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Alles neu, einer "alt": So hat Milan den Scudetto zurückgeholt

Rossoneri gewinnen Meisterschaft mit Motivator Ibrahimovic

Alles neu, einer "alt": So hat Milan den Scudetto zurückgeholt

Der 19. Scudetto - eingefahren nach langer Durststrecke: Die Spieler der AC Mailand feiern ausgelassen.

Der 19. Scudetto - eingefahren nach langer Durststrecke: Die Spieler der AC Mailand feiern ausgelassen. Getty Images

In der Saison 2010/11, als Milan schon nicht mehr den ganz großen Glanz der vorangegangenen Kaka-Ära versprüht hatte, war der Scudetto zum letzten Mal von den Rossoneri eingetütet worden. Spieler wie Gennaro Gattuso, Alessandro Nesta, Andrea Pirlo, Clarence Seedorf oder auch Mark van Bommel waren damals die Helden der Serie A - angeleitet vom jetzigen Juve-Trainer Massimiliano Allegri, der je 14 Saisontore von Robinho, Alexandre Pato sowie keinem Geringeren als Zlatan Ibrahimovic bestaunen durfte.

Jener "Ibra", inzwischen zarte 40 Jahre alt, ist auch über zehn Jahre später noch dabei im Dress der Mailänder - und ganz sicher einer der Schlüssel für die Rückkehr dieses großen italienischen Klubs aus der jahrelangen Versenkung.

Sicher, der schwedische Oldie ist längst kein vor Elan sprühender Stammspieler mehr, weil ihn Verletzungen seit vielen Monaten immer wieder begleiten. Dennoch ist Ibrahimovic eines der Gesichter dieser 19. Milan-Meisterschaft. Warum? Neben seinen persönlichen Errungenschaften seit der Rückkehr (zehn Saisontore 2019/20, 15 Treffer 2020/21 und acht Tore in dieser Spielzeit) hat sich der technisch versierte sowie abschlussstarke Stürmer als verlängerter Arm von Trainer Stefano Pioli etabliert.

Der Kader

"Ibrakadabra" rechnet sich diesen Erfolg wenig verwunderlich auch selbst an, was er in einem typischen Interview mit "Sportweek" bereits 2021 gesagt hat: "Als ich zurück zu Milan kam, habe ich in der Kabine gefragt, wer denn schon in der Champions League gespielt hat. Und nur zwei haben ihre Hand gehoben. Ich dachte erst, das ist ein Scherz ..."

War es aber nicht.

Mein Kopf ist gesund, aber mein Körper wird alt. Ich muss jeden Tag auf meinen Körper hören, damit ich konstant spielen kann. Ich muss kurzfristig denken, von Tag zu Tag, und mir klarmachen, dass ich nicht Superman bin.

Zlatan Ibrahimovic will Milan auch nach der Meisterschaft treu bleiben

Doch eine der jüngsten Serie-A-Mannschaften um Abwehrspieler wie Pierre Kalulu (21), Matteo Gabbia (22) oder Theo Hernandez (24) und Mittelfeldstammspieler wie Ismael Bennacer (24), Brahim Diaz (22), Sandro Tonali (22) oder Frank Kessié (25) entwickelte sich über die Jahre immer mehr zur echten und vor allem neuen, alten Serie-A-Größe.

Das lag an erfrischendem Offensivfußball mit Profis wie Alexis Saelemaekers (22) und Rafael Leao (22) genauso wie am Einfluss gestandener Recken wie Olivier Giroud (35), Alessandro Florenzi (31) oder Abwehrchef Simon Kjaer (33). Und eben auch an Oldie Ibrahimovic. Der Schwede, der noch lange nicht genug vom Fußball hat ("Ich werde nicht aufhören, bis ich rausgeschmissen werde"), hat den Erfolg immer prophezeit - schon vor einem Jahr nach dem Erreichen der Champions League: Gerade die jungen Spieler hätten immer mehr "verstanden, was es braucht, damit wir das schaffen können. Aber auch, dass wir etwas nicht geschafft haben. Wir arbeiten alle immer hart daran."

Der Baumeister

Das haben die Rossoneri in der Tat - angeleitet von Stefano Pioli. Dem seit 2003 im Profibereich trainierenden Macher, der nach den großen Stationen Lazio, Inter und Florenz seit 2019 seine Heimat im rot-schwarzen Teil von Mailand gefunden hat, ist dieser Titel sicher zum größten Teil anzurechnen.

Stefano Pioli hat Milan wieder auf den italienischen Thron geführt.

Erfolgsgarant: Unter Trainer Stefano Pioli hat sich Milan immer mehr verbessert - und nun den Scudetto geholt. AFP via Getty Images

Pioli ist seinem Plan trotz anfänglich durchwachsenen Leistungen kurz vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie mit den jungen Spielern treu geblieben, hat einen gepflegten Offensivfußball mit gewohnt hoher Taktikschule gepaart - und immer mehr Früchte geerntet. Vor dieser Saison sind sogar die schmerzhaften Abgänge von Europameister Gianluigi Donnarumma (PSG) und Hakan Calhanoglu (Inter) abgefedert worden. Ebenso hat den Coach ein zwischenzeitlich bevorstehendes Engagement von Ralf Rangnick nicht aus der Ruhe gebracht - am Ende hat es hier die Absage für den Deutschen sowie erst eine Vertragsverlängerung bis 2022 und eine bis 2023 mit Option gegeben.

Die Idee

Spielerisch sieht das bei Milan wie folgt aus: Man verteidigt proaktiver als noch in den dunklen Zeiten ohne klare Idee, als man oft von Klubs wie Atalanta auf die Mütze bekommen hat, und presst relativ hoch in der gegnerischen Hälfte. Offensiv soll auf den Außen Betrieb gemacht werden etwa mit dem stets mit aufrückenden Theo oder Saelemaekers - und in der Mitte dann die klar als Zielspieler auserkorenen Giroud und/oder Ibrahimovic gesucht werden. Zudem bietet das Zentrum alles: Passstärke durch Bennacer, hohe Bälle in entstehende Räume über den mit Pirlo verglichenen Tonali, Härte und Physis dank Führungsfigur Kessié.

Agiert wird wegen der älteren Herrschaften vorn im Zentrum zuletzt am meisten im 4-2-3-1-System, bewusst wird dabei auch oft eine Seite überladen, um dort nach vorn zu kommen oder bei zu viel Enge eben mit Diagonalschlägen beispielsweise auf den anschiebenden Theo zu schieben.

"Wie eine große Familie"

Zlatan Ibrahimovic lässt sich feiern.

Leitwolf einer immer weiter gewachsenen und an der Spitze stehenden Milan-Mannschaft: Zlatan Ibrahimovic. AFP via Getty Images

"Wir haben uns verändert", hat Pioli die Entwicklung seiner Mannschaft immer wieder lobend erwähnt und auch gesagt: "Das ist ein neues Milan."

Ein Milan, das mit dem starken 3:0 in Sassuolo zum Abschluss dieser Saison verdientermaßen wieder an der Serie-A-Spitze steht und andere Giganten wie den letztjährigen Meister und Erzrivalen Inter, Napoli sowie natürlich Juve nach deren zwischenzeitlichen neun Meisterschaften in Serie wieder in die Schranken gewiesen hat.

Das ist laut Pioli, der mit seiner Art bei jedem Spieler und jedem im Klub sehr gut ankommen soll, nur möglich gewesen, weil alle - wirklich alle - an einem Strang gezogen haben. "Es hat sich vom ersten Tag an, als ich einen Schritt nach Milanello gemacht habe, wie eine große Familie angefühlt. Der Klub selbst tut dabei alles, um einem das Arbeiten so leicht wie möglich zu machen. Hier atmet man eine einzigartige, fast schon magische Luft."

Und hier schließt sich der Kreis: Hatten noch jene Zauberkünstler wie Kaka und Vereinslegenden wie Paolo Maldini, Gattuso oder Pirlo den Zauber der alten Tage entfacht, sind es elf oft triste Jahre später neue und strahlende Gesichter, die einen freien Platz im vollen Trophäenregal wieder entstauben - darunter auch ein älteres und schon damals vorhandenes Gesicht dieses großen Vereins mit längeren Haaren. Das von Ibrahimovic. "Sempre Milan" kann von den Fans, die beim Saisonabschluss in Sassuolo zu Tausenden friedlich den Platz gestürmt und mit den Spielern gefeiert haben, wieder voller Stolz in die Welt getragen werden - mit Scudetto Nummer 19 im Gepäck.

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