Int. Fußball

Will Still: Vom Football Manager an den Spielfeldrand

Stade Reims zahlt für den Trainer pro Spiel 25.000 Euro Strafe

Vom PC-Zocker zum Erfolgscoach: Wie "Football Manager" die Karriere von Will Still befeuerte

Vom Computer an den Spielfeldrand: Will Still ist als Chefcoach von Stade Reims in der Liga noch ungeschlagen.

Vom Computer an den Spielfeldrand: Will Still ist als Chefcoach von Stade Reims in der Liga noch ungeschlagen. IMAGO/PanoramiC

Gegner analysieren, Training vorbereiten, Taktik einstellen, Transfers tätigen, Vertragsverhandlungen führen und vieles mehr: Schon als Jugendlicher wollte Will Still seinen Klub als Manager nach oben führen. Gemeinsam mit seinem Bruder Edward verbrachte der mittlerweile 30-Jährige unzählige Stunden vor dem "Familiencomputer" und zockte "Football Manager".

Was mit diesem Spiel begonnen hat, ist inzwischen Realität: Still stieg am 13. Oktober zum Interimstrainer von Stade Reims auf und überzeugte die Verantwortlichen, sodass er zum Cheftrainer befördert wurde. "Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich mit 30 der Cheftrainer einer Ligue-1-Mannschaft sein würde, hätte ich ihnen gesagt, sie sollen mir ins Gesicht schlagen", so der jüngste Trainer der Top-5-Ligen Europas im Interview mit "The Voices Coach".

Reims ist in der Liga unter Still noch ungeschlagen

Der Trainerwechsel erweist sich immer mehr als Volltreffer. Unter Still verlor Reims keines seiner vergangenen 14 Ligapartien und sprang von einem Abstiegsplatz (17.) auf den zehnten Rang. Als Hauptverantwortlicher stand Still übrigens schon ein paar Tage vor seiner Ernennung zum Interimstrainer im Heimspiel gegen das Star-Ensemble von Paris St. Germain an der Seitenlinie. An jenem 8. Oktober vertrat er seinen Vorgänger Oscar Garcia - und setzte gleich ein Statement. Im Stadion Auguste Delaune blieb PSG beim 0:0 bislang zum einzigen Mal in dieser Ligue-1-Spielzeit torlos.

Warum zum Teufel mache ich das? Wie kann ich in der Lage sein, gegen diese Jungs zu trainieren?

Will Still

Allerdings verriet er auch, dass Begegnungen mit Lionel Messi, Neymar, Kylian Mbappé & Co. sich unwirklich anfühlen. "Man denkt darüber nach und fragt sich: 'Warum zum Teufel mache ich das? Wie kann ich in der Lage sein, gegen diese Jungs zu trainieren?'", erklärte Still gegenüber "Daily Mail".

Still vergisst als Jugendlicher beim Zocken die Zeit

Diese Fähigkeiten erlernte der Coach unfreiwillig unter anderem während zahlreicher "Nachtschichten" mithilfe des "Football Managers".

Obwohl seine Eltern ihm Videospiele verboten hatten, habe er früher an manchen Abenden um 22 Uhr gedacht: "Okay, noch ein Spiel" - und dann um 4 Uhr morgens festgestellt, dass er immer noch dabei sei. "Ich hatte nie gedacht, dass 'Football Manager' einen Einfluss auf meine reale Karriere hatte, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, hatte es das definitiv. Das Spielen des Spiels entfachte wahrscheinlich das Feuer in mir", so der Reims-Trainer.

Neben der virtuellen Welt verfolgte Still in der Realität damals seinen Traum vom Fußballprofi. Diesen verwarf der 1992 in Braine-l'Alleud (Belgien) geborene Sohn englischer Eltern aber bereits mit 18 Jahren, obwohl er in der Reserve des damaligen belgischen Erstligisten RAEC Mons spielte. Fußball sollte aber "unbedingt" weiterhin ein Bestandteil seines Lebens bleiben. Aus diesem Grund zog es ihn zur Myerscough University in Preston, wo er zwei Jahre "Football Coaching and Performance" studierte. Dort trainierte er als Teil des Studiums die U 14 von Preston North End und wusste nach diesem Erlebnis, dass er Trainer werden möchte.

Das ist lächerlich. Du hast viel zu viel getan!

Yannick Ferrera

Mit 20 kehrte er nach Belgien zurück und suchte dort zunächst vergeblich nach einem Job. Er bewarb sich erfolglos bei zahlreichen Vereinen, ehe ihm mit K. Sint-Truidense VV im Juli 2014 der letzte Klub seiner Liste die Chance gab.

Der damalige Trainer Yannick Ferrera war nach der ersten Gegneranalyse bereits überzeugt. "Das ist lächerlich. Du hast viel zu viel getan!", so Ferrera. Aufgrund seiner überzeugenden Leistungen im einmonatigen Praktikum durfte er bleiben - zunächst allerdings nur ehrenamtlich, weil dem Klub das Geld fehlte. Erst im März 2015 unterschrieb der Belgier einen Vertrag in St. Truiden. Trotz seiner ersten Station im Profibereich konnte Still natürlich nicht auf "Football Manager" verzichten - er nutzte das Spiel zum Scouten und versuchte, den Verein auch virtuell nach oben zu führen.

"Ab morgen bist du Cheftrainer"

Will Still

Will Still (r.) sammelte beim Lierse SK seine ersten Trainererfahrungen im Profibereich. imago/Belga

In den darauffolgenden Jahren hinterließ der Videoanalyst bei seinen Vereinsbossen einen bleibenden Eindruck: Er überzeugte Maged Samy, damals Besitzer des Zweitligisten Lierse SK, sogar so sehr, dass der Ägypter den damals 24-Jährigen im Oktober 2017 praktisch zwang, Chefcoach zu werden: "Ab morgen bist du Cheftrainer. Du machst es." Doch er blieb nur gut zwei Monate im Amt, da ihm der UEFA-A-Schein fehlte. Bei seiner darauffolgenden Station K. Beerschot VA erlebte Still ein Déjà-vu: Erneut beorderte der Besitzer ihn vom Videoanalysten zum Coach.

Reims wurde auf das Trainer-Talent aufmerksam, verpflichtete ihn als Assistenten, musste aber nach einem halben Jahr wieder auf Still verzichten, weil er die UEFA-Pro-Lizenz in Belgien erlangen wollte.

Im vergangenen Sommer kehrte er dann zurück in den Nordosten Frankreichs und ersetzte knapp drei Monate später Oscar Garcia als Hauptverantwortlicher an der Seitenlinie - eine riskante Entscheidung des Vereins: Denn pro Spiel zahlt Reims 25.000 Euro Strafe, weil Still trotz seiner zwischenzeitlich kurzen Rückkehr nach Belgien keine UEFA-Pro-Lizenz besitzt.

In seiner Zeit auf dem Rasen lernte der Trainer einen neuen Aspekt kennen, den er sich im "Football-Manager"-Spiel nicht wirklich aneignen konnte: den Umgang mit Menschen und ihren Gefühlen - inzwischen einer der Bereiche, der ihm am meisten Freude bereitet.

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Sein derzeitiger Erfolg weckt natürlich Aufmerksamkeit. Selbst ein Schiedsrichter zollte ihm Respekt. "Was du machst, ist unglaublich, Kumpel", sagte Referee Hakim Ben El Hadj nach Reims' 3:1 gegen Rennes nach dem Abpfiff zum Trainer. Sollte sich die Ungeschlagen-Serie seiner Mannschaft weiter fortsetzen, dürfte Reims nicht das Ende der Geschichte sein.

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Denn obwohl Still keinen Karriereplan verfolgt, geistert ihm eine Sache immer wieder durch den Kopf. "Das kleine Kind in mir, das all die Stunden damit verbracht hat, einer der besten Manager der Welt zu werden und alles auf "Football Manager" zu gewinnen, sagt mir, ich solle an dem Traum festhalten, West Ham zu trainieren" - seinen Lieblingsverein seit der Kindheit, den er in der virtuellen Welt bereits als Jugendlicher zum Start seiner Karriere übernahm.

Aaron Kahnert

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