Junioren (D)

BVB-Coach Tullberg sorgt mit der U 19 für Furore

Dortmunds U-19-Trainer im Interview und die 25-50-25-Formel

Tullberg: "PSG war das größte Spiel, aber unsere Reise soll nicht zu Ende sein"

BVB-Coach Mike Tullberg sorgt mit der U 19 für Furore.

BVB-Coach Mike Tullberg sorgt mit der U 19 für Furore. IMAGO/Patrick Ahlborn

Borussia Dortmunds Jugendabteilung hat in den vergangenen Jahren viele Toptalente hervorgebracht - und auch die aktuelle U 19 des BVB sorgt wieder für Furore. Obwohl individuell nicht so stark besetzt wie in den Vorjahren, auch weil Spieler wie Youssoufa Moukoko oder Jamie Bynoe-Gittens fest bei den Profis spielen, überzeugt sie durch mannschaftliche Geschlossenheit. Am vergangenen Wochenende krönte sich der BVB-Nachwuchs zum Westdeutschen Meister, am Mittwoch nun steht das Viertelfinale der Youth League gegen Hajduk Split (18.30 Uhr) an, gespielt wird im Signal Iduna Park. Im Vorfeld des Spiels sprach der kicker mit dem dänischen Trainer Mike Tullberg über den Gegner aus Kroatien, die Stärken seiner Elf und eine wichtige Formel in seiner täglichen Arbeit.

Herr Tullberg, 2022 spielten sie im Signal Iduna Park im Viertelfinale der Youth League gegen Atletico Madrid und verloren denkbar knapp. Fast auf den Tag genau ein Jahr später steht jetzt das Duell gegen Hajduk Split an. Was überwiegt: die Vorfreude oder die Anspannung?

Ganz klar die Vorfreude. Wir sind zum zweiten Mal in Serie unter die Top 8 Europas gekommen. Und das in einer Saison, in der viele unserer Jungs bereits im Erwachsenenbereich spielen.

Youssoufa Moukoko, Jamie Bynoe-Gittens und Tom Rothe könnten alle noch bei Ihnen spielen, zählen aber fest zum Profi-Kader.

Genau, aber wir haben beispielsweise auch mit Bradley Fink für die Youth League geplant, ehe er früh in der Saison nach Basel gewechselt ist. Man hat uns das in der Gruppenphase auch angemerkt. Wir haben uns zunächst schwergetan, haben nicht mehr mit diesem Offensivfußball spielen können wie zuvor, weil uns die Individualisten dazu gefehlt haben. Aber wir haben es durch strukturiertes und diszipliniertes Defensivverhalten geschafft, aus den letzten drei Gruppenspielen sieben Punkte zu holen und uns auch in den Play-offs gegen Hibernian Edinburgh durch ein Tor von Hendry Blank kurz vor Schluss durchzusetzen.

Paris? Für mich das bisher größte Spiel, seit ich beim BVB bin.

Mike Tullberg

Es folgte das Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain - das Ihr Team im Elfmeterschießen gewann.

Jeder hat vorher erwartet: Jetzt ist Schluss für den BVB. Bei Paris trainieren fünf, sechs Spieler aus der Mannschaft jeden Tag bei den Profis mit. Doch wir haben nicht glücklich, sondern verdient gewonnen. Durch eine hervorragende taktische Leistung der Jungs. Wir hatten sie erst einen Tag vor dem Spiel aus drei Mannschaften zusammengeholt und die Grundordnung angepasst. Wie sie das umgesetzt haben, hat mich sehr beeindruckt. Der Sieg war eine tolle Sache für unser gesamtes NLZ - und für mich das bisher größte Spiel, seit ich beim BVB bin. Aber unsere Reise soll jetzt noch nicht zu Ende sein.

Ist es vor dem Spiel gegen Split ein Vorteil für Ihre Mannschaft, dass einige Ihrer Spieler bereits in der vergangenen Saison gegen Madrid dabei waren?

Das ist in jedem Fall ein Vorteil. Zumal wir auch in dieser Saison bereits vor 10.000 Zuschauern in Edinburgh gespielt haben. Auch wenn wir uns sehr über 100 mitgereiste BVB-Fans vor Ort gefreut haben - das war ein klares Auswärtsspiel für uns. Die Kulisse am Mittwoch wird uns positiv beeindrucken - aber nicht limitieren.

Müssen Sie Ihre Spieler vor so einem großen Spiel in Ihrem Tatendrang eher bremsen oder Ihnen eher die Nervosität nehmen?

Die Jungs freuen sich, sie sind auch bereit dafür. Sie haben ja selbst gesehen, was in solchen Partien, die international beachtet werden und für sie auch ein Schaufenster sind, möglich ist, wenn man seine Leistung auf den Platz bekommt. Eine gewisse Anspannung muss aber auch da sein, sonst ist man falsch in dem Geschäft.

"Sie sind richtig aggressiv, diszipliniert und groß"

Split hat in der vergangenen Runde Manchester City mit 2:1 besiegt. Wo liegen die Stärken Ihres Gegners?

Ähnlich wie vor unserem Spiel gegen Paris haben wohl auch hier die wenigsten mit einem Weiterkommen von Hajduk Split gerechnet - aber auch das war verdient. Manchester hatte zwar teils bis zu 90 Prozent Ballbesitz, aber sie haben daraus wenig Chancen kreiert, während Split durch guten Umschaltfußball mehrmals gefährlich vors Tor kam. Hajduk spielt im 5-4-1, sie stehen hinten drin, sind richtig aggressiv, diszipliniert und groß. Sie gehen keinem Zweikampf und keiner Grätsche aus dem Weg - und schalten nach Ballgewinnen blitzschnell um. Auch bei Standards sind sie aufgrund ihrer Körperlichkeit gefährlich. Es ist einfach, ihr Spiel zu lesen. Aber es ist schwer, gegen sie zu spielen.

Wie viel Selbstvertrauen hat Ihrem Team der Sieg gegen Paris gegeben?

Dass das einen Schub gegeben hat, ist klar. Aber ein Mangel an Selbstvertrauen ist bei den Jungs ohnehin kein Problem. Weder bei uns noch generell in diesem Alter (lacht). Wir haben Spieler in der Mannschaft, die in der U 19 seit drei Jahren kein Meisterschaftsspiel verloren haben. Die wissen, was sie können. Abgesehen davon haben wir intern immer an unsere Chance geglaubt, denn wir haben in der Analyse auch gesehen, dass Paris defensiv immer wieder Schwächen zeigt. Das hat sich im Spiel auch bewahrheitet. Wir gehen auch das Spiel gegen Split mit einem gesunden Selbstvertrauen an, aber ohne Arroganz.

Sie haben vor der Partie gegen PSG gesagt, dass neun von zehn Spielen gegen diese Mannschaft mit einer Niederlage enden, in diesem einen Spiel aber eine Siegchance liegen würde. Weil Talent nicht alles ist?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Hendry Blank zählte vor der Saison nicht zu den größten Toptalenten. Wie einige andere auch bei uns. Ihm wurden eher wenig Spielanteile zugetraut. Aber er hat sich reingekämpft in die Mannschaft und sich hervorragend entwickelt. Durch seinen Fleiß spielt er inzwischen nicht nur national, sondern auch international eine richtig gute Rolle. Die Entschlossenheit, die wir in der Mannschaft haben, ist ein wichtiger Faktor. Wir haben über die gesamte Saison eine sehr gute Defensivleistung gezeigt. Jeder arbeitet nach hinten mit, alle verstehen, dass sie das Tor verteidigen müssen. Wir haben vielleicht nicht so viele Tore geschossen wie im Vorjahr - aber wir haben die wenigsten kassiert. In der Youth League war es genauso. Paris hat in der Gruppenphase im Schnitt 3,5 Tore pro Spiel geschossen. Gegen uns nur eins. Die Jungs machen es herausragend. Mit sehr viel Willen, sehr viel Mentalität und sehr viel Disziplin.

Frankreich verfügt über einen Mega-Pool an Talenten, in Deutschland dagegen schlagen die Experten seit Jahren Alarm. Teilen Sie die Einschätzung, dass im deutschen Nachwuchsbereich vieles falsch läuft?

Grundsätzlich würde ich es begrüßen, wenn wir national mehr Spiele auf höchstem Niveau hätten. Auch die Gedanken von Hannes Wolf und Hermann Gerland zum Kinder- und Jugendfußball habe ich mit Interesse verfolgt. Es ist gut, wenn sich solche Persönlichkeiten, die sehr viel Ahnung von der Materie haben, sich einbringen. Aber ich schaue vor allem darauf, was beim BVB passiert. Das kann ich am besten beurteilen.

Die 25-50-25-Formel

In Dortmund gelingt den Talenten immer wieder der Sprung in den Profi-Bereich. Wie lautet Ihr Erfolgsgeheimnis?

Das Wort gefällt mir nicht besonders gut. Was uns wichtig ist, ist, dass wir aus den Voraussetzungen, die wir haben, das Bestmögliche herausholen. Wir arbeiten bei uns im Trainerteam mit einer 25-50-25-Formel.

Das bedeutet?

25 Prozent der Zeit werden unsere Spieler unterfordert - etwa im Training oder in den nationalen Spielen. 50 Prozent der Zeit werden sie auf ihrem aktuellen Leistungsniveau gefordert. Und 25 Prozent der Zeit werden sie ganz gezielt überfordert. Das kann über Einsätze bei der U 23 oder in der Youth League passieren, aber auch durch Trainingseinheiten bei den Profis. Oder indem ich einen Spieler im Training in ein Eins-gegen-Eins-Duell gegen einen anderen Spieler schicke, der ihn in neun von zehn Fällen hops nimmt. Daran kann ein Spieler wachsen und sich entwickeln. Und noch etwas ist uns wichtig.

Und das wäre?

Das Gewinnen und Verlieren spielt bei uns eine große Rolle. Es ist wichtig, immer das Maximale herauszuholen. Wir wollen nicht ein Prozent weniger geben. Nicht im Training. Nicht in einem Testspiel. Nicht in einem Pflichtspiel. Es gilt, immer das Maximale herauszuholen. Das klingt banal, ist aber elementar. Wenn es dann nicht klappt - sei es mit dem Sieg oder auf die Spieler heruntergebrochen mit der Profikarriere -, dann kann man für sich immer noch sagen: Ich habe alles dafür getan.

Das klingt, als würden Sie sehr hohe Anforderungen an Ihre Spieler stellen.

Das ist so, ja. Wir hatten in dieser Saison nicht unbedingt die beste Mannschaft in der Liga. Aber wir sind wieder ungeschlagen Westdeutscher Meister geworden. Von den deutschen Teams, die in der Youth League dabei waren, lautete der durchschnittliche nationale Tabellenplatz nach der Gruppenphase 7,4. Wir waren Erster. Und das in einer Saison, in der wir praktisch keine Ruhephasen hatten, von den Länderspielpausen einmal abgesehen. Wie die Jungs damit umgegangen sind, hat mich sehr beeindruckt.

Wir haben sehr, sehr viele, die extrem professionell leben für Ihren Traum.

Mike Tullberg

Wie eng ist Ihre Betreuung?

Für uns ist es wichtig, was die Jungs machen, wenn wir mal nicht zugucken. Wir betreuen Sie in der Regel ja nur zwei bis vier Stunden am Tag. Es gibt im Englischen den Spruch: It's all about the habits. Das bedeutet: Wie verbringen sie ihren Tag? Welche Gewohnheiten haben sie? Wie professionell leben sie? An freien Tagen schaue ich manchmal nach, wer im Kraftraum ist oder in der Eistonne sitzt. Und ich muss sagen: Wir haben sehr, sehr viele, die extrem professionell leben für Ihren Traum.

"Bei uns heißt es nicht "Ich", sondern immer "Wir"!"

Wie definiert sich für Sie Erfolg als Trainer einer U 19?

Es geht nicht um Mike Tullberg. Das ist mir extrem wichtig. Es geht um den BVB. Bei uns heißt es nicht "Ich", sondern immer "Wir"! Niemand von uns schafft etwas allein, keiner kann alleine strahlen. Das verstehen die Jungs. Das verstehen auch wir im Trainerteam. Noch größer als unsere Ergebnisse ist es, wenn wir - wie in der Vorsaison beim 6:1-Sieg gegen Wolfsburg - drei U-18- und einen U-19-Spieler in der Bundesliga auf dem Feld stehen haben. Dafür sind wir da. Das ist unser Job. Ich freue mich, dass es auch in dieser Saison wieder geklappt hat und wir in Youssoufa, Jamie und Tom bei den Profis und Abdoulaye Kamara und Nnamdi Collins bei der U 23 einige von uns frühzeitig in den Profibereich übergeben konnten. Darauf können viele bei uns stolz sein, weil sie einen Anteil daran haben.

In Edin Terzic trainiert ein langjähriger Borusse die Profi-Mannschaft. Er war zuvor Technischer Direktor. Wie eng ist Ihr Draht?

Edin ist nicht nur ein hervorragender Trainer, er ist auch ein hervorragender Mensch. Ich weiß bei Edin, dass er sich immer die Zeit nimmt. Ich kann mit ihm nicht nur jederzeit über Fußball reden, sondern auch privat. Ich hatte immer einen guten Draht zu den Profitrainern beim BVB, aber durch die langjährige Bekanntschaft mit Edin ist es jetzt noch einmal deutlich enger. Er ist für mich eine große Unterstützung. Aber es geht im gesamten Klub sehr familiär zu. Die Wege sind kurz. Ob im Trainerteam, zu Sportdirektor Sebastian Kehl oder natürlich auch zur Lars Ricken.

Wenn ich um Mitternacht Bedarf habe zu reden, dann rufe ich Lars eben an.

Mike Tullberg

Stimmt das Gerücht, dass Sie mehr mit Ricken, dem Direktor des Nachwuchsleistungszentrums, sprechen als mit Ihrer Frau?

Da könnte etwas dran sein. Lars hat den Fehler gemacht, dass er ganz am Anfang unserer Zusammenarbeit immer drangegangen ist, wenn ich ihn angerufen habe. Wenn ich so etwas merke, dann denke ich mir: Ja, gut, dann kann ich rund um die Uhr anrufen. Lars hat mir schon häufiger mal geraten, ich solle doch auch mal schlafen gehen, wenn ich ihn spät abends angerufen habe. Ich bin ein extrovertierter Typ, zeige pure Emotionen und brauche viel Kontakt mit anderen Menschen. Und wenn ich um Mitternacht Bedarf habe zu reden, dann rufe ich Lars eben an. (lacht)

Sie sprechen es an: An der Seitenlinie sind sie viel unterwegs und sehr laut. Wie sind Sie in der Kabine?

Außerhalb des Platzes bin ich schon etwas ruhiger. Aber mir ist es wichtig, nichts liegenzulassen. Wenn ich irgendwo das Gefühl habe, dass etwas fehlt, dann gehe ich da ran.

Sie haben in Dortmund einen Vertrag bis 2026, Erfolg aber weckt Begehrlichkeiten. In dänischen Medien wurden Sie vor einiger Zeit bereits als künftiger Trainer des Spitzenklubs Bröndby gehandelt. Wie sehr reizt Sie der Sprung in den Seniorenbereich?

Als ich vor vier Jahren zum BVB kam, lautete eine der ersten Fragen, die mir gestellt wurde: Wann wechselst du nach England? Diesen Weg sind ja einige meiner Vorgänger gegangen. Aber mir ist wichtig zu sagen, dass ich nicht zur Borussia gekommen bin, um den Klub als Sprungbrett zu nutzen. Meine Klubs zuvor waren die Sprungbretter für den Job beim BVB. Ich bin echt stolz, hier arbeiten zu dürfen. Ich freue mich jeden Tag, wenn ich hier auf das Gelände fahre. Ich habe als ausländischer Trainer einen wichtigen Posten im Verein - und ich habe das Gefühl, dass man meine Arbeit sehr wertschätzt. Ich beschäftige mich nicht mit Dingen, die in vier, fünf Jahren passieren könnten. Ich bin froh, hier arbeiten zu können. Ich hoffe, das spiegelt sich auch in meiner Arbeit wider.

Interview: Matthias Dersch

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