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Ein toxischer Kuss? Diskussionen nach Jumbo-Vismas Vuelta-Dominanz

Team-Dominanz offenbarte Probleme

Ein toxischer Kuss? Diskussionen nach Jumbo-Vismas Vuelta-Dominanz

Zumindest Sepp Kuss strahlte in Spanien fast drei Wochen bis über beide Ohren.

Zumindest Sepp Kuss strahlte in Spanien fast drei Wochen bis über beide Ohren. IMAGO/ABACAPRESS

Am Ende eines denkwürdigen Spektakels bei der Spanien-Rundfahrt wurde zumindest für die Kameras der Vuelta-Sieg von Kuss gemeinsam vom Jumbo-Visma-Team zelebriert und Arm in Arm rollte der US-Amerikaner mit Vingegaard und Roglic in Madrid über die Ziellinie. Den Nichtangriffspakt zugunsten ihres treuen Edelhelfers hatten die Topstars der Jumbo-Visma-Mannschaft am abschließenden Wochenende befolgt. Allerdings stellt sich die Frage, ob das ganz freiwillig war oder ob es ein Machtwort des deutschen Sportdirektors Grischa Niermann gab.

"Normalerweise stehe ich auf der anderen Seite. Ich bin oft in den Siegerteams, aber derjenige zu sein, der das Trikot trägt, ist einfach unglaublich. Also ja, ich lebe immer noch einen Traum", sagte Kuss, der 17 Sekunden Vorsprung hatte auf Tour-Sieger Vingegaard und 1:08 Minuten auf Giro-Champion Roglic. Der Spanier Juan Ayuso als bester Nicht-Jumbo-Fahrer hat fast vier Minuten Rückstand.

Kuss über Konstellation: "Dafür existiert kein Handbuch"

Doch beim neutralen Zuschauer sorgte die niederländische Mannschaft zuvor für Staunen bis hin zu heftiger Kritik. "Eine solche Situation hatte es noch nie gegeben - drei Mann aus derselben Mannschaft in dieser Position", sagte Kuss, "dafür existiert kein Handbuch. Aber wir sind mit den unterschiedlichen Interessen gut umgegangen." Wirklich?

Overall leader Team Jumbo-Visma's US rider Sepp Kuss celebrates on the podium after winning the 2023 La Vuelta cycling tour of Spain, in Madrid, on September 17, 2023. American rider Sepp Kuss claimed his first Grand Tour victory in the Vuelta a Espana in Madrid, as his team Jumbo-Visma completed an unprecedented treble. (Photo by Oscar DEL POZO / AFP) (Photo by OSCAR DEL POZO/AFP via Getty Images)

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Auf der 17. Etappe am Altu de L'Angliru sah das nämlich etwas anders aus. Ausgerechnet am 29. Geburtstag von Kuss wurde er von den eigenen Teamkollegen am brettsteilen Anstieg attackiert. Roglic und Vingegaard fuhren gegen den Teamkollegen, der sich sowohl beim Giro als auch bei der Tour für seine Kapitäne aufopferte und bedingungslos unterstützte.

Geraint Thomas: "Sepp hat mehr Respekt verdient"

Das sorgte nicht nur bei Radsport-Fans für Kopfschütteln, auch im Peloton meldeten sich kritische Stimmen. Ein No-Go, befand der frühere Tour-Sieger Geraint Thomas: "Sepp hat mehr Respekt verdient." Der irische Ex-Champion Sean Kelly polterte: "Einfach unfair nach allem, was Sepp für die beiden geleistet hat."

Niermann stand vor einem Jumbo-Dilemma: Roglic und Vingegaard Freifahrt erteilen und damit Kuss die Belohnung für jahrelangen Altruismus streichen? Oder die beiden Stars in Kuss' Dienst stellen, sodass eben nicht der stärkste Profi eines der wichtigsten Rennen der Welt gewinnt? Hätte Kuss in der kommenden Saison noch die letzten Prozente aus seinem Körper gepresst, wenn er die Vuelta nicht gewonnen hätte?

"Das ist kompliziert. Alle kommen her, um die Vuelta zu gewinnen", sagte Niermann, "aber unser Traum ist, hier Erster, Zweiter, Dritter zu werden." Damit zwischen den drei Sieganwärtern keine teaminterne Straßenschlacht ausbrach, sprach Niermann nach der Angliru-Etappe ein Machtwort zu Kuss' Gunsten, die beiden anderen fügten sich wohl zähneknirschend.

Roglic vielsagend: "Ich habe meine eigene Meinung"

"Ich fahre für Sepps Sieg. Ihm das Trikot abzunehmen, wäre habgierig", sagte Vingegaard. Roglic verkündete: "Ich habe meine eigene Meinung, aber ich will dafür sorgen, dass er vorne bleibt." Das klingt nicht besonders überzeugend und nach einem etwas toxischen Klima im Team.

Für den Sport ist die Dominanz ebenfalls Gift, denn sie führte in dieser Saison zu Langeweile. "Wir hatten mehr Gegenwehr erwartet, aber am Ende hatten wir die drei stärksten Fahrer im Rennen", sagte Niermann, der neben dem Dreifacherfolg auch noch fünf Etappensiege für seine Equipe verbuchte.

tru, sid