"Er kann sehr gut mit den Spielern umgehen. Wir können uns immer an ihn wenden. Ich spreche regelmäßig mit ihm über Fußball, das ist schön. Der Trainer ist taktisch stark. Die Kritik an ihm zu Beginn war nicht gerecht." Diese Schnellzusammenfassung über seinen Coach Erik ten Hag kommt von Dusan Tadic (gegenüber "Voetbal International").
Was der 30-jährige serbische Stamm-Stürmer von Ajax damit meint? Ganz einfach: Ten Hag wurde seit seinem Amtsantritt 2017 (Nachfolger von Peter Bosz) keinesfalls mit offenen Armen in Amsterdam empfangen. Der am 2. Februar 1970 in Haaksbergen geborene Fußball-Liebhaber war im Dezember 2017 primär die Wahl von Sportdirektor Marc Overmars gewesen - und eher negativ behaftet vom Rest empfangen worden. Schließlich kam da jemand ohne Ajax-Stallgeruch, keiner mit einem Namen wie Johan Cruyff, Frank Rijkaard oder Edwin van der Sar. Sondern einer, dessen beste Disziplin es nicht ist, im Rampenlicht zu stehen, was aber beim ruhmreichen holländischen Top-Klub (Rekordmeister mit 33 Titeln) eigentlich gefordert wird.
Champions League - Halbfinale
Trainersteckbrief ten Hag
Trainersteckbrief Pochettino
Ajax Amsterdam - Vereinsdaten
Gründungsdatum
18.03.1900
Vereinsfarben
Rot-Weiß
Tottenham Hotspur - Vereinsdaten
Gründungsdatum
05.09.1882
Vereinsfarben
Blau-Weiß
Dazu war der Trainer einer, der als Chefcoach in seiner Vita "nur" die Go Ahead Eagles, Bayern Münchens Nachwuchsteam und den FC Utrecht stehen und auch als Spieler keine allzu glanzvolle Karriere (Pokalsieger 2001 mit Twente Enschede) hingelegt hatte. Zudem wagte er es mit Utrecht auch einmal, das in den Niederlanden nicht gern gesehene 4-4-2 spielen zu lassen.
Tore, Zauber, Erfolge
Einen ordentlichen Rucksack an Vorurteilen hatte ten Hag also direkt zum Start zu schleppen. Ein Problem? Eine zu große Bürde? Keinesfalls, denn es folgte das, womit selbst Tag-eins-Befürworter wie Overmars wohl nicht direkt rechnen konnten: Mit einer bestens formierten, mit großem Talent (Matthijs de Ligt, Frenkie de Jong) wie immenser Erfahrung gesegneten Mannschaft (Daley Blind, Lasse Schöne) lässt ten Hag einen Fußball zelebrieren, der den neutralen Zuschauer mit der Zunge schnalzen lässt. 111 Tore in 32 Ligaspielen, aktuell Platz eins vor Titelverteidiger Eindhoven (jeweils 80 Punkte), jüngst mit einem saftigen 4:0 gegen Willem II Tilburg den Pokal und damit den ersten Titel dieser Saison eingetütet.
Es geht noch weiter: In der Champions League erinnert dieses Team an die großen, altehrwürdigen Tage mit den Titelgewinnen 1971, 1972, 1973, 1995. Bayern München in der Gruppenphase zweimal mächtig Paroli geboten, Titelverteidiger Real Madrid auswärts mit einem märchenhaften 4:1 aus dem Achtelfinale geworfen, Juventus Turin eine Runde später aus dem Wettbewerb gekegelt und jetzt nur noch einen Schritt vor dem Einzug ins Finale (Rückspiel gegen Tottenham am Mittwoch, 21 Uhr, LIVE! bei kicker.de und live wie auf Abruf bei DAZN). Und bei alldem bietet dieses torhungrige, trickreiche, erfolgsgierige Team auf schier alle Probleme Lösungen. Lange Ballbesitzphasen? Mit diesen Technikern wie de Jong oder Hakim Ziyech, die sich alle blind verstehen, kein Problem. Rasantes Umschaltspiel? Bei diesen jungen Wilden wie David Neres absolut gebucht. Feine Kombinationen, oftmals auch mit Hacke und Spitze im gegnerischen Strafraum praktiziert? Immer mit im Repertoire von Tadic & Co.
Auf der Erfolgs- und Überholspur: Ajax Amsterdam. imago images
Die Ajax-Fans sind deswegen längst komplett aus dem Häuschen, haben vergangene Woche beim Hinspielsieg im Champions-League-Halbfinale bei Tottenham Hotspur (1:0) die Londoner Innenstadt sowie zahlreiche Eck-Pubs eingenommen - und feiern dabei den Mann, der für diesen Erfolg verantwortlich zeichnet: Trainer ten Hag, der von den eher unscheinbaren Stationen Bayern II und Utrecht zum renommierten Klub Ajax kam - und sich nun aufschwingt, in die Amsterdamer Champions-League-Triumphator-Riege um Rinus Michels, Stefan Kovacs (2) und Louis van Gaal aufzusteigen.
Spiel aus? Kopf schon wieder an!
Deswegen erklingt inzwischen auch reichlich Lob, wenn in den Niederlanden von ten Hag die Rede ist. Doch wie gelingt dem 49-Jährigen das alles? Mit Akribie!
Während er seinem Team nach Niederlagen oder Siegen stets einen Tag Freizeit zum Feiern oder Trauern spendiert, sitzt er selbst meist schon beim Rückflug wieder vor seinem liebsten Arbeitsgerät, dem Laptop. Schließlich muss die nächste Aufgabe, der nächste Gegner detailliert auseinandergenommen werden. Wenn es dann wieder auf den Trainingsplatz geht, verlangt ten Hag seinen Schützlingen alles ab, fordert höchste Konzentration - und vermittelt dabei auch den Spaß, den sein Team seit Saisonbeginn auf dem Platz versprüht. Die klare Mehrheit der Maßnahmen dieses Coaches sind dabei nicht nur richtig, sondern auch nachhaltig. Besonders ungewöhnlich: Ab dem ersten Vorbereitungstag steuert ten Hag das Training eines jeden Einzelnen individuell mit einem eigens auf den Profi zugeschnittenen Programm. Es wirkt. Wie man zuletzt im Duell mit den Spurs erneut wahrgenommen hat, sind seine Spieler fit. Auch ein 32-jähriger Schöne, einer der Sechser, der als dänischer Nationalspieler nach der WM 2018 in Russland kaum Urlaub genoss. Im De-Toekomst-Schulungskomplex werden die Werte der Spieler täglich überwacht, ten Hag studiert dies ebenfalls alles genau. Seine Einheiten sind extra lang, dafür haben manche Spieler aber auch mal komplett frei.
"Philosophie, Planung, tägliche Überwachung"
In München stets im Austausch: Pep Guardiola (links) und Erik ten Hag. imago images
Ten Hag selbst erläutert seine Arbeit wie folgt: "Philosophie, Planung und tägliche Überwachung. In dieser Reihenfolge. Also nicht nur mit Intuition und Gefühl, obwohl diese sicher auch eine Rolle spielen, die verbale und nonverbale Kommunikation, sondern auch auf der Basis von Messungen und Daten werden Entscheidungen gefällt." Wobei, das betont der Fußballlehrer, "die Wahrnehmung des Spielers" ebenso wichtig ist, denn "sie muss nicht der Realität des Trainers entsprechen".
In seiner Art, wie er Traininseinheiten beobachtet und fast schon überwacht, erinnert er nicht nur aufgrund seiner optischen Ähnlichkeit in Sachen Frisur (Kahlkopf) an Pep Guardiola und Matthias Sammer. Das kommt womöglich nicht von ungefähr, schließlich kennen sich alle drei aus gemeinsamen Tagen. Denn es war jener Sportdirektor Sammer, der ten Hag 2013 zum FC Bayern geholt hatte, mit dessen zweiter Mannschaft der Coach 2014 erst in letzter Minute des Rückspiels um den Aufstieg gegen Fortuna Köln scheiterte. Und als Guardiola 2013 Bayerns Profis trainierte, heuerte ten Hag bei der U 23 an - regelmäßige Unterhaltungen zwischen beiden folgten, prägten. Das hat ten Hag bestätigt: "Ich habe damals fast jedes Training angeschaut, da habe ich methodisch viel mitgenommen".
Bis zum Bondscoach?
Weggefährten beim FC Bayern München: Erik ten Hag (links) und Matthias Sammer. imago images
Wegen Guardiola und Sammer sei die Zeit in München "wie ein Sechser im Lotto" gewesen. "Er hat eine klare Linie und Denkweise, dennoch ist er offen für die Entwicklungen des Fußballs. Das ist für mich ein moderner Trainer", hatte Sammer selbst im vergangenen Herbst betont. "Wenn er Zeit bekommt, wird er alle belohnen." Danach sieht es jetzt aus. Und dann? Ten Hag, der sich als "nüchternen Typen" bezeichnet, ist auf bestem Wege in die Riege der neuen Top-Trainer - und bereit für noch höhere Aufgaben, zumal seine Mannschaft nach dieser Saison ohnehin zahlreiche Abgänge zu verschmerzen hat? Zu Hause wird er wie Mark van Bommel (PSV Eindhoven) als künftiger Bondscoach gehandelt, sein Agent spricht von mehreren Angeboten europäischer Top-Klubs.
Doch das ist alles noch Zukunftsmusik. "Dafür haben wir das ganze Jahr gekämpft", sagt ten Hag vielmehr nach dem 4:0 im Pokalfinale gegen Willem II und seinem ersten Titel als Trainer sowie dem zugleich ersten Pott für Amsterdam seit 2014 und quälend langen 1834 Tagen. Doch der Cup, betont der Ajax-Coach, sei "nur der erste Preis. Das steigert unseren Hunger nur noch."
