Champions League

Selbst City bedient sich: Was genau ist eigentlich Catenaccio?

Inters erfolgreicher Spielstil aus den 1960er Jahren

Selbst City bedient sich: Was genau ist eigentlich Catenaccio?

Drei erfolgreiche Trainer mit - zum Teil - ähnlichen Ideen: Pep Guardiola, Helenio Herrera und Simone Inzaghi (v. li.).

Drei erfolgreiche Trainer mit - zum Teil - ähnlichen Ideen: Pep Guardiola, Helenio Herrera und Simone Inzaghi (v. li.). imago images (3)

Wie "Tempo" für Taschentücher oder "Tesa" für einen Klebestreifen ist der geflügelte Begriff "Catenaccio" im Fußballjargon längst vom Markennamen zum Synonym geworden. Im Fall des Catenaccio eines für sturen Defensivfußball.

Das ist allerdings ungenau und verklärt die offensiven Aspekte des Catenaccio, der streng genommen zunächst nur bei Inter Mailand praktiziert wurde. Sein Großmeister hieß Helenio Herrera, der die Nerazzurri, das sogenannte "Grande Inter", 1964 und 1965 zu den ersten beiden Europapokalsiegen führte.

Catenaccio ist aus dem Italienischen als "Bolzen" oder "Riegel" zu übersetzen und die Weiterentwicklung eines Spielsystems, das auf dem "Schweizer Abwehrriegel" des österreichischen Trainers Karl Rappan (in den 1930er Jahren in Zürich, Genf und bei der Schweizer Nationalmannschaft tätig) basiert.

Rappan hatte sich die damals übliche 2-3-5-Formation genommen, beide Außenläufer sowie beide Halbstürmer zurückgezogen und dem Mittelläufer eine rein defensive Rolle verpasst. Herauskam eine Art 5-2-3, genauer gesagt ein 1-3-1-2-3 mit Libero. Rappans Fokus auf die Defensive fand besonders im italienischen Fußball Zuspruch, wo Sicherheit und Kontrolle gern gesehen waren.

Der Catenaccio war die offensivste Interpretation des Riegels

Nereo Rocco, der auch die AC Mailand trainierte, gilt als erster Trainer, der den Riegel in Italien kopierte. Der Argentinier Herrera bei Inter gilt als der, der damit erfolgreichsten war. Auch weil seine Abwandlung, die als Catenaccio weltberühmt wurde, die vielleicht offensivste Interpretation darstellte.

Was Herrera übernahm - und die Bedeutung der Begriffe Riegel und Bolzen erklärt -, war die Aufstellung der Hintermannschaft. Vor und hinter den Manndeckern verschoben der Libero und der defensive Mittelfeldspieler in der Defensive stets in Richtung des ballführenden Gegenspielers - wie ein Riegel eben.

Herreras Riegel aber war kleiner. Vor seinem Libero Armando Picchi setzte er lediglich auf zwei Manndecker. Den dritten, den Linksverteidiger, machte er zu einem Schienenspieler mit der Lizenz zum Angreifen - die Rolle, in der der umgeschulte Stürmer Giacinto Facchetti zur Legende wurde. Sie war gleichzeitig die Schlüsselrolle des Umschaltspiels, das ebenso zum Catenaccio gehörte wie angerührter Beton.

Giacinto Facchetti

Stand in erster Linie für den offensiven Part des Catenaccio: Inter-Ikone Giacinto Facchetti. imago/WEREK

So wollte auch Herrera die Räume in der eigenen Hälfte mitunter massiv verdichten, allerdings mehr als Lock-Mechanismus. Ließen sich die Gegner dann rausziehen, wurden sie blitzschnell ausgekontert, auch mithilfe einer Asymmetrie auf den Außenbahnen. Glückte auf diese Weise die Führung, zelebrierte aber auch Herreras Inter gerne das, was die meisten unter Catenaccio verstehen: destruktives Verwalten. Und nur noch selteneres Kontern.

Wenn Inter großen Erfolg hat, dann so

Es sind wiederkehrende Erfolgsprinzipien, die sich durch Inters Vereinsgeschichte ziehen. In den 1960ern der originale Catenaccio, beim nächsten Henkelpott 2010 unter José Mourinho verhalf ein ähnlicher Ansatz den Nerazzurri zum Erfolg - wie es auch im Champions-League-Finale am Samstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) gegen das (ball-)dominante Manchester City gelingen könnte. Verdichten, anlocken, auskontern - und wieder von vorn. Gegen die Skyblues geht es wohl ohnehin nicht anders.

Mag Herreras Formation, speziell der Libero, inzwischen überholt sein, sind es seine Prinzipien noch 2023 definitiv nicht. Inzwischen hat sogar Pep Guardiolas City gelernt, seinen Gegner in Phasen clever anzulocken, um ihn daraufhin überfallartig auszukontern. Selbst wenn dieser Mannschaft wohl als letztes Catenaccio vorgeworfen wird …

Niklas Baumgart

13 verschiedene Klubs, zwei deutsche: Alle Champions-League-Sieger seit 1993