Champions League

Wie Galeno vom FC Porto zum Champions-League-Topscorer wurde

Der Brasilianer, der zur EM will

Die Verwandlung: Wie Galeno zum Topscorer der Champions League wurde

Pfeilschnell: Portos Galeno überzeugt durch enorme Geschwindigkeit.

Pfeilschnell: Portos Galeno überzeugt durch enorme Geschwindigkeit. Getty Images

Selbst Manuel Neuer hätte sich strecken können bis zum Hinfallen. Und auch David Raya hat ja alles probiert, an seinen für Torhüter nur 1,83 Metern lag es ebenfalls nicht. Der Schlenzer von Galeno passte einfach haargenau. Etwas halblinks außerhalb des Strafraums hatte die Nummer 13 des FC Porto den Ball mit rechts im perfekten Bogen neben den Pfosten ins Tor gezwirbelt, Keeper und Kunstschützen nennen diese Region gern das kleine Netz.

Nicht nur weil es die vierte Minute der Nachspielzeit war und der Treffer den 1:0-Sieg im Champions-League-Achtelfinalhinspiel gegen den Favoriten FC Arsenal bedeutete, flippten die Fans im Drachenstadion aus. Sie bejubelten ekstatisch das, was sie in Portugal so liebevoll ein "Golaco" nennen, ein Traumtor.

In Portos Kabine hatte Galeno schon vor dem Geniestreich gegen die Gunners seinen Spitznamen weg; Mr. Champions rufen sie ihn seit Wochen, immerhin überwinterte er mit an der Spitze der Torschützenliste der Champions League. Mit zwei Doppelpacks bei den Siegen über Schachtar Donezk (3:1, 5:3) war er hauptverantwortlich dafür, dass Porto überhaupt noch im Wettbewerb ist. Dabei heißt der Goalgetter der Nordportugiesen doch normalerweise Mehdi Taremi. Doch der Iraner, der mutmaßlich ab dem Sommer für Inter Mailand stürmt, steht erst bei zwei Treffern.

Galenos Karriere verlief keineswegs schnurgerade

Dass Galeno die internationale Bühne mag, hat er bereits in der Saison 2021/22 bewiesen. Damals schoss er in der Gruppenphase der Europa League sechs Tore. Nicht für Porto, das ihn einst als Teenager aus Brasilien holte, sondern für Sporting Braga. Denn schnurgerade verläuft seine Karriere keineswegs. Und bald könnte sie eine weitere Wendung nehmen.

"Wir scherzen viel mit Galeno und sagen ihm, dass er sich in diesen Spielen verwandelt, aber er ist ein Fünf-Sterne-Teamkollege", sagt Pepê, nicht der 41-jährige Verteidiger Pepe, sondern der 27-jährige Offensivkollege, der fünf Monate älter ist als Galeno und ebenfalls aus Brasilien stammt. Während Pepê aber im Vorjahr sein Debüt für die brasilianische Nationalelf gab und auch der Ex-Leverkusener Wendell für die kommenden Spiele nominiert wurde, wird Galeno offenbar nicht in der Selecao seines Geburtslandes auflaufen, sondern wohl bald in der seiner Wahlheimat. Er würde damit den Beispielen von Pepe (dem Älteren) und Deco folgen, ebenfalls eingebürgerte Brasilianer.

Seit dem Montagabend aber steht Galeno vor einer enorm schwierigen Entscheidung, weil überraschend eine Einladung von Dorival Junior eintraf, dem neuen Nationaltrainer Brasiliens. Brasilien? Oder doch Portugal? 2022 bekam Galeno nach fünf Jahren im Land den portugiesischen Pass und sagte damals: "Ich würde mit dem größten Stolz für Portugal spielen."

Die Chance dazu hätte er schon bald, denn Roberto Martinez hat Galeno auf einer Liste mit 30 Namen für die Freundschaftsspiele in der kommenden Woche gegen Schweden und Slowenien erstmals eingeladen. Es sind die Testläufe für die EM in Deutschland, wo die bislang bekannten Gruppengegner Türkei und Tschechien heißen.

Der Nationaltrainer jedenfalls hat bereits seine Bewunderung für Portos Flügelstürmer kundgetan. "Ich mag, was er kann, seine Vertikalität, seine Spielweise", erklärt Martinez, "ein Rechtsfüßer, der als Linksaußen spielt." Von dort zieht Galeno wie gegen Arsenal nach innen und sucht den Abschluss. Stets hilft ihm dabei seine enorme Geschwindigkeit, und nun muss er sich schnell für ein Nationaltrikot entscheiden.

CHAMPIONS LEAGUE - ACHTELFINALE

Wenn er im Vollspeed an den Verteidigern vorbeisprintet, dann kaschiert das auch etwas seine Mängel im Dribbling und bei Flanken. Was Martinez obendrein schätzt, ist die Vielseitigkeit. "Er kann in einer Reihe mit vier oder fünf Verteidigern spielen." Das mache Galeno sportlich noch wertvoller. Sein Marktwert war durch die Tore in der Königsklasse ohnehin rasant geklettert.

Aus dem Nordosten Brasiliens, aus der kleinen Stadt Barra do Corda in Maranhao, war er einst ausgezogen mit dem Traum, Fußballprofi zu werden. Der FC Porto holte den damals 19-Jährigen 2016 über den Atlantik in seine B-Mannschaft. Er war zunächst ausgeliehen von Gremio Anapolis, einem Verein, der sich im Besitz eines portugiesischen Investors befindet. Mit 13 Toren und 6 Vorlagen in der 2. Liga überzeugte Galeno in Europa auf Anhieb, für 1,5 Millionen Euro Ablöse folgte die Festanstellung. Und unter Sergio Conceicao, der noch heute sein Trainer beim FC Porto ist, debütierte der Youngster in der Saison 2017/18 bei den Profis. Kurioserweise war es aber auch dieser Coach, der Galeno dreimal wegschickte. Erst wurde er an Portimonense und Rio Ave verliehen, dann 2019 an Sporting Braga verkauft.

Offenbar traute man ihm damals den Sprung nach ganz oben nicht zu, auch wegen allerlei taktischer Schwächen. Vor allem bei der Defensiv-Arbeit leistete sich Galeno immer wieder Schnitzer, weil er den linken Außenverteidiger zu oft allein ließ. Inzwischen ist das zwar deutlich verbessert, aber noch immer nicht ganz abgestellt. Dennoch nutzte Porto sein Vorkaufsrecht.

Für 3,5 Millionen Euro hatte man Galeno an Braga abgegeben, zweieinhalb Jahre später, im Januar 2022, holte Sergio Conceicao den nun deutlich reiferen Spieler für die fast dreifache Summe wieder zurück. Nicht nur in jener Europa-League-Gruppenphase hatte Galeno für Aufsehen gesorgt, 23 Tore und 24 Assists sammelte er insgesamt bei dem Intermezzo. Zudem gewann er mit Braga 2021 den Pokal, die Taca de Portugal.

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Portos Coach Sergio Conceicao: "Ich sehe eine großartige Entwicklung"

Seit seiner Rückkehr nach Porto geht es nun weiter voran. 2022 holte er seine zweite Meisterschaft nach 2018, dazu war er auch in den vergangenen beiden Jahren jeweils Cupsieger. "Ich sehe eine großartige Entwicklung", sagt Sergio Conceicao. Auch deshalb einigten sich Verein und Spieler im Januar auf eine Verlängerung des Vertrags bis 2028. "Ich will in diesem Verein noch glücklicher sein", begründet Galeno die langfristige Bindung.

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Richtig happy wären in Porto natürlich alle, sollte es am Dienstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) mit dem Einzug ins Viertelfinale klappen, so wie zuletzt 2020/21, als man dann aber am späteren Champions-League-Sieger FC Chelsea scheiterte. Die Mission bei Arsenal wird höchst knifflig, doch die Drachen haben sich vor einer Woche im Classico gegen Benfica warm geschossen. 5:0 besiegten sie den Erzrivalen, Galeno schoss die ersten beiden Tore. Diesmal aber nicht per Schlenzer. Mr. Champions stand zweimal genau richtig am Fünfmeterraum und knipste.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Ausgabe vom 11. März. Hier können Sie sich den kicker als eMagazine im Flex-Abo sichern.

Martin Gruener, Silvio Vieira