EM

Bonucci und Chiellini: Viel mehr als ein Bollwerk

Italiens Abwehrduo ermöglicht die Lust an der Offensive

Bonucci und Chiellini: Viel mehr als ein Bollwerk

Mehr als ein Bollwerk: Georgio Chiellini (li.) und Leonardo Bonucci.

Mehr als ein Bollwerk: Georgio Chiellini (li.) und Leonardo Bonucci. UEFA via Getty Images

Aus dem Geheimfavoriten Italien ist der neue Titelanwärter geworden. Seit September 2018 ist die Squadra Azzurra bis zum Achtelfinalspiel gegen Österreich ohne Gegentor geblieben - 1143 Minuten lang hat Keeper Gianluigi Donnaruma kein Gegentor zugelassen. Natürlich ist das nicht das alleinige Verdienst des Milan- Torwarts. Vor ihm verteidigt die Abwehr stabil mit zwei zwei Oldies. Italiens Trainer Roberto Mancini, der in seiner seit Mai 2018 währenden Ära schon 70 Spieler einsetzte - überredete einen davon sogar zum Rücktritt vom Rücktritt.

Defensiv stark wie immer - nur anders

Auf den ersten Blick hat Italien nichts an seiner defensiven Stärke verloren. Erst zwei Gegentore kassierte das Mancini-Team im gesamten Turnier. Und das waren auch noch zwei Standards: Einen diskussionswürdigen Elfmeter gegen Belgien und ein Kopfballtor nach einer Ecke gegen Österreich. Aus dem Spiel heraus waren sie bislang nicht zu bezwingen.

Schon vor dem Turnier hat sich der Trainer der Italiener auf eine alte Innenverteidigung festgelegt. Mancini überzeugte Georgio Chiellini zur Rückkehr, um an der Seite von Leonardo Bonucci die Abwehrzentrale zu bilden. Jung ist allerdings anders, denn mit 36 bzw. 34 Jahren bilden sie die älteste Innenverteidigung der EM. Fehlende Spritzigkeit ist kein Problem, die beiden Spieler zeichnet ein makelloses Stellungsspiel aus. Hinzu kommt, das Bonucci im gesamten Turnier noch kein einziges Foul gespielt hat. Chiellini pflegt eine etwas härtere Gangart - 1,24 pro Fouls pro Spiel –, aber auch er  ließ noch keinen Gegner bei einem direkten Duell vorbei.

Chiellini verletzt - Mancinis Aushilfen schwächeln

Als Chiellini bei Italien zweimal verletzt fehlte, mangelte es Italien an Stabilität in der Viererkette. Roberto Mancini versuchte es abwechselnd mit Francesco Acerbi und Alessandro Bastoni. Zu hundert Prozent konnten die Aushilfen den Kapitän aber nicht ersetzen. Vor allem die Kombination Ascerbi-Bonucci hatte im Achtelfinale gegen Österreich viel zu tun und ließ 16 Abschlüsse des Gegners zu. Die meisten in einem Spiel bei diesem Turnier für Italien.

Trotz der in die Jahre gekommenen Innenverteidigung gehört das berühmt-berüchtigte Catenaccio der Vergangenheit an. Italien verteidigt höher als gewohnt. 46,44 Meter vor dem Tor ist die durchschnittliche erste Verteidigungsaktion (bei einer Spielfeldlänge von 100 Metern), so dass die Italiener früh Druck auf den Gegner erzeugen. Bei Ballverlust soll so schnell wie möglich das Spielgerät zurückerobert werden. Das hohe Verteidigen hat allerdings eine Schwachstelle.

Konter gegen Italien, das war in der Vergangenheit ein schweres Unterfangen. Doch das hohe Pressingt macht Italien anfällig für blitzschnelle Gegenstöße. Im Schnitt ließ Italien pro Spiel eine Konterchance des Gegners zu. Während der K.-o.-Phase waren es sogar 2,5 Konteraktionen pro Spiel. Nur Dänemark hatte bisher eine schlechtere Bilanz unter den Halbfinalisten (1,2 Konteraktionen pro Spiel). Ein Gegentor resultierte aus diesen "Überfällen" der Gegner allerdings nicht, die in Keeper Donnaruma ihren Meister fanden. Wie wichtig bei hohem Pressing eine gute Defensive ist, zeigt der Schussvergleich von Italiens Gegnern in Achtel- und Viertelfinale.

Italien Schussgrafik

Mit dem Duo Bonucci/Chiellini kommen die Gegner kaum zum Abschluss. kicker/statsbomb

Nicht nur die Anzahl der Schüsse ist gegen Österreich erheblich größer, auch ließ die italienische Abwehr fünf ungeblockte Schüsse im Strafraum zu.  Gegen die offensiv deutlich besser besetzten Belgier waren es dagegen nur zwei. Die "expected-Goals-Statistik" (xG) zeigt die Anfälligkeit Italiens mit dem Duo Bonucci-Acerbi: Drei Schüsse hatten einen xG -Wert von 0,15 oder höher. Gegen Belgien war es nur der Elfmeter, der ungeblockt Gefahr auslöste.

Abwehrduo mit Topwerten im Aufbauspiel

Italienische Defensivstabilität, das ist nichts Neues. Doch die beiden Innenverteidiger sind auch in den Aufbau mit eingebunden. Angriffe, die über Bonucci laufen, haben zusammengerechnet einen xG-Wert von 0,68. Bei Chiellini liegt dieser sogar bei 0,71 - für das Duo sind das absolute Topwerte bei der EM. Auch in Sachen Pässe sind die erfahrenen Abwehrspieler ganz vorne mit dabei. Rund 60 Pässe pro Spiel spielen beide Innenverteidiger, angekommen sind bislang 92 Prozent.

Halbfinal-Gegner Spanien muss also gewarnt sein. Trotz der alten Innenverteidiger hat sich das Spiel der Squadra Azzurra gewandelt. Offensive Lust und defensive Sicherheit schließen sich nicht mehr länger aus. 

Franziskus Heyne

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