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Dele Alli öffnet sich: "War abhängig von Schlaftabletten"

Engländer erzählt von schockierender Kindheit

Alli bricht sein Schweigen: "Ich war abhängig von Schlaftabletten"

Zuletzt leihweise für Besiktas unterwegs: Dele Alli.

Zuletzt leihweise für Besiktas unterwegs: Dele Alli. IMAGO/Seskim Photo TR

Von außen betrachtet könnte alles so einfach sein. Dele Alli, als Teenager Stammspieler bei Tottenham, als größtes Talent Englands gehandelt, stieg der Ruhm schon nach wenigen Jahren zu Kopf. Parties, Faulheit, der selbstverschuldete sportliche Abstieg. Allmählich aussortiert, zu Everton gewechselt, nach Istanbul verliehen. Eine Karriere, die mit 27 Jahren längst beendet erscheint.

Allis Geschichte ist allerdings alles andere als einfach. "Ich habe Angst davor, darüber zu reden", gesteht der Mittelfeldmann Ex-Spieler Gary Neville für das "Sky Sports"-Format "The Overlap". Doch nun, nur drei Wochen nachdem Alli eineinhalb Monate in einer Klinik verbracht hat, sei "die richtige Zeit gekommen, den Leuten zu erzählen, was los war".

"Bist du okay?", fragt Neville zu Beginn des Gesprächs, und Alli kann das bejahen - "zum ersten Mal in einer langen Zeit". Mental gehe es ihm "gerade besser denn je", versichert Alli, der auch "die Leidenschaft für den Fußball wiederentdeckt" habe. Viele Kritiker fühlen sich an dieser Stelle wahrscheinlich bestätigt, sie hatten ihm vorgeworfen, eben diese Leidenschaft verloren zu haben. Das hatte er. Doch sie wissen nicht, warum.

Missbrauch in der Kindheit

Schon seit Jahren trug der Everton-Spieler Probleme und Gefühle mit sich herum, die er einfach hatte verdrängen wollen. "Ich gewann den täglichen Kampf, ins Training zu gehen, zu lächeln, Freude vorzuspielen, aber in mir habe ich den Kampf definitiv verloren", verrät Alli, dessen Waffen in diesen Kämpfen Alkohol und Schlaftabletten waren. "Ich wurde abhängig", gesteht ein Mann, der diese Sucht inzwischen besiegen konnte.

Was Alli zu verdrängen versuchte, hatte allerdings rein gar nichts mit Erfolg oder Ruhm zu tun. Sondern mit bedrückenden Erlebnissen aus einer Kindheit, die Interviewpartner Neville das blanke Entsetzen ins Gesicht meißelte.

Ein paar Jahre lang habe ich mich selbst verloren, ich wollte keine Hilfe annehmen.

Dele Alli über seine psychischen Probleme

"Mit sechs Jahren wurde ich von einem Freund meiner Mutter missbraucht, die eine Alkoholikerin war", beginnt Alli die traurigste Episode seines Lebens. "Später wurde ich zu meinem Vater nach Afrika geschickt, um Disziplin zu lernen. Mit sieben begann ich zu rauchen, mit acht damit, mit Drogen zu dealen." Ein Kind ohne Halt. Der Halt kam spät, mit zwölf Jahren wurde der Junge "von einer tollen Familie" adoptiert, "ich hätte mir keine besseren Leute wünschen können".

Doch obwohl ihm die Adoptivfamilie helfen möchte, kann er sich ihr nicht öffnen. "Ein paar Jahre lang habe ich mich selbst verloren, ich wollte keine Hilfe annehmen, alles für mich selbst regeln, mit mir selbst ausmachen", erklärt Alli, der mit 24 Jahren "eines morgens vor dem Spiegel stand, mich anschaute und mich fragte, ob ich jetzt schon mit der Sache, die ich liebe, aufhören kann". Mit dem Fußball.

Der Weg in die Öffentlichkeit, um zu helfen

Durch die Hilfe, die er in diesem Sommer endlich annehmen konnte, hat Alli das Ruder laut eigener Aussage herumgerissen. Er will weiterspielen, bei Everton, wenn er von seiner Verletzungspause zurückkehren kann. "Ich habe gewisse Dinge hinter mir gelassen, die mich zurückgehalten und runtergezogen haben", sagt der inzwischen 27-Jährige. Etwa den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern.

Dennoch "mache ich niemandem einen Vorwurf dafür, wie es mir geht", Alli möchte "Leuten auch nicht leidtun". An die Öffentlichkeit gegangen ist er mit seiner Geschichte, um "vielleicht nur einer einzigen Person damit zu helfen". Er wirbt dafür, Hilfe anzunehmen, und dankt seinem Verein für "Unterstützung und Verständnis" auf diesem Weg.

Bei Everton könnte einer der eigentlich begabtesten englischen Fußballer mit mehr Ordnung in seiner Psyche einen zweiten sportlichen Frühling erleben. Sein Niveau von einst will er nicht erreichen. "Ich will noch besser als damals sein, als Spieler und als Mensch", betont Alli, der mit dieser Zeit abgeschlossen hat. "Ich schaue nur nach vorne und bin gespannt, was die Zukunft für mich bereithält."

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