Es gibt Fragen, die ziemlich gemein sind. So wie jene nach dem Datum, das dicker unterstrichen sei im Jahreskalender von Bastian Schweinsteiger: der 25. Mai oder der 13. Juli. Und es gibt Antworten, die ziemlich smart sind. "Es ist bei mir der 13. Juli, aber nicht wegen des WM-Finales 2014", entgegnet der 121-malige deutsche Nationalspieler, "an diesem Tag ist auch der Hochzeitstag von meiner Frau und mir." Dann grinst er. Und das nicht zum letzten Mal in diesem Gespräch.
Herr Schweinsteiger, ist es schwieriger, Weltmeister zu werden oder das Triple zu holen?
Weltmeister zu werden ist schwieriger, weil die Chance dazu nur alle vier Jahre besteht.
Und in sportlicher Hinsicht?
Da ist es in der Champions League schwieriger. Das Vereinsniveau ist etwas höher, weil man da ständig zusammen trainiert, während es bei der Nationalmannschaft bei Turnieren nur vier Wochen sind. Ich war bei drei Weltmeisterschaften dabei und durfte drei Champions-League-Finals spielen.
Sind Sie für den Bayern-Fan mehr der Triple-Gewinner und für den Fußballfreund allgemein oder deutschlandweit der Weltmeister?
Das WM-Finale 2014 sahen sehr viele Menschen, und es war mein bestes Spiel. Auf der anderen Seite hat der Champions-League-Sieg 2013 die besondere Vorgeschichte mit dem verlorenen Finale dahoam 2012. Wir haben damals anschließend zusammengehalten und den Titel direkt im Jahr danach geholt - sogar auf eine besondere Weise, weil es eben das erste Triple war.
Den Weltmeistertitel für das eigene Land zu gewinnen, ist ein unbeschreibliches Gefühl.
Bastian Schweinsteiger über seinen Weltmeistertitel
Sie wurden 2014 Weltmeister, 2013 gab es für Sie das Triple, 2017 mit Manchester United den Sieg in der Europa League, zudem achtmal die Deutsche Meisterschaft, siebenmal den DFB-Pokal sowie in England den Pokal. Welche Ihrer Trophäen und Pokale ist für Sie am wertvollsten?
Auf Vereinsebene wollte ich immer mit Bayern München die Champions League gewinnen. Den Weltmeistertitel für das eigene Land zu gewinnen, ist ein unbeschreibliches Gefühl.
Sie hatten 2010 mit dem FC Bayern das Champions-League-Finale gegen Inter Mailand mit 0:2 verloren; 2012 im Finale dahoam waren Sie der letzte Schütze im Elfmeterschießen, Chelsea-Keeper Petr Cech lenkte Ihren Schuss an den Pfosten. War wegen dieser Vorgeschichte der Druck für Sie und Ihr Team am 25. Mai 2013 umso größer?
Der Druck bestand darin, dass wir unbedingt diesen Titel wollten. So haben wir uns motiviert. Schon 2012 waren wir die beste Mannschaft Europas gewesen, haben uns aber nicht gekrönt. Im Finale dahoam war auch das Schicksal gegen uns. Arjen Robben scheiterte in der Verlängerung mit einem Elfmeter, Daniel van Buyten haben wir beim Eckball vor dem Ausgleich nicht zu Didier Drogba gestellt, bei manchen Abschlüssen waren wir zu unruhig. Und im Finale 2013 gegen Dortmund spürte ich in den ersten 25 Minuten den berühmten Rucksack, einige Mitspieler ebenso. Nicht auszudenken, wenn wir wieder nicht gewonnen hätten. Wir hatten eindeutig mehr zu verlieren als Dortmund. Aber die Kunst unserer Mannschaft war in diesem Spiel, dass wir uns gegen Widerstände wehren konnten. So war unser Charakter, wir hielten der Situation stand und wurden verdient Sieger aufgrund der gesamten starken Champions-League-Saison 2012/13.
Mit welchen Gefühlen gingen Sie in dieses Endspiel?
Als ich an jenem Tag aufstand, wusste ich, dass wir gewinnen werden. Mit diesem Gefühl begab ich mich in den Frühstücksraum. Allerdings ist klar, dass in einem Finale immer unvorhersehbare Dinge passieren. Auch das Siegtor entstand nicht aus einer alltäglichen Situation nach Jerome Boatengs langem Ball Richtung Strafraummitte, Franck Riberys Querpass mit der Hacke auf Arjen Robben, der den Ball an Roman Weidenfeller flach vorbeidrehte. Insgesamt war es toll, dass der deutsche Fußball damals so präsentiert wurde.
Zum Start in die Gruppenphase erzielten Sie gegen Valencia mit einem Rechtsschuss das erste Bayern-Tor in der Champions-League-Saison 2012/13. War dieser Treffer am 19. September 2012, exakt vier Monate nach dem Fehlschuss gegen Chelsea am 19. Mai, für Sie die Ironie des Schicksals oder der Wink des Schicksals, dass für Sie 2012/13 alles gut werden könnte im Europapokal?
Ich legte bei diesem Tor den Ball auf Robben nach außen, er spielte ihn zu mir nach innen - bemerkenswert, dass das passierte … (lacht) - mein Schuss ging rein. Vielleicht war es tatsächlich ein Zeichen. Im Jahr zuvor waren wir womöglich zu gierig gewesen, weil wir als erste Mannschaft im eigenen Stadion diesen Titel wollten. Deshalb erreichten wir - anders als Chelsea - nicht unser höchstes Niveau. Wir waren die bessere Mannschaft, die Chelsea-Spieler hatten nicht gewusst, wieso sie den Titel gewonnen hatten, wie mir Jahre später der vormalige Chelsea-Spieler Mata bei Manchester United bestätigt hat.
Wie gingen Sie in diese Saison 2012/13? Deprimiert oder mit dem absoluten Jetzt-erst-recht-Willen?
Wir wollten jedem zeigen, dass wir die beste Mannschaft sind. Und wenn die Champions-League-Hymne lief, war im Gesicht eines jeden unserer Spieler zu sehen, dass wir bereit waren, in dieser Spielzeit ganz weit zu gehen. Da war eine Art Schwur zu spüren. Und gleich zu Beginn der Vorbereitung lebte uns Trainer Jupp Heynckes diese Entschlossenheit vor.
Trotz der titellosen Saison 2011/12 - in der Bundesliga Zweiter hinter Dortmund, im Pokalfinale eine 2:5-Packung gegen den BVB - blieb Jupp Heynckes. Glaubte die Mannschaft noch an diesen Trainer?
Das Finale von Wembley
Ja. Nach der Vorsaison entstand ein besonderer Teamspirit, zudem wollte die Mannschaft umso mehr den optimalen Abschied für Heynckes, nachdem Pep Guardiola als sein Nachfolger feststand.
Heynckes war also keine Lame Duck?
Ganz und gar nicht. Er hat eine unfassbare Motivation und Ambition vorgelebt, und was wir bewundert haben, war, dass er sich in seinem Alter und mit seinen Erfolgen um die notwendigen zwei, drei Prozent umgestellt hat, um das Zusammenspiel noch mehr zu forcieren. So verhalten sich nicht alle großen Trainer, oft verhindert bei ihnen das Ego eine solche Wandlung. Er hat alles super gemanagt, seine menschliche Ansprache nicht nur an die Spieler, sondern an alle Angestellten des Vereins war sensationell. So schaffte er, was zuvor keiner in München erreicht hatte. Da kann man ihm nur höchsten Respekt zollen.
Heynckes sagte später oft, er habe in seiner rund 40-jährigen Karriere als Fußballlehrer nie eine Mannschaft erlebt, die in jedem Training so konzentriert und professionell gearbeitet habe wie das Triple-Team 2012/13. Was ging damals ab?
Wir haben uns gegenseitig motiviert und wussten genau, wann wir es etwas lockerer angehen konnten und dann wieder 100 Prozent geben mussten. Es gab immer wieder Rotation, und wer auf dem Platz stand, brachte stets seine Leistung. Ich hatte im Mittelfeld verschiedene Partner, Javi Martinez, Luiz Gustavo oder Anatoliy Tymoshchuk. Es hat immer bestens funktioniert, weil sich keiner zu wichtig nahm. Jeder stellte sich in den Dienst der Mannschaft. Als uns Heynckes verließ und später Spieler wie Dante, Gustavo, Tymoshchuk oder Mandzukic gingen, kam leider ein Bruch.
Vor der Saison kam für die damalige FCB-Rekordablöse von 40 Millionen Euro der Sechser Javi Martinez, dazu Abwehrmann Dante, die Mittelstürmer Mandzukic und Claudio Pizarro sowie das Sturmtalent Xherdan Shaqiri. Es waren keine internationalen Superstars. Stellte der Klub damit dennoch entscheidend die Weichen?
Jeder für sich war sehr wichtig, aber mein persönlicher Schlüsselspieler war Mandzukic. Er tat den gegnerischen Verteidigern weh, hat Tore geschossen und vorbereitet und sehr viel für die Mannschaft gearbeitet. Würde er heute irgendwo spielen, würde ihn der FC Bayern sofort verpflichten. Einen solchen Spieler brauchst du. Sein Abgang hat mir nicht gefallen, da wurde Mandzukic zu wenig Respekt entgegengebracht. Ich bin mir sicher, wäre Heynckes geblieben, hätten wir das Finale der Champions League häufiger erreicht. Mir sagen Fans heute, zwischen 2010 und 2013 konnten sie sich am meisten mit der Mannschaft identifizieren.
2012/13 gab es für den FC Bayern zwei Niederlagen in der Königsklasse, 1:3 bei BATE Baryssau und 0:2 zu Hause im Achtelfinale gegen den FC Arsenal nach dem 3:1-Erfolg auswärts. In Minsk gegen BATE wurden Sie in der 77. Minute eingewechselt, gegen Arsenal waren Sie gesperrt. Fangen Sie noch heute zu zittern an, wenn Sie an jene Partie gegen Arsenal zurückdenken?
Wir bekamen früh das 0:1 und fünf Minuten vor Schluss das zweite Tor durch Koscielny. Ich saß gesperrt auf der Tribüne und habe schwer aufgeatmet, als der Abpfiff kam.
Wir hatten Glück, als Dante im Endspiel nicht die Gelb-Rote Karte bekam beim Foul, das zum Elfmeter führte.
Bastian Schweinsteiger über das Finale 2013
Anschließend folgten Siege gegen Topteams, zweimal mit 2:0 gegen Juventus Turin im Viertelfinale sowie im Halbfinale ein 4:0 zu Hause und ein 3:0 in Barcelona. Stand damit fest, dass der FCB - in der Liga gab es nur eine Niederlage, 1:2 gegen Leverkusen - als Favorit ins Londoner Endspiel ging?
Klar, es war jedem bewusst, obwohl Dortmund Real Madrid im Halbfinale ausgeschaltet hatte. Der BVB hatte eine starke Mannschaft, aber wir wussten um unsere Stärke. Und wir hatten Glück, als Dante im Endspiel nicht die Gelb-Rote Karte bekam beim Foul, das zum Elfmeter führte.
Und Ribery hätte nach einer Tätlichkeit gegen Robert Lewandowski in der 26. Minute Rot sehen müssen …
… das kam bei Franck gegen Dortmund nicht nur einmal vor. Aber ich spiele lieber mit solchen Typen als mit manchen der heutigen Zeit. Wenn ich im Mittelfeld den Ball hatte und auf Ribery oder Robben passte, fragte der jeweils andere, warum ich nicht ihm den Ball gab. Daran sieht man, wie sehr die beiden wollten. Diese Gier vermisse ich heute zuweilen.
Welche Erinnerung haben Sie persönlich an dieses deutsche Finale?
Fünf Minuten vor Schluss bekam ich im Strafraum einen Ball von der rechten Seite, ich schoss und dachte, kein schlechter Zeitpunkt, ein Tor zu machen. Mandzukic hatte zuvor noch an die Latte geköpft, Robben Weidenfeller ins Gesicht geschossen. Und das 1:0 von Mandzukic war die Erlösung. Die Entstehung des 2:1 war sehr kurios. Ich bot mich links an der Mittellinie an, doch Boateng schlug den Ball lang, dann waren zu unserem Glück beide Flügelspieler in der Mitte: Es war eigenartig, dass wir das Champions-League-Finale mit einem 5-km/h-Schuss gewonnen haben.
Was ist neben der sportlichen Qualität entscheidend in einem Finale?
Die zwei Finals davor halfen, also die Erfahrung. Du brauchst Glück, dazu einen guten Torwart, den wir und die Dortmunder hatten. Eine Mannschaft ohne Teamgeist steht nicht im Endspiel. Und man muss Risiko gehen, siehe Jeromes langen Ball vor dem Siegtor.
Dachten Sie, als Ilkay Gündogan den Strafstoß zum 1:1 in der 68. Spielminute verwandelte, dass es nun schon wieder losgehe wie 2012?

Erzielte im Finale 2013 das entscheidende Tor für die Bayern: Arjen Robben. imago sportfotodienst
Nein. Ich war immer vom Sieg überzeugt und spürte, dass es unser Tag sein würde. Der Blick in alle Gesichter unserer Mannschaft und aller im Staff bestätigte mich. Und beim Elfer schaute ich auf die Stadionuhr und dachte, 25 Minuten bleiben noch. Gegen Chelsea hatten wir 2012 nicht mehr so viel Zeit gehabt.
Robben gelang das 2:1. Ein Jahr zuvor hatte er in der fünften Minute der Verlängerung einen Strafstoß vergeben. Ist da eine höhere Macht am Werk?
Ich glaube, dass sich der Fußball für den entscheidet, der es auch verdient hat. Arjen hatte in der Liga in Dortmund 2012 am 30. Spieltag kurz vor Schluss schon einen Elfmeter verschossen, wir verloren 0:1, der BVB wurde Meister. Und nun traf er. Was für eine Fügung! Sein Torjubel sprach Bände.
Für Sie und Philipp Lahm war es im dritten Anlauf der erste internationale Titel, nachdem es mit der Nationalelf bei der EM 2008 im Finale gegen Spanien, bei der WM 2010 im Halbfinale wieder gegen Spanien sowie 2012 im EM-Halbfinale gegen Italien knapp mit dem Triumph nicht geklappt hatte. Welche Gefühle kamen in Ihnen hoch nach dem Schlusspfiff?
Mir bedeutete es sehr viel, dass ich mit den Spielern, mit denen wir noch ein Jahr zuvor weinend in der Kabine gesessen hatten, diesen Pokal gewonnen habe. Philipp kannte ich schon aus der Jugend. Und die damalige Kameradschaft vermisse ich seit meinem Karriereende. Dieser Sieg verbindet uns, die ganze Mannschaft, ein Leben lang. Der Traum, mit Bayern die Champions League zu gewinnen, hatte sich erfüllt. Grundsätzlich habe ich den Fußball nie als Druck empfunden, außer in den ersten 25 Minuten in jenem Finale. Wir waren mehrmals nah dran, die Niederlage 2012 war die Basis für die Titel 2013 und 2014.
Der damals neu gekommene FCB-Sportvorstand Matthias Sammer erhob Sie, Lahm und Manuel Neuer zu Führungsspielern …
… ja, das hat er getan. Aber bei Problemen im Team hat sich die Mannschaft selbst gereinigt und die Probleme gelöst. Der Trainer und die fünf, sechs Führungsspieler sprachen mit einer Zunge. Das war der Vorteil. Heynckes musste nicht wie im Kindergarten Vorgaben machen. Für mich war jeder Spieler extrem wichtig. Von Ribery und Robben wusste ich, dass sie in manchen Momenten etwas egoistisch sind, aber große Spiele entscheiden würden. So kam es. Wir hatten eine perfekte Mischung. Sonst hätten wir 2012 nicht verarbeiten und 2013 das erste Triple holen können. Das Finale dahoam war die größte Niederlage meiner Karriere. Deshalb empfand ich nach dem Abpfiff in Wembley nur die pure Freude, dass wir die Saison 2012 mit den drei 2. Plätzen korrigiert hatten. Und eine gewisse Dankbarkeit.
Auf der Sieger-Party konnten Sie den Chef Heynckes, der damals schon 68 Jahre alt war, zum beschwingten Tänzchen bewegen. War das Ihr schwierigster Auftrag an jenem Tag?
Heynckes kam nach dem Training oft in den Fitnessraum, ich sorgte für die Musik dort, mit Songs aus den 1980er Jahren. Ich war großer Fan dieser Zeit, Heynckes ebenso. Eines Tages schenkte er mir fünf CDs mit je 20 Liedern aus jener Zeit, rund 40 wählte ich aus und ließ sie laufen, wenn er in den Fitnessraum kam. Deswegen habe ich ihn auf die Tanzfläche geholt. Und wenn nicht nach diesem Erfolg, wann kann man dann tanzen?
Heynckes verbot in jenen Tagen extreme Feierlichkeiten, weil eine Woche darauf das Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart anstand, also der dritte Titel möglich war. Er sagte: Ihr könnt euch unsterblich machen. Zehn Jahre danach können Sie es verraten: Wurde Heynckes’ Ansage penibel eingehalten?
Es war nicht so, dass wir nur Wasser getrunken haben. Wir haben schon gefeiert, hatten aber als großes Ziel das Triple vor Augen, dem wir alles unterworfen und deshalb zwischen den Endspielen in London und Berlin richtig gut trainiert haben. Der Sieg in der Champions League gab uns einen zusätzlichen Schub.
Nach der 3:0-Führung gegen den VfB dirigierte Heynckes überraschend eifrig an der Linie, als hätte er die folgenden zwei Stuttgarter Tore vorhergesehen.
Nach dem Topstart dachten die Offensivspieler, jetzt müssen wir nicht mehr so viel nach hinten tun. Schon spürten wir, dass es schwer wird, wenn wir fünf bis zehn Prozent nachlassen.
Die Dortmunder mussten halt Spieler verkaufen.
Bastian Schweinsteiger auf die Frage, warum sich der FCB und der BVB unterschiedlich weiterentwickelten
Warum ging die Entwicklung beim FCB und beim BVB so unterschiedlich weiter?
Die Dortmunder mussten halt Spieler verkaufen.
Auf Heynckes folgte der internationale Star-Trainer Pep Guardiola. Warum gelang es dem FC Bayern nicht, den Champions-League-Triumph 2013 zu wiederholen, zumal Topspieler wie Robert Lewandowski oder Mario Götze geholt wurden?
Da kommt es auf Kleinigkeiten an, auf die Gegner, die auch mal besser waren, wie Real im Halbfinale 2014. Die Madrilenen haben uns kommen lassen und ausgekontert beim 0:1 und 0:4, wie wir es unter Heynckes auch praktizierten. Da hieß es nicht, immer nach vorne und Ballbesitz, sondern wir ließen den Gegner kommen und verteidigten. Eine solche Strategie passte nicht ganz zu Guardiolas Philosophie, sodass wir in die eine oder andere Falle getappt sind, obwohl Pep einer der weltbesten Trainer ist.
Welche Auswirkungen hatte dieses Champions-League-Finale von 2013 auf den deutschen Fußball insgesamt?
Große. Neben den Bayern zeigten sich die Dortmunder auf eine unglaubliche Art in der Königsklasse. Da müssen die deutschen Klubs wieder hinkommen. Allerdings gehen die finanziellen Möglichkeiten heute enorm auseinander. Doch der BVB hat es 2012/13 mit seiner tollen Einstellung auch geschafft. Jürgen Klopp stellte eine geniale und schwer zu bespielende Truppe zusammen.
Wäre der WM-Sieg ohne Triple möglich gewesen?
Beide Titel hängen klar zusammen. Wir hatten eine Achse in München, die 2014 auch bei der Nationalmannschaft funktionierte. Ein solches Grundgerüst ist im heutigen Fußball sehr wichtig, außerdem die Einsicht, dass das Verteidigen eine enorme Bedeutung hat. Manchester City hat im diesjährigen Viertelfinale gegen die Bayern konsequent verteidigt. Alle vier Halbfinalisten bei der WM in Katar spielten so, sie machten die Mitte dicht. Es war schön zu sehen, dass diese Spielweise zum Erfolg führt. Man kann nicht immer nur hinten herumspielen. Und wenn Torhüter heute mit dem Ball am Fuß Fehler machen, ist Neuer daran schuld, weil er immer herausspielt (grinst) - aber Neuer beherrscht es halt. Wenn ich nach meinen besten Mitspielern gefragt werde, nenne ich immer Neuer. Er hat das Torwartspiel mit dem Fuß revolutioniert und hält auch noch Bälle mit der Hand.
Hat der deutsche Fußball nach dem deutschen Champions-League-Finale und dem WM-Triumph 2014 zu sehr das spielerische Moment bevorzugt?
Ja. Du darfst deine eigenen Werte nicht verlieren, das ist im Fußball wie im Leben wichtig. Für unsere Qualitäten wurden wir im Ausland beneidet, wie ich bei meinen Stationen in England und den USA gehört habe. Bei ManUnited sagten große englische Nationalspieler: Ihr Deutschen seid nicht mehr die, die ihr einmal wart. Spielerische Lösungen ja, aber Zweikämpfe und Eins-gegen-eins-Situationen sind die Basis. Siehe den Weltmeister Argentinien: Dessen Innenverteidiger Otamendi und Romero sind sicher nicht die besten Fußballer, hatten aber Einsatz und große Lust zu verteidigen.
Trauern Sie weiteren Titeln wie dem Sieg bei einer Europameisterschaft nach?
Das einzige Spiel, das ich noch einmal spielen möchte, wäre das Champions-League-Finale 2012.
Das Interview erschien zuerst in der kicker-Ausgabe Nr. 42 am 22. Mai 2023.