Das Wetter hält, was man sich davon verspricht, wenn man im Oktober nach England reist: Als der BVB-Flieger mit der Kennung EW1909 am frühen Dienstagnachmittag auf dem Rollfeld des Newcastle International Airport aufsetzt, zeigt das Thermometer 12 Grad Celsius an. Die Wolken hängen schwer und grau am Himmel. Der Boden ist noch nass vom Regen. Englischer geht es kaum. Es ist ein passender Rahmen für diesen Champions-League-Trip von Borussia Dortmund in die nördlichste Großstadt Englands, wo die Mannschaft von Trainer Edin Terzic von einem wahrlich unangenehmen Gegner erwartet wird.
Das durch Gelder aus Saudi-Arabien finanzierte, aber anders als andere neureiche Klubs clever gemanagte Newcastle United führt die Dortmunder Gruppe F nach zwei Spieltagen an und ließ durch einen 4:1-Heimerfolg über Paris Saint-Germain aufhorchen. Noch dazu zählt die Kulisse im St. James' Park zu den beeindruckendsten des Landes. Was auch Terzic während seiner Zeit als Assistent von Slaven Bilic bei West Ham United schon erleben durfte. "Für englische Verhältnisse", sagt er, "ist es eine außergewöhnliche Atmosphäre. Wir wissen, es gibt eine hitzige Atmosphäre."
Es ist ein Spiel für den BVB, das die Bezeichnung Standortbestimmung verdient - und die Borussia darf diese Partie nicht verlieren. "Wir wissen um die Bedeutung", sagt Terzic. "Wir wissen auch, dass wir eine richtig gute Leistung zeigen müssen. Damit wollen wir uns den Sieg verdienen." Und den braucht der BVB beim Blick auf die Tabelle.
Newcastles Höhenflug unter Howe
Mit einem Punkt nach zwei Spieltagen ist der Zug ins angestrebte Achtelfinale zwar noch nicht abgefahren, durch eine weitere Niederlage nach dem 0:2 in Paris würde der BVB aber gefährlich ins Hintertreffen geraten. Ein Remis wäre noch im akzeptablen Rahmen. Ein Sieg dagegen wäre nicht nur ein wertvoller Schritt Richtung Achtelfinale, sondern angesichts der durchwachsenen Kritiken, die der BVB in dieser Saison bislang trotz der sehr guten Ausbeute von 20 Bundesliga-Punkten aus den ersten acht Spieltagen bekam, auch ein Statement über die eigene Leistungsstärke.
Newcastle ist seit langer Zeit schon richtig gut drauf.
Edin Terzic
"Newcastle ist seit langer Zeit schon richtig gut drauf. Sie haben kluge Transfers getätigt und bauen diese Mannschaft seit anderthalb Jahren auf. Das resultiert darin, dass sie jetzt in der Champions League sind", sagt Terzic, der aus seiner Zeit bei West Ham auch noch Newcastles Coach Eddie Howe kennt und schätzt.
Howe ist seit November 2021 verantwortlich für die Magpies, führte sie zuerst aus der Abstiegszone und durchbrach mit seinem Team in der vergangenen Saison schließlich die Vorherrschaft der Top-Six in der Premier-League-Tabelle. Mit 71 Zählern lag das Howe-Team am Ende auf Rang vier - hinter ManCity, Arsenal und ManUnited, aber vor Liverpool, Tottenham und Chelsea. Nach 21-jähriger Abwesenheit kehrte Newcastle dadurch in die Königsklasse zurück.
Er trifft auf alte Bekannte: Alexander Isak. IMAGO/Sportimage
Dortmunds Wiedersehen mit Isak
Einer der Stars der Mannschaft ist ein guter Bekannter des BVB: Alexander Isak. In Dortmund konnte sich das damalige Sturmtalent nach seiner Ankunft im Sommer 2017 nicht durchsetzen, ehe er zwischen 2019 und 2022 bei Real Sociedad seine Klasse zeigte und in Newcastle endgültig durchstartete. In dieser Saison gelangen dem 24-Jährigen sechs Treffer in den ersten acht Premier-League-Spielen. In der Vorsaison waren es zehn Tore in 22 Spielen. In der Champions League allerdings wartet der Schwede noch auf seinen ersten Treffer.
Bitter aus Dortmunder Sicht ist der Ausfall von Außenverteidiger Julian Ryerson, der sich am Abreisetag krank abgemeldet hat. Der Norweger hat sich in den vergangenen Wochen als feste Größe etabliert, weil er perfekt passt zum körperlichen Angang, den der BVB in dieser Saison unter Terzic pflegt - und der auch in Newcastle gefragt sein wird.
Ihn zu ersetzen wird für die Borussia nicht leicht: In Marius Wolf und Niklas Süle stehen zwar Alternativen für die rechte Abwehrseite bereit, ideal sind sie jedoch beide nicht: Wolf fehlte zuletzt die Form, Süle, der zuletzt fürs DFB-Team beim 2:2 gegen Mexiko wenig überzeugend hinten rechts verteidigte, die Spielpraxis im Klub.
Welche Herangehensweise wählt der BVB?
Ganz grundsätzlich müssen sich Terzic und sein Team überlegen, wie sie die Partie angehen: Defensiv mit einer Dreier-/Fünferkette wie beim 0:2 in Paris - was mangels mutiger Umsetzung gewaltig schief ging -, oder mit einer im Normalbetrieb etablierten Viererkette, die die Möglichkeit böte, situativ zu einer Fünferkette zu werden, indem sich Sechser Emre Can fallenlässt. In der Liga funktionierte das zuletzt gut. Newcastle aber wird - nicht nur wegen des rauen englischen Herbstwetters - den BVB ohne Frage deutlich stärker fordern, als es etwa am vergangenen Freitag Werder Bremen getan hat (0:1).
Morgen fängt es an
Emre Can
Das Selbstvertrauen der Borussia allerdings ist größer als noch vor dem Spiel in Paris. Fünf Siege in Serie in der Liga haben einen deutlichen Push gegeben. "Wir haben gut performt in den vergangenen Wochen", sagt Can, der am Mittwoch auch in seiner Rolle als Kapitän besonders gefordert sein dürfte. Man sei, sagt der Mittelfeldabräumer, mit einer breiten Brust angereist. "Und so wollen wir auch in das Spiel reingehen."
Von einer Reifeprüfung indes will Can nichts wissen. Herausforderungen habe der BVB schon vorher gemeistert. Auch Druck habe man immer. Dennoch sind die kommenden Wochen bedeutend: Mit Spielen in Newcastle und in Frankfurt, gegen Hoffenheim und München. "Natürlich wollen wir uns auch da beweisen", sagt Can. "Morgen fängt es an."
