Dr. Joachim Rain, einer der Anwälte des HSV-Profis Mario Vuskovic, brachte es in seinem Schlussplädoyer auf den Punkt: Der Sportgerichtsprozess um das mutmaßliche Dopingvergehen Vuskovics "geht für uns alle auch an intellektuelle Grenzen". Denn in der Frage, ob der 21-Jährige anhand der als "positiv" klassifizierten Dopingprobe aus dem vergangenen September schuldig gesprochen werden darf oder freigesprochen werden muss, liefern sich Naturwissenschaftler auf höchster Ebene einen Glaubenskrieg. Zwischen den Fronten steckt ein allemal bemitleidenswerter junger Mann, der am Freitag unter Tränen nochmals seine Unschuld beteuerte.
Vuskovics Verzweiflung lässt sich in jedem Fall nachvollziehen angesichts der Komplexität eines für naturwissenschaftliche Laien letztlich undurchschaubaren Falls. Dass sich das DFB-Sportgericht unter Vorsitz von Dr. Stephan Oberholz nun bis zu zwei Wochen Zeit für eine Urteilsfindung nimmt, ist eine logische und richtige Entscheidung.
Aufklärung oder Unschuldsvermutung - was geht im Zweifel wirklich vor?
Im Kern geht es weiter um die Frage: Ist das von der WADA anerkannte und vom Institut für Dopinganalytik in Kreischa angewandte SAR-PAGE-Verfahren als Nachweis eines Epo-Vergehens wirklich wasserdicht oder nicht? Nein, argumentieren die von der Verteidigung aufgebotenen Gutachter. Zu diesen zählte u.a. Prof. Dr. Lorenz Hofbauer von der Uni Dresden, der am Freitag per Powerpoint-Präsentation die Zweifel nochmals präzisierte. Diese gründen darauf, dass die SAR-PAGE-Methode zum Epo-Nachweis in einem bildgebenden Verfahren und der folgenden Interpretation dieser Bilder besteht. Je nach Belichtungszeiten und Bildbearbeitung sowie je nach Verhältnis zwischen körpereigenem und etwaigem von außen zugeführten Epo könnten demnach unterschiedliche Eindrücke entstehen. Allerdings räumte Hofbauer auch ein: Die SAR-PAGE-Methode sei aktuell das zuverlässigste bzw. "am wenigsten schlechte" Verfahren zum Epo-Nachweis. Insofern gilt, was der DFB-Kontrollausschussvorsitzende Dr. Anton Nachreiner festhält: "Wenn SAR-PAGE nicht mehr anerkannt würde, könnte man einen Fall wie den vorliegenden überhaupt nicht aufklären." Doch könnte man damit im Zweifel nicht besser leben als mit der Verurteilung eines Unschuldigen?
Nachreiner sieht "Tatbestand erwiesen", will aber mildere Strafe
Zumal eine vierjährige Sperre, die auf absichtliches Epo-Doping steht, Vuskovics vielversprechende Karriere faktisch beenden würde. "Mich stört, dass es keinen Strafrahmen gibt", erklärt auch Nachreiner, der sich ein möglichst mildes Urteil erhoffen würde: "Ich würde dagegen keine Einwände erheben", gab er dem Gericht gleich mit auf den Weg, "auch wenn das an mancher Stelle nicht gern gesehen würde." Allerdings: "Wir sind eigentlich an die internationalen Vorgaben gebunden." Nachreiner hält aufgrund der formalen Einhaltung der WADA-Standards im Fall Vuskovic "den Tatbestand für unproblematisch erwiesen". Zugleich hält er fest: "Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für systematisches Doping." Und: "Systematisches Doping oder ein einmaliger Fehler eines jungen Mannes wären ein elementarer Unterschied." Was diese juristische Hilfskrücke ins Spiel bringen könnte: Bei fehlender Absicht ließe sich die Vierjahres-Strafe offenbar halbieren. Doch das würde letztlich die Annahme voraussetzen, dass Vuskovic die verbotene Substanz ohne sein Wissen injiziert wurde.
Vuskovic lehnt einen "Deal" zur Strafreduzierung ab
Auch ein Geständnis des Profis würde das Strafmaß erheblich reduzieren. Das legte Nachreiner Vuskovic in seinem Schlussplädoyer ebenfalls und wohl nicht zum ersten Mal nahe. Ein solcher offenbar vom Kontrollausschuss angestrebter Deal war nämlich schon zuvor während einer Verhandlungsunterbrechung gescheitert. Über 90 Minuten zogen sich die Parteien zu einem so genannten "Rechtsgespräch" zurück - ohne Ergebnis, da Vuskovic auf seine Unschuld besteht.
Gutachter und WADA verweigern die vom Gericht geforderte C-Probe
Für Verstimmung auf allen Seiten sorgte derweil der vom Sportgericht bestellte kanadische Gutachter Jean-Francois Naud. Dass dieser am Analyse-Verfahren des Labors in Kreischa und der Interpretation der Bilder nichts zu beanstanden hatte, war keine Überraschung. Allerdings verweigerte Naud, gemeinsam mit Kreischa-Laborleiter Dr. Sven Voss in einer WADA-Arbeitsgruppe aktiv, die vom Sportgericht erwünschte nochmalige Analyse des noch vorhandenen Rests von Vuskovics Urinprobe. Nauds Begründung laut Sportgericht: Eine solche Bestätigung der B-Probe, landläufig "C-Probe" genannt, sei "seiner Ansicht nach nicht notwendig, da im vorherigen Verfahren keinerlei Fehler" erkennbar gewesen seien. Allerdings erklärte sich Naud bereit, eine etwaige C-Probe, die von einem anderen Institut vorgenommen würde, ebenfalls zu begutachten.
Diese C-Probe von einem nicht WADA-lizensierten Institut durchführen zu lassen, scheiterte wiederum laut Sportgericht am Veto der WADA. Der Zusammenhang: Vuskovics Urinprobe, die weiterhin tiefgekühlt in Kreischa lagert, befindet sich im Eigentum der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA). Deren Vertreter hatte im Verlauf des zweiten Verhandlungstags im Februar einer C-Probe bereits ausdrücklich zugestimmt. Danach stellte sich allerdings heraus: Die NADA braucht für die Herausgabe der Urinprobe das Einverständnis der WADA - welches diese verweigerte. Die Begründung der WADA dafür lautete, unisono mit Gutachter Naud: Die Bestätigung der B-Probe sei "nicht erforderlich", da das Labor in Kreischa zweifelsfrei die "gültigen internationalen Standards eingehalten" habe. Außerdem könnten sich nach rund sechsmonatiger Lagerung der Urinprobe inzwischen Moleküle abgebaut haben, was wiederum einem eindeutigen Ergebnis entgegenstehen könnte.
Beweisvereitelung? Verteidigung droht mit der Staatsanwaltschaft
Eine Argumentationskette, die nicht nur für Vuskovics Verteidigung die Frage nach einer möglichen "Beweisvereitelung" aufwarf. Anwalt Rain: "Wir beurteilen es als haltlos, dass sich die WADA erdreistet, dem Gericht Vorgaben zu machen - und dass sich ein Gutachter aussucht, welche Aufträge er erfüllt und welche nicht." Gegen Naud hatte die Verteidigung bereits vorab einen Befangenheitsantrag gestellt und sieht sich folgerichtig nun bestätigt. Rains aktuelle Anmerkungen konnte Richter Oberholz ohnehin nachvollziehen: Das Gericht werde sich "mit der Frage der Beweisvereitelung intensiv befassen". Hilfsweise stellte die Verteidigung den Antrag, vor einer Urteilsverkündung in jedem Fall eine C-Probe zu erwirken. Offen blieb, ob und wie der DFB die Herausgabe des Vuskovic-Urins vom Labor in Kreischa erzwingen könnte. Rain dazu: "Wenn wir hier keine C-Probe bekommen, werden wir es über die Staatsanwaltschaft machen. Wir gehen davon aus, dass diese nicht WADA-hörig ist." Auch Nachreiner stimmte zu: "Mit dem Verhalten von Naud und der WADA bin ich nicht einverstanden. Die Außenwirkung ist schlecht, das darf man sich im Prinzip nicht gefallen lassen." Zumindest darin sind sich die Parteien also einig. Vuskovic hilft das vorläufig nicht.