Int. Fußball

FC Barcelona: Xavis Taktik in der Analyse

Wie die Vereinslegende den Erfolg zurückbringt

Lewandowski ist nicht genug: Das macht Xavis Barça stark

Haben einen gewissen Anteil am aktuellen Erfolg beim FC Barcelona: Coach Xavi (li.) und Robert Lewandowski.

Haben einen gewissen Anteil am aktuellen Erfolg beim FC Barcelona: Coach Xavi (li.) und Robert Lewandowski. IMAGO/Jan Huebner

Der FC Barcelona hat an Relevanz zurückgewonnen, an sportlicher zumindest. Zum einen hängt dies mit dem finanziell kritisch hinterfragbaren Umbruch im Sommer zusammen. Aber auch damit, dass die Verstärkungen in Xavis System funktionieren. Seit 18 Pflichtspielen ist Barça ungeschlagen und verfügt in La Liga über ein Acht-Punkte-Polster auf Real Madrid, Robert Lewandowski führt die Torjägerliste in Spanien mit 15 Toren an. Und das, obwohl der 34-Jährige auch wegen einer Sperre vier der 22 Spieltage bislang verpasste.

La Liga

Doch Lewandowski ist nicht allein der Grund für den Erfolg. Wenngleich der Pole vorne für Furore sorgt und als Zielspieler agiert, geben andere den Takt im Erfolgssystem von Trainer Xavi vor.

Variabilität ist das große Plus

Im Spielaufbau sortiert sich Barça im 4-2-4, in dem Frenkie de Jong sich neben dem zuletzt angeschlagenen Sechser Sergio Busquets - oder nun Franck Kessié, der dabei mit de Jong die Rollen tauscht, - fallen lässt. So besetzen die Katalanen um Keeper Marc-André ter Stegen als Ausgangspunkt ab dem Strafraum das Spielfeld, was schnell individuelle Fehler abfangen soll. Ter Stegen ist dabei wichtig, durch den mitspielenden deutschen Nationaltorhüter wird früh ein Überzahlspiel geschaffen, da dieser hoch steht und nicht nur im Sechzehner verharrt.

Der momentan am Oberschenkel lädierte Kreativgeist Pedri agiert während dieser Phase auf der Acht oder als hängende Spitze, die Mittelfeldspieler halten ihm den Rücken frei. Erst im fortgehenden Spielaufbau entwickelt sich das klassische 4-3-3 mit reichlich Ballbesitz. Dabei vergrößern die Akteure ihren Abstand zueinander, das Spiel wird breit gemacht. Allen voran der Rechtsaußen - aktuell der formstarke Brasilianer Raphinha oder der nun am Oberschenkel verletzte Franzose Ousmane Dembelé - ist abgeschottet vom Geschehen.

Erinnerungen an Iniesta

Die Rolle des linken Flügelstürmers nimmt in der Regel "Golden Boy" Gavi ein. Wie Vereinsikone Andres Iniesta interpretiert der 18-Jährige diesen Part dabei nicht ganz so offensiv. Gavi steht im Gegensatz zum Rechtsaußen tief und bildet eine Line mit dem Mittelfeld. So hat er das Geschehen vor sich und kann wie der ebenso technisch versierte Pedri Angriffe initiieren. Neben dem "tödlichen Pass" besteht die Möglichkeit, selbst in den Strafraum einzuziehen und gefährlich abzuschließen. Gavi schnürt zusätzlich oft den Gegner ein und ist ein Sinnbild für das gut funktionierende hohe Gegenpressing in Richtung des ballführenden Kontrahenten. Dem offensiv denkenden Linksverteidiger Jordi Alba (oder Balde) verschafft der Youngster zusätzlich Raum.

Teilweise agiert Barcelona mit sechs Offensivspielern

Stößt Alba vor, ordnen sich die Katalanen im 3-2-5 mit den Sechsern de Jong und Busquets/Kessié. Alternativ löst sich der Niederländer gelegentlich und lässt gar ein 3-1-6 entstehen. Das Risiko hierbei sind teilweise klaffende Lücken zwischen der Abwehr und der Sechs, und zumindest Busquets fehlt bei Kontern das Tempo, um defensiv mitzuhalten. Weshalb in der Regel der weitere defensiv denkende Mittelfeldspieler den Routinier unterstützt.

Angegriffen wird bei den Blaugrana überwiegend über links, der Schienenspieler darf mit Gavi und/oder Pedri kombinieren. Diesen beiden, die sich durchaus in ihren Rollen abwechseln, gehört die Zukunft. Gavi und dessen 20-jährigen Golden-Boy-Vorgänger Pedri bezeichnete Coach Xavi nicht umsonst im vereinseigenen TV als "bessere Spieler mit 20" als ihn selbst und seinen ehemaligen kongenialen Partner Iniesta.

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Geplante Soli auf Rechtsaußen

Talent ist das eine, der richtige Fokus das andere. Und auch diesen scheint Xavi seinen Spielern eingeimpft zu haben. Ein Beispiel? Raphinha, der als Ersatz des verletzten Dembelé in den vergangenen Wochen aufblühte, wichtige Tore schoss und auch mit Assists glänzte. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass der Part des Rechtsaußen oft isoliert agiert und im Eins-gegen-eins herausstechen soll. Was gelingt.

Barça hat seit dem 0:3 gegen den FC Bayern in der Königsklasse und dem Absturz in die Europa League 16 von 18 Pflichtspielen gewonnen. Nur von Stadtrivale Espanyol (1:1) und im Hinspiel der Europa-League-Play-offs gegen ManUnited trennte man sich remis. Das entscheidende 2:2 nach 1:2-Rückstand erzielte Raphinha nach - richtig - einer Einzelaktion im Umschaltspiel. Und auch andere Neuzugänge wie Vorlagengeber Jules Koundé haben mit dem Erfolg zu tun.

Wieso Innenvertediger rechts spielen

Koundé agiert mal als Innen-, meist aber als Rechtsverteidiger. Dies geschieht im Wechsel mit Ronald Araujo. Dass diese beiden gelernten Innenverteidiger auf rechts agieren, verschafft Barça einen weiteren Vorteil im Angriffsspiel: Das Ziel ist, durch wenig Anteil der Rechtsverteidiger am Spiel nach vorne die gegnerische Außenbahn dazu zu bringen, den jeweiligen Rechtsaußen der Katalanen zu vernachlässigen.

Die Defensive ist das Prunkstück

Beeindruckender als die Offensive ist beim FCB aber noch die Defensive. 2023 kassierte der FCB neun Gegentore in 13 Spielen. Das gelang unter anderem durch cleveres Positionsspiel. Wenn der Linksverteidiger nach vorne schiebt, rückt der rechte Defensivteil nach innen, neben beispielsweise Ergänzungsspieler Marcos Alonso oder dem zweikampfstarken Andreas Christensen im Zentrum der Abwehr. Der Däne verschafft ebenso wie Koundé und Araujo durch Feinfühligkeit, Lufthoheit, dem richtigen Timing, der notwendigen Spritzigkeit und hoher Intensität in Zweikämpfen weitere Vorteile hinten. Der erstarkte Keeper ter Stegen kassierte in La Liga außerdem erst sieben Gegentore. Ist die Abwehr mal überwunden, fischt der Ex-Gladbacher gerne schwer zu haltende Schüsse aus dem Tor.

Gefundenes Puzzleteil im Sturm 

Insgesamt ist klar erkennbar, wieso Barça unter Xavi wieder eine Erfolgsmannschaft ist. Das liegt freilich auch an Lewandowski. Dieser nimmt einen wichtigen Part als erste Anspielstation vorne ein. Bei eher seltenen Kontern stellt er zudem häufig den Kontakt zum jeweils tempo- und trickreichen Rechtsaußen her. Der mitspielende Mittelstürmer, der sich oft fallen lässt, zieht Bälle an sich, verteilt diese gut und agiert im häufig gesuchten Abschluss oft konsequent. Lewandowski, eine moderne Nummer neun, ist das fehlende Puzzlestück für Xavi gewesen.

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie Barça sich international schlägt. Am Donnerstag droht in der Europa League gegen ManUnited (21 Uhr, LIVE! bei kicker) das Aus. Regisseur Pedri fällt aus, er wird wohl vom limitierteren Sergi Roberto ersetzt. Mit Gavi fehlt ein weiterer Schlüsselspieler gelbgesperrt und muss auf der sonst so starken linken Seite ersetzt werden, Ansu Fati und Ferran Torres stünden bereit. Ob Busquets, als großgewachsener Spieler mit Innenverteidiger-Erfahrung auch wichtig für das gegen den Ball praktizierte 5-4-1, fit genug ist, ist noch nicht bekannt.

Immerhin weiß man nun, dass das Aus in der Champions-League-Gruppenphase eben auch wegen des Fehlens wichtiger Größen erfolgt war. Und, dass Lewandowski in wichtigen Spielen im Barça-Dress noch zu selten brilliert. Da auch die Red Devils um Marcus Rashford ziemlich formstark sind, wäre nun ein guter Zeitpunkt, das zu ändern.

Martin Jerez