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"Delirium auf allen Plätzen": Als Grosso Deutschland ins Tal der Tränen stürzte

Deutschland verliert das WM-Halbfinale 2006 im eigenen Land

"Delirium auf allen Plätzen": Als Grosso Deutschland ins Tal der Tränen stürzte

Der Mann für den Finaleinzug - und der Mann für den deutschen Alptraum 2006: Italiens Verteidiger Fabio Grosso.

Der Mann für den Finaleinzug - und der Mann für den deutschen Alptraum 2006: Italiens Verteidiger Fabio Grosso. imago images

Weit über 90 Minuten hinaus lieferte die von Jürgen Klinsmann und Joachim Löw betreute deutsche Nationalmannschaft einen herausragenden Kampf beim WM-Halbfinale 2006 ab. Es ging schließlich gegen eine bestens besetzte italienische Auswahl um Größen wie Gianluigi Buffon, Fabio Cannavaro, Andrea Pirlo, Francesco Totti oder Luca Toni.

Die DFB-Auswahl um ebenfalls bestens bekannte Granden wie die späteren Weltmeister Per Mertesacker und Philipp Lahm, Bernd Schneider, Michael Ballack oder auch Rekordtorschütze Miroslav Klose wehrten sich aber nach Kräften und sorgten so für einen hochspannenden Abend im Dortmunder Westfalenstadion.

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Pirlo fein, Grosso fein, del Piero fein

Ein Abend, an dem auch die vielen jungen Fußballfans im Stadion, vor den Fernsehgeräten oder beim Public Viewing ihre Augen trotz eintretender Müdigkeit noch länger aufhalten mussten. Auch wenn sie sie im Nachhinein doch lieber früher hätten schließen wollen. Denn von was die Fußballwelt hier Zeuge wurde, würde auch in Drehbücher à la Alfred Hitchcock bestens passen: Als nämlich alles aufs Elfmeterschießen hindeutete, verpasste die Squadra Azzurra der DFB-Elf und damit den Millionen deutschen Fans einen unvergessenen Nackenschlag.

Jens Lehmann kann den Schuss von Fabio Grosso nicht parieren.

Ein Schuss ins italienische Glück - und ins deutsche Tal der Tränen: Jens Lehmann streckt sich vergebens. imago images

Im Genauen: Der erst in der Nachspielzeit eingewechselte Alessandro del Piero führte einen Eckstoß von der rechten Seite aus - und fand im Zentrum den zu kurz klärenden Kopf von Arne Friedrich. Der lauernde Pirlo bekam die Kugel so unfreiwillig serviert, täuscht kurz einen Fernschuss an und steckte die Kugel perfekt an mehreren deutschen Gegenspielern vorbei rechts in den Sechzehner zu Fabio Grosso. Der Abwehrspieler aus Palermo, der im Anschluss noch für Inter Mailand, Olympique Lyon und Juventus Turin spielte, fackelte nicht lang und schoss die Kugel unhaltbar ins lange linke Eck. Deutschlands sich lang machender Torwart Jens Lehmann hatte keinerlei Abwehrchance. Das passierte in der 119. Minute.

Die Deutschen gewinnen immer, wenn es zum Elfmeterschießen kommt, aber vorher schlagen die Italiener immer die Deutschen.

"Daily Mail"

Und während Torschütze Grosso mit vor Freude schüttelndem Kopf davonrannte und unter anderem von Gigi Buffon eingefangen wurde, sanken die Köpfe von Ballack & Co. gen Boden. Da half auch eine letzte Schlussoffensive nicht mehr - im Gegenteil: Podolski verlor den Ball zu einfach und ermöglichte den Italienern einen aussichtsreichen Konter, den Joker Alberto Gilardino und del Piero mit einem Schuss in den rechten oberen Winkel edel zum alles entscheidenden 2:0 vollendeten (120.+1).

"Ballacks Traum endet in Tränen"

Die Pressestimmen am nächsten Tag machten dabei deutlich, wie tief dieser Stachel gegen die ohnehin bei Endturnieren als Angstgegner bekannten Azzurri saß. So schrieb etwa die "Gazzetta dello Sport": "Flieg, Italien, flieg! Grosso-Del Piero: Azzurri im Finale, Delirium auf allen Plätzen. Cannavaro, Kaiser von Deutschland." Der "Corriere della Sera" ergänzte: "Zwei großartige Tore und Italien kommt ins Finale. Grosso und Del Piero treffen in der letzten Minute. Deutsche Tränen und Festa Azzurra in allen Städten!"

Im Tal der Tränen: Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann muss seinen Kapitän Michael Ballack trösten.

Im Tal der Tränen: Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann muss seinen DFB-Kapitän Michael Ballack trösten. imago images

In England richtete sich der "Daily Telegraph" eher auf den in diesem Sommer vom FC Bayern zum FC Chelsea wechselnden Ballack, der in seiner gesamten Laufbahn von dramatischen Erlebnissen in großen Wettbewerben geprägt sein sollte: "Ballacks Traum endet in Tränen." Und der "Daily Mail" stimmte mit ein: "Tränen, als Jürgens Traum vernichtet wird. Die Deutschen gewinnen immer, wenn es zum Elfmeterschießen kommt, aber vorher schlagen die Italiener immer die Deutschen."

Vom kicker kommt dagegen folgende Zeile: "Mögen Manager Oliver Bierhoff 'eine unendliche Leere' und Christoph Metzelder 'eine riesige Enttäuschung' beklagen, so hat diese Auswahl ihre Fans begeistert und viele neue aquiriert. Sie verzauberte ein ganzes Land mit ihrem beschwingten Spiel und löste in ihren WM-Stammsitz in Berlin eine befreite Stimmung wie bei der Wiedervereinigung aus."

Klinsmann richtet seine Spieler auf

Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der sich mit seinen Schützlingen immerhin noch den dritten Rang bei der Heim-WM sicherte (3:1 gegen Portugal), sagte im Anschluss dagegen: "Solch ein K.o. kurz vor Schluss tut sehr, sehr weh. Die Spieler waren am Boden zerstört. Aber ich habe ihnen gleich in der Kabine gesagt, dass sie riesig stolz auf sich sein können. Sie haben Phantastisches geleistet, ein ganzes Land stolz gemacht. Wir müssen diese Pille aber schlucken."

Es sollte nicht sein.

Michael Ballack

Kapitän Ballack strich derweil die Kaltschnäuzigkeit des ewigen Rivalen heraus: "Der Eckball war doch längst abgewehrt, aber dann macht es Pirlo sehr, sehr gut, läuft quer zum Strafraum. Mit drei Mann konnten wir den Pass in die Tiefe nicht verhindern. Grosso trifft den Ball dann außerdem noch optimal. Italiens Sieg ist nicht unverdient, eine Minute vor Schluss ist es so bitter. Es sollte nicht sein."

Was aber sein sollte: Nicht Deutschland, sondern Italien stand im Finale dieser Weltmeisterschaft - und traf dabei auf Frankreich um Weltklasse-Spieler Zinedine Zidane in dessen letztem Auftritt seiner aktiven Laufbahn. Und auch hier stach Grosso, dieses Mal eben ins sportliche Herz der Franzosen. Doch das ist eine andere Geschichte ...

mag

Deutschland gegen Italien: "Jahrhundertspiel", Stiche ins Herz & die Erlösung