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NFL: Das verrückteste MVP-Rennen der letzten Jahre

Four Downs: Die NFL-Kolumne von Adrian Franke

Das verrückteste MVP-Rennen der letzten Jahre - und wer bekommt die Top-Picks im Draft?

Gewinnt Tyreek Hill als erster Wide Receiver den MVP-Titel?

Gewinnt Tyreek Hill als erster Wide Receiver den MVP-Titel? imago images

FIRST DOWN: Das kurioseste MVP-Rennen der letzten zehn Jahre

Die Frage danach, wer den MVP-Award bekommt, war in den letzten Jahren eher langweilig. Von den letzten 16 MVPs war nur einer kein Quarterback - Running Back Adrian Peterson 2012 -, und in den letzten fünf Jahren teilten Patrick Mahomes (2x), Aaron Rodgers (2x) und Lamar Jackson die Auszeichnung untereinander auf.

Auch wenn man aus einem anderen Blickwinkel an die Sache herangeht, ist es eine relativ eindimensionale Geschichte: Der MVP wird ein Quarterback, und zwar der Quarterback, der die Saison auf Platz 1 in Expected Points Added pro Play beendet. Das war bei Mahomes 2022 der Fall, genau wie bei Rodgers 2021 und 2020 und bei Lamar Jackson 2019. Mahomes 2018 wurde "nur" Zweiter hinter Drew Brees, zerschoss auf dem Weg dahin aber diverse NFL-Rekorde.

Anders formuliert: Der Quarterback der besten Offense, die dann noch einen der beiden Top-Seeds in der eigenen Conference holt - jeder MVP seit 2001 außer Peterson hat für ein Team gespielt, das mindestens elf Spiele gewonnen hat - wird in aller Regel MVP.

Das könnte auch dieses Jahr noch passieren. Doch der Weg dahin ist so ungewiss wie lange nicht mehr.

Chiefs gegen Eagles als passender MVP-"Showdown"

Das Duell zwischen den Eagles und den Chiefs - zwei Top-6-Offenses, zwei Top-5-Quarterbacks nach Expected Points Added pro Play und beides Team mit realistischer Chance auf den Nummer-1-Seed - am Montagabend hätte Patrick Mahomes oder Jalen Hurts in diesem Rennen einen kräftigen Boost geben können. Stattdessen war es ein irgendwo passendes Spiel, weil es unterstreicht, wie schwierig es dieses Jahr ist, einen klaren Kandidaten herauszustellen.

Hurts hatte über weite Strecken des Spiels enorme Probleme durch die Luft, auch weil er ungewöhnlich viel unter Druck stand. Gleichzeitig ist er am Boden nicht nur eine Waffe, sondern dieser Teil seines Spiels ist eine tragende Säule der Offense - und die ist umso relevanter, wenn andere Dinge eben nicht funktionieren. Am Montagabend machte das den Unterschied für die Eagles-Offense.

Mahomes auf der anderen Seite hatte nicht sein bestes Spiel, doch die Umstände sind für ihn so schwierig dieses Jahr, dass man seine Leistungen eigentlich mit einer anderen Brille bewerten muss - was wiederum schwierig ist, wenn man Mahomes' "Normalform" und seine jährliche Production gewohnt ist.

Die Endzonen-Interception zu Kevin Byard ging voll auf Mahomes, das war eine schlechte Entscheidung und ein noch schlechterer Wurf. Mahomes ließ einiges liegen, unter anderem weil er - das war häufiger zu sehen dieses Jahr - sich manchmal in dieser Saison zu sehr auf Kelce einschießt. Doch die Chiefs hätten das Spiel nicht nur gewonnen, auch Mahomes' Stat-Line hätte ganz anders ausgesehen, wenn er ein bisschen Hilfe von seinen Waffen bekommen hätte.

Der Fumble von Travis Kelce innerhalb der Eagles-10-Yard-Line. Der spielentscheidende Drop von Valdes-Scantling. Der Drop von Justin Watson bei Third Down und der anschließende Punt von Andy Reid bei Vierter-und-Sechs in der gegnerischen Hälfte neun Minuten vor dem Ende. Selbst der Pass bei Vierter-und-25 ganz am Ende hätte von Watson gefangen werden können. Die Chiefs taten einiges dafür, Mahomes’ Einsatz sowie ein spektakuläres Spiel der eigenen Defense zu sabotieren.

Die Story dieser Chiefs-Saison bleibt die Unzuverlässigkeit der Receiver, was es umso schwerer nachvollziehbar macht, dass die Chiefs hier nicht vor der Trade-Deadline investiert haben. Das macht fast jedes Spiel für Mahomes zu einem immensen Kraftakt, was seinen MVP-Case einerseits stärkt - andererseits aber eben dazu führt, dass die Stats das nur bedingt abbilden, und was auch dazu führt, dass Mahomes eben irgendwann Fehler macht.

Gibt es den ersten Nicht-Quarterback-MVP seit 2012?

Hurts und Mahomes bleiben natürlich beide im Rennen. Lamar Jackson habe ich nach wie vor auf dem Zettel, aber die Total Stats sind bisher nicht so da, wie man das von einem MVP-Kandidat erwarten würde, und die Ravens-Offense ist aus vielen Gründen inkonstant. Jetzt hat Baltimore Mark Andrews verloren. Ich würde inzwischen auch Dak Prescott hier rein werfen, über die letzten vier Wochen war Prescott der beste Quarterback in der NFL.

Rein mit Blick auf die offensiven und Quarterback-Statistiken werden Tua Tagovailoa und Brock Purdy Teil dieser Diskussion bleiben. Ich sehe sie nicht auf dem gleichen Level, eben weil sie beide zwar gut spielen, die Offense aber weniger tragen (müssen) als Prescott, Mahomes oder auch Josh Allen. Aber in dieser Saison und mit ihren Zahlen wird es Argumente für sie geben.

Aber es steht außer Frage, dass die Tür nie in den letzten zehn, und sicher nicht in den letzten fünf Jahren, so offen für einen Nicht-Quarterback war, um diesen prestigeträchtigsten individuellen Award zu gewinnen. In den vergangenen Jahren war diese Diskussion eigentlich immer überflüssig, dieses Jahr aber, während wir auf das finale Drittel der Regular Season zusteuern, lohnt sich die Frage: Welcher Nicht-Quarterback hat einen legitimen MVP-Case? Ich habe die Kandidaten in der für mich absteigenden Reihenfolge in puncto MVP-Chance sortiert.

Tyreek Hill von den Miami Dolphins

Tyreek Hill hat eine realistische Chance, dieses Jahr den MVP-Titel zu gewinnen. Icon Sportswire via Getty Images

1. Tyreek Hill, WR, Miami Dolphins: Das Argument bei Hill ist in zweifacher Hinsicht relativ einfach zu präsentieren.

Kein Receiver ist so identitätsstiftend für seine Offense, kein Receiver ist so sehr der Dreh- und Angelpunkt nicht nur aufgrund seiner individuellen Qualität und aufgrund der Matchups, die er selbst gewinnt und für Mitspieler kreiert, sondern auch aus einer schematischen Perspektive. Eine schematische Perspektive, deren Einfluss man dieses Jahr in der ganzen NFL wiederfindet.

Die Offense der Dolphins ist um den Speed von Tyreek Hill aufgebaut. All die Motions, all die Misdirection-Konzepte, all das ist schön und gut - es kreiert eine Top-5-Offense, weil Tyreek Hill der Mittelpunkt von alledem ist. Das funktioniert - wie fast alles im Football - im Zusammenspiel; mit Jaylen Waddle, mit De'Von Achane, mit Raheem Mostert. Aber Hill ist der Fokus.

Der andere Punkt ist weniger komplex: Tyreek Hill könnte der erste Wide Receiver sein, der 2000 Receiving-Yards in einer Saison schafft - etwas, das Hill im Juli übrigens angekündigt hat. In einer Saison, in der es keinen klaren Kandidaten gibt, könnte das für sich betrachtet Hill den Titel einbringen.

Nach zehn Spielen steht Hill bei 1.222 Receiving-Yards. Wenn er diesen Schnitt aufrechterhalten kann, würde er bei 2.077 Yards am Ende rauskommen. Ich denke, das wäre der MVP-Case dieses Jahr.

2. Christian McCaffrey, RB, San Francisco 49ers: McCaffreys Touchdown-Serie endete in Woche 10, ausgerechnet beim deutlichen Sieg über die Jaguars: In 17 aufeinanderfolgenden Spielen hatte McCaffrey bis dato je mindestens einen Touchdown erzielt, und hätte er diese Serie bis zum Saisonende aufrecht erhalten, dann wäre das vielleicht das Äquivalent zu Hills 2.000-Yard-Saison in puncto statistischer Argumentation geworden.

McCaffrey hätte noch einen alternativen Weg für ein sehr starkes statistisches Argument, doch auch dieser Weg wird zunehmend schwierig: Eine 1.000/1.000-Yard-Saison, also 1.000 Rushing- und 1.000 Receiving-Yards. Dieses Kunststück haben bisher erst drei Spieler geschafft: Roger Craig 1985, Marshall Faulk 1999 - und McCaffrey selbst schaffte es bereits in der 2019er Saison.

McCaffrey steht aktuell bei 825 Rushing-Yards und 364 Receiving-Yards. Der Weg ist also noch sehr weit, zum Vergleich: 2019 stand er nach Woche 11 bei 1.123 Rushing- und 586 Receiving-Yards.

Das übergreifende Argument bei McCaffrey wäre seine essenzielle Rolle innerhalb der Niners-Offense. Hier wird es schwer, ihn in puncto Relevanz im direkten Vergleich über Tyreek Hill anzusiedeln, aber es ist unbestreitbar, dass McCaffrey einen großen Impact auf die Offense hatte, seit die Niners für ihn getradet haben. Doch wenn die Saison so weiterläuft, ist es gut möglich, dass diejenigen, die eine Stimme nach San Francisco vergeben, sie eher Brock Purdy geben werden.

3. Myles Garrett, Edge, Cleveland Browns: Damit kommen wir endgültig in den sehr, sehr theoretischen Bereich, denn: Ein Verteidiger wurde seit Lawrence Taylor 1986 nicht mehr MVP. Überhaupt gab es erst zwei Defense-MVPs: Taylor, sowie Vikings-Defensive-Tackle Alan Page 1971.

Offenses und in den letzten 20 Jahren Quarterbacks stehen im Fokus. Und ich sage auch hier ganz direkt: Ich denke nicht, dass Myles Garrett MVP wird. Er ist allerdings auch in der Liste hier, weil es so gut zu dieser Saison passen würde: Eine Saison, in der Defenses den mit Abstand besten Zugriff generell auf Offenses haben, den wir seit mindestens sechs, sieben Jahren gesehen haben.

Das Pendel schlägt hier merklich wieder in die andere Richtung und Myles Garrett ist der dominanteste Verteidiger in einer Saison, in der wir generell wieder mehr dominante Verteidiger und Defenses sehen. Kein Pass-Rusher gewinnt so konstant so regelmäßig, und das trotz der Sonderbewachung durch gegnerische Offenses, die Garrett Woche für Woche bekommt.

Um am Ende auch nur halbwegs irgendeine Chance zu haben, müsste Garrett einen der ganz großen Rekorde brechen: Den Single Season Sack Record. Den teilen sich Michael Strahan (2001) und T.J. Watt (2021) mit 22,5 Sacks in einer Saison. Garrett steht bei 13 aktuell, Platz eins in der NFL. So gerne ich in der Analyse auch auf andere Dinge bei Pass Rushern schaue: Diesen Rekord muss er knacken, um überhaupt eine Chance zu haben.

SECOND DOWN: QB-Auftritt der Woche - Justin Herbert gegen die Packers

In dieser festen Kategorie soll es um einen Quarterback gehen, der diese Woche eine Partie hatte, die gesondert betrachtet werden muss. Dabei geht es nicht zwangsläufig um den besten Quarterback der Woche - es kann auch mal der schlechteste der Woche hier behandelt werden -, sondern auch um übergreifende Punkte. Diesen Quarterback analysiere ich ausführlich und präsentiere ihn euch hier.

Ich hatte an verschiedenen Punkten dieser Saison gesagt und geschrieben, dass die Chargers ein Team sind, das nur so weit kommt, wie Herbert es trägt. Und während das ein nettes Ass im Ärmel ist, eine Art wöchentliche Trumpfkarte, so ist es nicht die Formel für nachhaltigen Erfolg und schon gar nicht für einen tiefen Playoff-Run.

Das Spiel gegen die Packers führte selbst diese These ad absurdum. Oder, anders formuliert könnte man auch sagen, dass die Chargers in diesem Spiel erfolgreich getestet haben, wie weit sie sich selbst sabotieren können, dass selbst ein sehr gutes Spiel von Herbert nicht reicht, um ein Spiel zu gewinnen.

Im Spiel gegen die Packers waren es die Drops, und zwar nicht ein, zwei einzelne Szenen, oder ein kostspieliger Drops: Es war Drop auf Drop und zwar in den denkbar ungünstigsten Momenten.

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Mit noch 9:41 Minuten auf der Uhr im ersten Viertel spielten die Chargers Vierter-und-Vier aus. Herbert hatte Zeit in der Pocket, kam zu seinem zweiten Read und warf den Ball über die Mitte zu einem komplett ungedeckten Austin Ekeler. Zum Ende des ersten Viertels hatten die Chargers Dritter-und-Fünf in der Red Zone; Herbert fand Keenan Allen offen in der Flat fürs First Down, der ließ den Ball fallen und konnte ihn auch im Nachfassen nicht sichern.

Früh im dritten Viertel hatten die Chargers Dritter-und-Goal, Allen war bei einem In-Breaker über die Mitte offen zum Touchdown, Herbert servierte ihm den Ball mustergültig und der Pass prallte von Allen ab, als hätte er mit dem Rücken zum Wurf gestanden.

All das waren Plays, die Drives beendeten oder Punkte vom Board nahmen, und so passte es ins Bild, dass auch die letzte Chance der Chargers in diesem Spiel durch einen Drop zunichte gemacht wurde: Eine halbe Minute vor dem Ende bei Dritter-und-Sechs entkam Herbert zuerst nach links aus der Pocket, drehte dann seine Hüfte und feuerte den Ball nach rechts Richtung tiefe Sideline. Dort war Quentin Johnston durch, und hätte er den Ball gefangen, wäre L.A. mindestens in Field-Goal-Reichweite gewesen. Stattdessen ließ er den Ball, nachdem er ihn eigentlich in beiden Händen hatte, fallen, die Fourth-Down-Conversion klappte nicht und das Spiel war vorbei.

Wir haben in dieser Saison einige Spiele gesehen, in denen die Receiver ihren Quarterback im Stich gelassen haben. Baltimore hatte ein vergleichbares Spiel gegen Pittsburgh, die Jaguars hatten einige ähnliche Auftritte früh in der Saison, die Chiefs ebenfalls mehrere - zuletzt am Montagabend gegen die Eagles -, und dieser Auftritt der Chargers gegen die Packers stand dem in nichts nach. Im Gegenteil.

Und das ist umso bitterer, wenn der Quarterback nicht nur ein gutes, sondern ein exzellentes Spiel abgeliefert hat - oder auch, anders formuliert, ein Spiel, das schlicht und ergreifend einen Sieg verdient gehabt hätte! Herzlich Willkommen zur Justin-Herbert-Chargers-Story.

Herberts beste Spiele verpuffen nutzlos

In dem Fall würde ich sogar einen Schritt weiter gehen. Rein was die Quarterback-Position angeht, war das ein absolut herausragendes Spiel, vielleicht eines der zehn besten Quarterback-Spiele, das wir in dieser Saison gesehen haben.

Sein Pocket-Movement, das Kreieren via Scrambles, um selbst Plays zu machen; der Run früh in der zweiten Hälfte (12:29/drittes Viertel) war dabei mein Favorit, weil man das Navigieren der Pocket und die Scrambling-Qualitäten in einem Play hatte. Die Ruhe unter Druck, das subtile Kreieren einer Plattform für den Wurf.

Der Pass auf Quentin Johnston (12:26/zweites Viertel), den Johnston nicht kontrollieren kann, der Touchdown auf Keenan Allen, ein absurder Laser in ein Mini-Fenster zur späten Führung. Der Pass zu Beginn des Schlussviertels auf Donald Parham, als sich Herbert aus enger Pocket befreit und den Ball in der Seitwärtsbewegung noch perfekt platziert das Feld runter wirft (14:12/viertes Viertel). Der Ball auf Parham zwischen zwei Verteidiger bei Dritter-und-Acht (10:20/viertes Viertel).

Herbert hat diese Woche ein High-End-Quarterback-Spiel abgeliefert, doch weder der Boxscore, noch das Endergebnis lassen das erahnen. Und das ist irgendwo die Story seiner Saison, und ehrlicherweise noch darüber hinaus.

Chargers: Staley steht kurz vor dem Aus

Die Chargers sind nach Woche 11 auf dem letzten Platz in der AFC West angekommen. In der gesamten AFC haben nur die Titans und die Patriots einen schlechteren Record und dieses Spiel in Green Bay fühlte sich in vielfacher Hinsicht wie die letzten Meter vor dem Ende an.

Man merkte Brandon Staley die Anspannung nach dem Spiel merklich an, seine Pressekonferenz machte gar keinen Hehl daraus, hier irgendetwas zu überspielen.

Und das ist nachvollziehbar: Ich denke, dass für Staley die Uhr in Los Angeles abläuft.

Brandon Staley, Head Coach der Chargers

Brandon Staleys Amtszeit bei den Chargers dürfte bald vorbei sein. Getty Images

Wenn man sieht, wo dieses Team steht und wo die Defense steht in einem Jahr, in dem man All-In sein müsste, dann wäre das komplett gerechtfertigt. Am kommenden Sonntagabend kommen die Ravens nach L.A.

Wichtig wird in dieser Selbst-Evaluation dann nur der Punkt sein, dass das Roster Building einen nicht viel kleineren Anteil an den Problemen der Chargers hat, als das Coaching.

THIRD DOWN: Das Play der Woche - Josh Allen Touchdown zu Khalil Shakir

Es war ein Vintage Josh Allen Play, Mitte des dritten Viertels im Spiel gegen die Jets. Die Bills gingen bei Second Down in Empty, und für die meisten Offenses bedeutet Empty, dass der Ball schnell raus muss, weil die Protection nicht lange hält und weil man wenig Spielraum hat, um nochmal durch die Pocket und durch seine Progressions zu arbeiten.

Es gibt ein paar Ausnahmen dafür. Lamar Jackson ist eine, Josh Allen eine andere.

Denn aus der Empty Shotgun liefen die Bills drei vertikale Routes, einzig Diggs lief eine designte reine kurze Route und Cook auf der rechten äußeren Seite der Formation wäre für einen schnellen Pass ebenfalls bereit gewesen.

Die Jets kamen nur mit drei Pass-Rushern, sodass Allen ein wenig Zeit hatte. Er wählte Shakir mit der tieferen Route aus dem Slot und feuerte diesen Ball, ohne richtig in den Wurf rein gehen zu können, spektakulär in ein absurd winziges Fenster gegen Sauce Gardner. Shakir erledigte den Rest nach dem Catch und es war der sprichwörtliche Deckel auf einer Partie, die diese Bills-Offense dringend gebraucht hat.

Und nein, es war keine große Revolution, nachdem sich die Bills infolge der Monday-Night-Niederlage gegen die Broncos von Offensive Coordinator Ken Dorsey getrennt, und Joe Brady als Interims-OC eingesetzt hatten.

Vielleicht ein wenig mehr Under Center, vielleicht ein paar kleine Umstellungen - große Sprünge konnte man in so kurzer Zeit natürlich auch nicht erwarten, und erst recht nicht gegen eine starke Jets-Defense. Das Ergebnis sieht natürlich sehr schön aus, gerade wenn man an den Season-Opener gegen die Jets zurückdenkt, in dem Allen ein Meltdown-Spiel hatte und Buffalo gegen Zach Wilson verlor.

Aber das allein der Offense zuzuschreiben, würde dem Spiel nicht gerecht werden: Die Bills hatten durch Returns und defensive Big Plays regelmäßig sehr gute Starting Field Position, drei eigene Scoring-Drives erfolgten mit je unter 25 Yards Raumgewinn. Und Allen war gut, aber eine gewisse Inkonstanz merkte man der Offense nach wie vor an, gerade in der Red Zone und wenn er Druck bekam.

Die großen Tests kommen für die Bills noch, wenn es dann auch darum geht, konstant offensiv zu punkten, während der Gegner einen in einen Shootout zwingt. Das Spiel gegen die Jets, und dieser Touchdown zu Shakir als perfekte Versinnbildlichung davon, war in erster Linie eine Erinnerung daran, dass die Bills trotz der Kritik an der Struktur der Offense eine Top-5-Offense bis dato hatten - und dass Josh Allen ein elementarer Treiber dafür ist.

FOURTH DOWN: Was nicht unerwähnt bleiben sollte

Das Rennen um den Top-Pick im kommenden Draft spitzt sich zu. Ich kann jetzt schon festhalten, dass wir auf ein hitziges Frühjahr zusteuern, was Draft-Debatten angeht: Die ganze NFL-Welt wird darüber diskutieren, ob man Drake Maye oder Caleb Williams mit dem ersten Pick nehmen sollte, unterschiedliche Team-Strategien werden diskutiert werden und vielleicht bekommen wir wieder einen Blockbuster-Trade ganz oben.

Und die Dynamik schon auf dem Weg dahin ist äußerst brisant: Denn vielleicht spielen die Bears ein gutes letztes Saisondrittel, picken durch den Pick der Panthers aber trotzdem an Nummer 1. Was macht das dann mit ihrer Justin-Fields-Evaluation? Was machen die Giants mit Daniel Jones, mit dem sie gerade teuer verlängert haben, wenn sie die Chance auf eines der beiden Top-Quarterback-Talente haben?

Ich habe die restliche Saison durchgetippt, und bin bei dieser Top-5-Draft-Reihenfolge gelandet:

1. Pick: Carolina Panthers (aktuelle Bilanz: 1-9), Restprogramm: Titans, Bucs, Saints, Falcons, Packers, Jaguars, Buccaneers

Was die sportliche Qualität der Gegner angeht, sind Siege mehrfach noch möglich - um genau zu sein, sehe ich einzig das Jaguars-Spiel außer Reichweite, in jedem anderen Spiel könnte man zumindest Argumente dafür sammeln, dass diese Teams schlagbar sind.

Das Problem aus Panthers-Sicht ist relativ simpel: Carolina wirkt schlicht und ergreifend wie das schlechteste Team in der NFL, sodass es schwierig ist, Siege zu prognostizieren, egal, gegen wen es geht. Die Panthers scheinen wirklich den Nummer-1-Pick nach Chicago zu schicken.

2. Pick: New England Patriots (2-8), Restprogramm: Giants, Chargers, Steelers, Chiefs, Broncos, Bills, Jets

Nach der Niederlage gegen die Colts und dem (vorübergehenden?) Benching von Mac Jones sind die Patriots in einer enttäuschenden Saison an einem Tiefpunkt angekommen. Gibt es den berüchtigten tieferen Tiefpunkt? Dann könnte der am Sonntag gegen die Giants kommen, in einem Spiel, das absolut kritisch für die Draft-Reihenfolge werden könnte.

Ich bin bei New England irgendwo noch immer der Meinung, dass sie defensiv gut genug sein sollten, dass sie als Team insgesamt nicht so schlecht sein sollten, wie das, was wir dieses Jahr von den Pats bekommen.

Doch dann sieht man das Restprogramm. Nach dem Giants-Spiel gibt es kein Spiel mehr auf dem Patriots-Schedule, bei dem ich auf einen Sieg tippen würde. Selbst Teams wie Denver oder Pittsburgh wirken klar verbessert. Und wer weiß, um was es für die Jets in Woche 18 noch geht - und wer dann Quarterback für New York spielt.

3. Pick: Arizona Cardinals (2-9), Restprogramm: Rams, Steelers, 49ers, Bears, Eagles, Seahawks

Die Cardinals gingen in die Saison als der allgemein haushohe Favorit auf den Nummer-1-Pick, Stand jetzt sehe ich sie nicht höher als Pick 3 am Ende. Kyler Murray ist seit letzter Woche zurück, das erste Spiel gegen die Falcons wurde direkt gewonnen und gegen Houston sorgte die Defense dafür, dass es bis zum Schluss eng war. Murray sieht physisch fit aus, das alleine wird Arizona in einigen Spielen Chancen geben.

Die Cardinals haben noch drei Spiele mit realistischen Sieg-Chancen (Rams, Steelers, Bears) auf dem Schedule, ein bis zwei Siege vermute ich bei Arizona noch. Wenn Murray weiter gut spielt, könnte das ideale Szenario für die Cardinals Pick Nummer 3 sein, um dort den besten Nicht-Quarterback zu nehmen - oder sehr viel Pick-Value über einen Trade einzusammeln.

Tommy DeVito von den Giants

Tommy DeVito führte die Giants zum Sieg über die Commanders. Getty Images

4. Pick: New York Giants (3-8), Restprogramm: Patriots, Packers, Saints, Eagles, Rams, Eagles

Der Sieg gegen Washington hat mich ehrlicherweise komplett überrascht, und dieser Sieg könnte enorme Auswirkungen auf die Draft-Reihenfolge am Ende haben.

Das könnte am Ende der Sieg sein, der verhindert, dass die Giants aus dem kommenden Draft mit einem neuen Quarterback gehen.

Die Giants haben ihren Draft-Bowl jetzt gegen die Patriots, aber Spiele gegen die Packers, Saints und potenziell auch die Rams wirken machbarer als das, was New England anschließend noch erwartet.

Tyrod Taylor wird - laut eigener Aussage - zurückkommen, aber in den letzten drei Wochen der Saison warten zwei Mal die Eagles. Da erwarte ich nicht viel, egal, wer Quarterback spielt und Taylor kann frühestens in Woche 14 aktiviert werden.

5. Pick: Chicago Bears (3-8), Restprogramm: Vikings, Lions, Browns, Cardinals, Falcons, Packers

Das Spiel gegen Arizona in Woche 16 könnte eine finale Draft-Weichenstellung für beide Teams sein, insbesondere, falls die Bears das gewinnen. Arizona hat anschließend noch die Eagles und die Seahawks, die Bears die Falcons und die Packers. Da sehe ich die Chance für Chicago auf einen weiteren Sieg deutlich höher.

Justin Fields hatte ein sehr gutes Spiel bei seinem Comeback gegen die Lions, dazu gleich noch ein paar Zeilen. Chicago hat sich für mich inzwischen als gut genug präsentiert, um insbesondere aus dem Finish gegen Cleveland, Arizona, Atlanta und Green Bay mindestens noch ein bis zwei Siege mitzunehmen.

Justin Fields meldet sich eindrucksvoll zurück. Bereits vor der Verletzung hatte Fields zwei gute Spiele absolviert, ehe er im Spiel gegen Minnesota raus musste. Gegen die Lions gab er sein Comeback, und so bitter das Ende aus Team-Perspektive war, so mutlos das Playcalling am Ende auch war: Fields hatte ein sehr gutes Spiel.

Ich mochte es, wie er direkt ins designte Run Game eingebunden wurde. Seine Explosivität war sichtbar und gab der Bears-Offense eine Identität, aber er machte auch Plays als Passer - sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Pocket.

Selbst wenn die Bears am Ende dank Carolina an Nummer 1 picken und dort einen Quarterback nehmen, sind diese kommenden Wochen für Fields dennoch wichtig; sie sind sein Bewerbungsschreiben an den Rest der Liga, und somit ist das die vermutlich wichtigste Phase in Fields' bisheriger NFL-Karriere. Der Start in diesen Abschnitt war vielversprechend.

Manchmal sind wir doch zum Spaß hier! Dieses Play von Jerry Jeudy, der angetäuschte Pass als in diesem Moment eindeutig nicht wurfberechtigter Spieler, der spontane Lacher von Cris Collinsworth im Kommentar, das breite Grinsen von Jeudy, der verschmitzte Blick von Sean Payton. Manchmal sind es wirklich die kleinen Dinge!

Ist der Panthers-Neustart One-and-Done? Keine vier Wochen vergingen zwischen der Pressekonferenz, auf der Frank Reich das offensive Playcalling an Thomas Brown übergab, und der Pressekonferenz am vergangenen Mittwoch, auf der er diesen Schritt rückgängig machte.

Das verrät uns so viel. Es verrät uns, dass Reich und Brown immer noch Probleme damit haben, auf eine Wellenlänge zu kommen. Dass Brown Reichs Offense callen soll, ergibt wenig Sinn für alle Beteiligten. Es verrät uns, dass dem Coaching Staff ein Stück weit auch die Ideen ausgehen, denn, und das ist der zentrale Takeaway: Dieser Schritt hat den starken Beigeschmack einer letzten Verzweiflungstat, wenn Jobs auf dem Spiel stehen.

Ich hielt es noch vor vier Wochen für kaum möglich, dass wir in Carolina auf einen Neustart nach nur einem Jahr zusteuern könnten. Die Panthers hatten sich einen - auch von mir - hochgelobten Coaching Staff zusammengestellt, mit vielen spannenden jungen Coaches, und Reich als ruhigem Anführer, der die Fäden zusammenhält. Gerade nachdem man das ebenfalls mit viel Glanz und Vorschusslorbeeren begonnene Matt-Rhule-Projekt abgebrochen hatte, ging ich davon aus, dass der neue Trainerstab viel Zeit und Spielraum bekommt. Allerdings ging ich auch davon aus, dass die Ergebnisse früh in der Saison besser aussehen würden.

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Dass der Kader in puncto sportlicher Qualität gerade offensiv nicht gut ist, das war klar. Aber ich hätte gedacht, dass dieser Trainerstab mehr aus der vorhandenen Qualität herausholen kann, und das gilt für beide Seiten des Balls.

Es gibt dann jetzt zwei Argumente: Wie wichtig ist es für Bryce Young, dass eine gewisse Kontinuität gewahrt wird und er eben nicht im zweiten NFL-Jahr gleich die zweite NFL-Offense lernen und sich einen neuen Playcaller gewöhnen muss? Und eben die Kehrseite der Medaille: Kontinuität bringt nichts, wenn kontinuierlich Negativerlebnis auf Negativerlebnis folgt.

Und vielleicht das gewichtigste Argument von allen: Panthers-Teambesitzer David Tepper scheint nicht der geduldigste Mensch der Welt zu sein. Und wenn die Panthers, wonach es aktuell stark aussieht, wirklich einen Top-2-Pick im kommenden Draft nach Chicago schicken, reißt sein Geduldsfaden womöglich so oder so.

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