Situation kam die Offerte von knapp unter 20 Millionen Euro, die Bayer nach Informationen des kicker dem Klub machte, gerade recht. Dazu gesellte sich ein persönliches Missgeschick des 17-jährigen Offensivspielers, der sich am 4. April in der Partie gegen Cruzeiro Belo Horizonte einen Armbruch zuzog und operiert werden musste. Heute weiß man: es war der letzte Auftritt für den Klub, dem er als Zehnjähriger beitrat. Die Genesung wird bis in den Juli hinein dauern.
Die schmerzhafte Blessur – so seltsam es klingt – verschlechterte Bayers Chancen nicht. Weil sie potenzielle Konkurrenten zunächst abschreckte und die Tatsache, dass Bayer Leverkusen ihn sportmedizinisch untersuchen konnte, nun nicht mehr auffiel – er war ja bereits in der Klinik. Zudem war die Hoffnung, dass der Spieler durch weitere gute Leistungen teurer und für andere Klubs damit begehrenswerter wurde, dahin.
Kuranyi lobt Boldt: "Erfolgsgeschichte entwickelt sich"
"Das war der Moment, in dem Bayer zuschlug", weiß Kuranyi heute und ist voll des Lobes für den Bundesligisten: "Klar, Bayer hat eine gute Infrastruktur und gute Kontakte. Aber du musst sie pflegen. Und das macht Bayer perfekt. Was mit Reiner Calmund begann, führte Michael Reschke fort und Jonas Boldt hat jetzt gezeigt, dass diese Erfolgsgeschichte sich entwickelt. Als die anderen Klubs noch überlegten, wie sie das Thema angehen, waren Bayers Ärzte bereits vor Ort."
Als in den vergangenen Tagen munter hin- und her spekuliert wurde, wohin Paulinho wechselt, stand dessen Transfer nach Leverkusen bereits fest. Ab dem 15. Juli, seinem 18. Geburtstag, wird er zur "Werkself" gehören. Deutlich größere Klubs wie etwas Manchester City hatten das Nachsehen, weil Bayer bereits Anfang April Nägel mit Köpfen machte.
Von den knapp unter 20 Millionen Euro bekommt Vasco übrigens "nur" 70 Prozent, der Rest, so enthüllte die Zeitung "OGLOBO Esportes", geht an die Beraterfirma des Spielers. Immerhin konnte der Traditionsklub ausstehende Gehälter zahlen. Ein letzter Dienst des begehrten Teenagers.