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Brdaric im Interview: "Stuttgart? Ein Kuschelkurs hat selten zum Klassenerhalt geführt"

Ex-Nationalspieler auf seiner "Deutschland-Tour" auch in Krefeld zu Gast

Brdaric im Interview: "Stuttgart? Ein Kuschelkurs hat selten zum Klassenerhalt geführt"

Kommt derzeit viel herum: Thomas Brdaric.

Kommt derzeit viel herum: Thomas Brdaric. imago images/Jan Huebner

Herr Brdaric, an diesem Wochenende spielen zwei Ihrer Ex-Klubs, Stuttgart und Wolfsburg, gegeneinander. Um wen sorgen Sie sich mehr?

So gefragt um den VfB! Dort darf nicht mehr viel schiefgehen. Bis auf kleine Zwischenhochs hatten sie in Stuttgart eine sehr holprige Saison mit vielen unnötigen Verletzungen, die immer wieder zu Umstellungen führten. Dazu die taktischen Umstellungen in der Defensive - es konnte sich nie etwas kontinuierlich entwickeln. Immerhin sind sie stets ruhig geblieben, zumindest nach außen.

Zu ruhig?

Ja, vielleicht. Ein Kuschelkurs hat bislang jedenfalls selten zum Klassenerhalt geführt. Jetzt aber ist es zu spät für laute Kritik, die aufrüttelt.

Kommt da der kriselnde VfL Wolfsburg als Gegner gerade richtig?

Das lässt sich bei deren Wechselhaftigkeit schwer sagen. Auch der VfL hat in diesem Jahr keine gleichmäßige Entwicklung hinbekommen. Top Start, dann eine unfassbare Negativserie, verbunden mit dem Trainerwechsel und dem Pokal-Aus durch den Wechselfehler. Da fühlte ich mich an meine eigene Zeit in Wolfsburg erinnert...

Nach dem Spiel kam unser Manager Peter Pander in die Kabine und sagte: "Jungs, wir sind raus."

Brdaric zum kuriosen Wolfsburger Pokal-Aus 2004

Inwiefern?

Nun, 2004 spielten wir in der 1. Runde bei der "Zweiten" des 1. FC Köln. Ich machte zwei Tore und wir gewannen 3:0, eigentlich. Nach dem Spiel kam unser damaliger Manager Peter Pander in die Kabine und sagte: "Jungs, wir sind raus." Der VfL hatte versehentlich Marian Hristov eingesetzt, der aus der Vorsaison noch rotgesperrt war. Wir waren alle geplättet und haben uns davon nicht wieder richtig erholt. Lange Zeit waren wir ja mit Trainer Eric Gerets sogar Tabellenführer, am Ende wurden wir nur Neunter. Der Schock saß tief.

Wie gut haben Sie sich inzwischen vom Schock Ihres abrupten Ausscheidens als gerade zuvor noch ausgezeichneter "Trainer des Jahres" bei Vllaznia Shkoder in Albanien erholt?

Inzwischen geht es wieder. Wenn man mit viel Engagement arbeitet, trifft einen so etwas zunächst hart. Immerhin haben wir den Klub aus seinem Dornröschenschlaf geweckt und voriges Jahr zumindest auf die kleine internationale Bühne, die Qualifikation zur Europa League, geführt. Ich hätte auch gerne noch unseren Pokaltitel von 2021 verteidigt. Das ist für die Jungs jetzt noch möglich und dafür drücke ich ihnen die Daumen.

Brdaric schaut sich in Deutschland um

Haben Sie ein wenig vom Fußball abgeschaltet?

Nein, nicht wirklich. Ich fühle mich fit genug und frisch für eine neue Aufgabe, die nicht gleich wieder im Ausland warten muss. Ich bin sozusagen auf Deutschland-Tour, schaue hier und da Spiele und treffe überall Bekannte und ehemalige Weggefährten. Nicht nur in der Bundesliga, sondern auch im kleinen Fußball. Mein Sohn Tim spielt ja beim KFC Uerdingen. Das letzte Heimspiel dort fand erstmals wieder in der Grotenburg statt, es war hoch emotional.

Auch für Sie?

Ja, klar! Die Atmosphäre mit den vielen Zuschauern, Gänsehaut. Der Rasen war Wembley, die Leistung - na ja… Das Ergebnis, 0:4 gegen Homberg, passte nicht. Aber ich war trotzdem gerne dabei. Und wenn man von den Verantwortlichen dort um Rat gefragt wird, gibt man den natürlich gerne. Sie müssen das schwere Erbe der Ponomarev-Zeit regeln, als Ehrenamtliche. In den nächsten Monaten muss beim KFC schon viel richtig gemacht werden, damit es einmal wieder aufwärts gehen kann.

In Ihrer Zeit als Sportdirektor von Dinamo Minsk 2011 erwarben Sie einst im Nachbarland Ukraine, genauer in Kiew, Ihre UEFA-Profitrainerlizenz, lernten dafür eigens Russisch. Was geht in Ihnen vor, wann Sie sehen, was heute in diesen Ländern passiert?

Es mutet einfach alles sehr, sehr surreal an. Man kann es kaum glauben, es tut weh und man fühlt mit den Menschen dort, und denen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten. Sie brauchen dringend Hilfe.

Sie selbst gingen einst mit gutem Beispiel voran und nahmen den jungen kongolesischen Kriegsflüchtling Melva Luzalunga, der heute bei den Sportfreunden Baumberg in der Oberliga Niederrhein spielt, bei Ihnen zu Hause auf. Wie kam das zustande?

Als vor einigen Jahren die Flüchtlinge ein großes Thema waren, haben wir in der Familie überlegt, was wir tun können. Tim spielte in der U 17 von Fortuna Düsseldorf zusammen mit Melva, der in der Diakonie untergekommen war. Wir haben ihm angeboten, als normales Kind bei uns in der Familie zu leben. Das hat er angenommen und sich prächtig entwickelt. Er hat einen Ausbildungsplatz und gute Chancen für seine Zukunft.

Wünschen Sie sich, dass mehr Menschen so handeln wie Ihre Familie seinerzeit?

Es ist ja auch eine Bereicherung des eigenen Lebens. Deshalb kann ich es nur jedem nahelegen, wenn er die Möglichkeit hat, so etwas zu tun. Aber man kann auch auf vielschichtige andere Weise helfen.

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