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Polen: Die Erfolgsstory von Rakow Tschenstochau

Wie der "polnische Jürgen Klopp" die Liga aufmischt

Wo Spieler Aufsätze schreiben: Die Erfolgsstory von Polens Spitzenreiter Rakow Tschenstochau

Schon wieder ein Torjubel: Rakow Tschenstochau hat die Meisterschaft vor Augen.

Schon wieder ein Torjubel: Rakow Tschenstochau hat die Meisterschaft vor Augen. IMAGO/Newspix

Die polnische Stadt Tschenstochau dürfte bis vor Kurzem nur Gläubigen ein Begriff gewesen sein. Millionen Menschen besuchen jährlich den Hellen Berg - einen Wallfahrtsort der römisch-katholischen Kirche.

Nachdem der lokale Unternehmer Michal Swierczewski den Klub Rakow Tschenstochau 2014 als Eigentümer übernahm, rückte die schlesische Stadt zunehmend auch fußballerisch auf die Landkarte. Und schon am kommenden Wochenende könnte Rakow seinen kometenhaften Durchmarsch der letzten Jahre mit dem Meistertitel veredeln, dem bisher größten Erfolg der Klubhistorie.

Das Versprechen des Studenten wird Realität

Als Swierczewski den Klub übernahm, hatte diesen selbst in Polen kaum einer auf dem Schirm. Kein Wunder, wies er doch keine glorreiche Vergangenheit vor. Die vierjährige Erstliga-Stippvisite in den 90er Jahren war der bisherige Höhepunkt gewesen.

Doch Swierczewski hatte große Pläne. Als Rakow-Fan in der Stadt aufgewachsen, erlebte er 1998 als IT-Student den Abstieg aus der ersten Liga und schwor sich, den Verein eines Tages dorthin zurückzuführen. Dass sein einstiger Traum später in Erfüllung ging, hängt auch mit seinem bilderbuchartigen unternehmerischen Werdegang zusammen.

Der Klubbesitzer gehört inzwischen zu den reichsten Polen

2002 eröffnete der Pole mit Uni-Kollegen den Laden "x-kom". Damals verkauften sie Computer. Das Geschäft zahlte sich rasch aus - die Einführung des Online-Handels 2007 brachte den Durchbruch. "Forbes" listete Swierczewski 2022 erstmalig in der Liste der reichsten 100 Polen auf.

Pokalfinale

Mit der Finanzkraft im Rücken unterstützte Swierczewski Rakow von 2011 an zunächst als Sponsor. Schon damals zermarterte er sich den Kopf, wie der Klub zurück in die erste Liga gelangen könnte. Zu Drittligazeiten stellte Swierczewski schließlich einen Entwicklungsplan vor. Dieser beinhaltete die Ziele, bis 2019 in die erste Liga aufzusteigen und 2021 zum 100-jährigen Jubiläum die beste Platzierung der Geschichte zu erreichen. 2014 übernahm er als Eigentümer und schaffte beides.

Den Trainer findet der Eigentümer im Internet

Spricht man über Rakows Erfolg, fällt häufig auch der Name Marek Papszun. Swierczewski wurde im Internet auf den Trainer aufmerksam. Papszun bekam den Job jedoch erst, als er das Vorstellungsgespräch mit Swierczewski in Begleitung eines Psychologen gemeistert hatte. Der heute 48-jährige Trainer war zu diesem Zeitpunkt Sport- und Geschichtslehrer, erst nach Feierabend coachte er polnische Amateurklubs. 

Marek Papszun. 

Steht seit 2016 bei Rakow Tschenstochau an der Seitenlinie: Marek Papszun. IMAGO/Newspix

In der zweiten Saison unter Papszun gelang der Aufstieg in die zweite Liga. Das Lehrer-Dasein wurde Papszun nun zu viel. Der Fokus lag ab sofort auf der Trainertätigkeit. Dies trug Früchte: Schon im zweiten Zweitligajahr folgte als Meister der Durchmarsch in das Oberhaus. Spätestens in dieser Saison erfuhr auch der letzte polnische Fußballfan von Rakow. Die Papszun-Elf schaltete im Pokal die Größen Lech Posen und Legia Warschau aus - erst im Halbfinale war Schluss.

Gebürtiger Berliner wechselt zu Rakow

Auch den Sprung in die erste Liga meisterte Rakow unter Papszun mit Bravour. Als Zehnter hielten die Schlesier die Liga ohne Mühe. Seinen Beitrag zu diesem Erfolg leistete Felicio Brown Forbes. Der in Berlin geborene Stürmer (ehemals FSV Frankfurt) verließ im Sommer 2019 seine erste polnische Station Korona Kielce und unterschrieb bei Rakow.

Einen etablierten Erstligisten für einen Aufsteiger verlassen? Ein auf den ersten Blick überraschender Entschluss. "Der Trainer von Rakow hat mir den Kick gegeben, zu Rakow zu wechseln", begründet Brown Forbes im Gespräch mit dem kicker die Entscheidung.

Trainer lässt Spieler Aufsätze schreiben

Papszun gilt in Polen als fordernder Trainer, manche nennen ihn sogar Tyrann. Brown Forbes teilt dies nicht. "Es wird gesagt, dass er der polnische Jürgen Klopp ist. Ich habe mich als Spieler unter ihm sehr weiterentwickelt."

Zur Entwicklung trugen laut Brown Forbes auch Aufsätze bei, bei denen die Spieler nach jedem Spiel innerhalb von 24 Stunden die Teamleistung schriftlich bewerten mussten. "Wir mussten das Positive und Negative des Umschaltspiels in beide Richtungen aufschreiben." Weil ein Spieler sonst nur über "das eigene Spiel" nachdenke, hätte diese "Trainerperspektive seinen Horizont erweitert".

Spieler, die zu ihm kommen, werden besser.

Felicio Brown Forbes über Rakows Trainer Papszun

"Spieler, die zu ihm kommen, werden besser. Das ist Fakt", schwärmt Brown Forbes weiter. Die Entwicklung lässt sich belegen. Brown Forbes schaffte bei Rakow den Durchbruch in Polen (27 Spiele, zehn Tore). Nach der Saison verließ der heute 31-Jährige Rakow für 100.000 Euro in Richtung Krakau - der einzige nicht ablösefreie Wechsel seiner Karriere.

Rakows rasante Entwicklung setzte sich derweil fort. Im zweiten Erstligajahr meldete man mit dem Pokalsieg sowie dem Vizetitel höhere Ansprüche an. 2021/22 wiederholte der Klub beides.

Pokalfinale gegen Legia geht verloren - Meistertitel winkt

Papszun, der jüngst seinen Ausstieg nach Saisonende verkündete, könnte die Entwicklung nun krönen - auch, wenn das Pokalfinale gegen Legia Warschau im Elfmeterschießen verloren ging (5:6). Denn im Titelrennen der Liga sieht es nach einer klaren Angelegenheit aus. Auch dort sind Kosta Runjaics Warschauer der ärgste Konkurrent. Mit elf Zählern Vorsprung (vier Spieltage vor Ende) scheint der Titel allerdings gesichert.

Die inzwischen siebenjährige Papszun-Ära weckt Begehrlichkeiten. Als Legia in der vergangenen Saison am 15. Spieltag sensationell auf dem vorletzten Rang lag, wünschte sich Warschaus Eigentümer Dariusz Mioduski in einem Interview Papszun als Retter. Der gebürtige Warschauer folgte dem Hilferuf aus der Heimat nicht und setzte lieber die Erfolgswelle bei Rakow fort.

Jeder Transfer wird von Swierczewski abgesegnet. 

 kicker-Korrespondent Roman Kolton über den Eigentümer

"Ich wusste aufgrund der Arbeit, dass Erfolg kommen wird. Dass es so schnell gehen wird, hätte ich nicht erwartet", so Brown Forbes. Für ihn ist Papszun die entscheidende Figur. "Es ist ihm geschuldet, dass Rakow jetzt da ist." Ohne die Hilfe des finanzstarken Eigentümers wäre der Erfolg aber nicht möglich gewesen. "Papszun bekommt alles, was er umsetzen möchte."

Dazu gehören auch Transfers, bei denen entgegen den Erwartungen keine monströsen Summen ausgegeben werden. Der zuletzt von AEK Athen verpflichtete Innenverteidiger Stratos Svarnas gilt mit einer Ablöse von 800.000 Euro schon als Königsneuzugang. "Jeder Transfer wird von Swierczewski abgesegnet", berichtet Roman Kolton, der Polen-Korrespondent des kicker.

Legia und Lech haben weiterhin andere Möglichkeiten

Große Sprünge dürften auch nach dem Titel nicht zu erwarten sein. In Sachen Infrastruktur besteht noch zu viel Nachholbedarf. Zurzeit spielt Rakow in einem 5500 Zuschauer fassendem Stadion.

"Das Budget von Lech Posen beträgt durch die Teilnahme am europäischen Wettbewerb sowie den regelmäßigen Verkäufen von Akademie-Spielern (u. a. Jakub Kaminski für zehn Millionen nach Wolfsburg, Anm. d. Red.) über 20 Millionen Euro. Das von Rakow rund 13 Millionen", sagt Kolton. Und auch Legia habe aufgrund der Zuschauereinnahmen und Sponsorenanzahl andere Möglichkeiten.

Bevor weitere Meilensteine geplant werden, soll aber die Meisterschaft her. Dafür dürften die Spieler wieder fleißig Essays über die vergangenen Spiele schreiben. Ob "Lehrer" Papszun im Fall des Titels ausnahmsweise auf Hausaufgaben verzichten wird?

Moritz Scherer

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