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Daniel Farke im Interview über Norwich und die Premier League

Daniel Farke im Interview über Norwichs Ab- und Wiederaufstieg

"Ich hatte das Gefühl, das Projekt noch nicht fertiggestellt zu haben"

Blieb Norwich City im Sommer treu: Daniel Farke.

Blieb Norwich City im Sommer treu: Daniel Farke. imago images

Selbst in Norwich liegt in diesen Tagen Schnee. Obwohl das, wie City-Trainer Daniel Farke sagt, "hier so gut wie nie vorkommt". Der deutsche Trainer des Premier-League-Absteigers hat gute Laune, als ihn der kicker am Telefon zum Interview erreicht. Nach 28 absolvierten Spieltagen stehen die Kanarienvögel auf Rang zwei und spielen nach Punkten die bislang beste Saison der Klubhistorie. Vor dem Heimspiel gegen Stoke City am Samstag spricht der 44-Jährige darüber, wie man in Norwich den Abstiegskater verhindern konnte, welche Ziele er mit den "Canaries" verfolgt und weshalb er auch nach dem Abstieg dem Klub treu geblieben ist.

Herr Farke, am Samstag empfangen Sie in der Championship Stoke City. Es dürfte derzeit wenig zu meckern geben für Sie, oder?

(lacht) Die vergangenen Tage hätten für uns besser laufen können, da haben wir zu wenig gepunktet. Aber insgesamt sind wir topzufrieden. Wir spielen bislang eine fantastische Serie, die beste der Vereinsgeschichte. Wir haben sogar zwei Punkte mehr als zum selben Zeitpunkt der Aufstiegssaison. Als Absteiger ist das keine Selbstverständlichkeit. Aber es gibt zugleich auch keine Garantie, dass es so bleibt. Wir werden bis zum Saisonende weiter hart arbeiten müssen.

Aber erwartet man von einem Absteiger nicht, dass er direkt wieder zurückkehrt? >p>Seit ich in England bin, hat es von neun Absteigern aus der Premier League nur der FC Fulham direkt zurück nach oben geschafft - und das auch eher glücklich über die Play-offs. Sunderland und Hull beispielsweise wurden in der jüngeren Vergangenheit sogar direkt durchgereicht. Aus Deutschland kennt man das ja auch. Dafür gibt es genügend Beispiele. Selbst ein Weltklassetrainer wie Jürgen Klopp ist 2008 mit Mainz nicht sofort wieder in die Bundesliga zurückgekehrt.

Neben Norwich stiegen im Sommer auch Bournemouth und Watford ab. Beide halten Sie punktemäßig derzeit deutlich auf Abstand. Stärkt das Ihre These?

Bei beiden Spielern gab es den Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass sie die Liga noch nicht wieder voll angenommen hatten.

Farke über Buendia und Cantwell

Bei beiden fällt auf, dass sie wesentlich mehr Premier-League-Erfahrung in ihren Mannschaften haben als wir. Vielleicht ist das jetzt also ein Vorteil für uns. Grundsätzlich kann ich meine Jungs zu ihrer bisherigen Leistung und ihrer Konstanz nur beglückwünschen. Der "Relegation-Hangover" (Abstiegskater, Anm. d. Red.), von dem hier in England oft die Rede ist, hat uns nicht erwischt. Wir haben den Mentalitätswechsel gut hinbekommen und konnten recht zügig eine Siegesserie in der Championship starten - obwohl wir uns in der Premier-League-Saison gewissermaßen ans Verlieren gewöhnen mussten.

Sie konnten nach dem Abstieg eine große Zahl der Stützen halten: Torhüter Tim Krul blieb ebenso wie Stürmer Teemu Pukki. Auch die bei anderen Klubs gehandelten Talente Todd Cantwell, Emi Buenida und Max Aarons verließen Norwich nicht. Wie sehr hilft das in der aktuellen Situation?

Es war gerade angesichts der nur zweiwöchigen Pause, die wir im Sommer hatten, wichtig, auf eine Achse aufbauen zu können. Wir brauchten die Spieler, die Sie genannt haben, weil sie wissen, was notwendig ist, um Titel zu gewinnen. Genauso wichtig aber war es, neue Energie und frisches Blut ins Team zu bringen und dabei die richtige Balance zu finden. Denn du musst nach einem Abstieg auch erst einmal wieder eine gewisse Euphorie entfachen.

Cantwell und Buendia schafften es zeitweilig nicht in den Kader. Fiel Ihnen die Umstellung schwerer als anderen?

Emi Buenida

Leistungsträger bei Norwich City: Emi Buenida. imago images

Grundsätzlich war es ja so, dass bis Ende Oktober eine gewisse Unruhe um uns herum herrschte, weil es immer wieder Gerüchte um Abgänge gab. Bei beiden Spielern gab es den Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass sie die Liga noch nicht wieder voll angenommen hatten. Aber man darf auch nicht vergessen, dass so eine Umstellung gerade für so junge Kerle wie Emi und Todd nicht einfach ist. Sie kannten bis dahin ja nur den Weg nach oben und mussten dann erst einmal damit zurechtkommen, in der Premier League an eine gewisse Grenze gestoßen zu sein. Beide haben die Situation anschließend aber super angenommen und zählen heute wieder zu unseren Leistungsträgern.

In Ben Godfrey und Jamal Lewis verließen nur zwei absolute Stützen den Klub - und brachten Norwich Rekordeinnahmen ein. Wie verlockend war es, das eingenommene Geld sofort wieder einzusetzen?

Wir haben von Anfang an einen anderen Weg beschritten. Unser Klub finanziert sich vollständig aus eigenen Mitteln und hatte in der Vergangenheit bereits den Preis dafür gezahlt, mit aller Macht aufsteigen zu wollen. Wir wollten es diesmal ganz bewusst andersmachen, wollten nichts erzwingen. Zumal die Corona-Pandemie auch uns einen zweistelligen Millionen-Betrag gekostet hat. Wir haben deshalb finanziell sehr solide gewirtschaftet. Was uns aufgrund des guten Rufs, den wir inzwischen genießen, auch recht leichtgefallen ist.

Inwiefern?

Wir haben für unser Premier-League-Jahr - trotz des Abstiegs - viel Lob bekommen, die Topklubs wissen inzwischen, dass ihre Talente bei uns gut aufgehoben sind. Da kommt auch schon mal ein Anruf, ob sie Spieler X nicht in unsere Hände legen könnten. Diesen Stellenwert haben wir uns in den vergangenen Jahren durch unsere Arbeit mit jungen Spielern verdient.

Es stimmt, es gab andere Möglichkeiten für mich.

Farke über Angebote im Sommer

Eines dieser Talente in Ihrem Kader ist Oliver Skipp, der von Tottenham ausgeliehen wurde - und Ihr Stammsechser ist.

Ja, er ist gerade einmal 20 Jahre alt und spielt bei uns auf einer Position, die man häufig eher mit erfahreneren Spielern besetzt. Und das fast in jedem Spiel von der ersten bis zur letzten Minute. Er ist, wenn man so will, ein typischer Transfer für uns. Wir wollen weiter mutig sein.

Durchaus mutig war es auch von Ihnen, in Norwich zu bleiben. Sie hätten mit anderen Klubs erstklassig bleiben können ...

Es stimmt, es gab andere Möglichkeiten für mich. Und natürlich musste ich nach dem Abstieg erst einmal meine Gedanken strukturieren. Das ist normal, wenn du auf dem allerhöchsten Niveau gegen die besten Spieler und Trainer der Welt angetreten bist. Aber ich habe mich ganz bewusst auf die Aufgabe mit Norwich eingelassen, weil ich das Gefühl hatte, das Projekt noch nicht fertiggestellt zu haben.

Daniel Farke

Daniel Farke will mit Norwich direkt wieder in die Premier League. imago images

Die Etablierung des Klubs in den Top 26 Englands, wie Sie es mal formuliert haben?

Genau. Wir wollen den Klub so aufstellen, dass er entweder in der Premier League spielt oder in der Championship immer sicher in den Playoffs landet. Wenn wir das dieses Jahr wieder schaffen sollten, wäre es das dritte Jahr in Folge unter den Top 26, im Aufstiegsfall wäre sogar ein viertes Jahr garantiert. Dann wären wir der erwünschten Stabilität deutlich nähergekommen.

Sie hätten es leichter haben können.

Klar, aber mich hat auch die Schwere der Aufgabe gereizt. Es ist etwas anderes, ob du als Underdog den Titel gewinnst wie wir vor zwei Jahren, oder ob du als Absteiger direkt wieder hochgehst. Und nicht zuletzt hat mir auch die Rückendeckung, die ich in Norwich stets genossen habe, das Gefühl gegeben, dass ich dem Klub und den Menschen hier noch etwas zurückgeben muss. Dieser Verantwortung wollte ich gerecht werden. Zumal ich Verträge immer mit dem Willen unterschreibe, sie auch zu erfüllen. Und meiner läuft in Norwich noch bis 2022.

Interview: Matthias Dersch