Europa League

Der Weg der Rangers aus der 4. Liga ins Europa-League-Finale

Das Comeback des schottischen Traditionsklubs

Auferstanden aus Ruinen: Der Weg der Rangers aus der 4. Liga nach Sevilla

Verkehrte Welt: Neun Jahre nach dem Zwangsabstieg in die 4. Liga gewannen die Glasgow Rangers im vergangenen Jahr die schottische Meisterschaft.

Verkehrte Welt: Neun Jahre nach dem Zwangsabstieg in die 4. Liga gewannen die Glasgow Rangers im vergangenen Jahr die schottische Meisterschaft. Luke Nickerson/Rangers RC/Shutterstock

Glasgow kennt viele große Fußballnächte, aber dieser Mittwoch vor 50 Jahren war trotzdem etwas Einmaliges. An jenem 19. April 1972 erlebte die Stadt nämlich gleich zwei europäische Halbfinals. Die Rangers empfingen den FC Bayern im Pokalsiegerwettbewerb, Celtic hatte Inter Mailand zu Gast im Landesmeistercup. Am Ende jubelten 80.000 in Ibrox über ein 2:0 und den Finaleinzug, die 75.000 im Celtic Park trauerten hingegen nach dem Elfmeterschießen gegen die Italiener. Als die Rangers danach im Camp Nou auch noch Spartak Moskau mit 3:2 besiegen, ist das die Geburtsstunde der "Barca Bears".

Chance auf ersten internationalen Titel seit 50 Jahren

Bis heute werden die Sieger von damals wie Helden verehrt, was auch wenig verwundert, denn es blieb der einzige internationale Triumph des stolzen Vereins. 1961 und 1967 hatten die Rangers das Pokalsieger-Finale jeweils verloren, auch 2008 zogen sie im ersten Endspiel der Europa League gegen Zenit St. Petersburg den Kürzeren. Und danach ist man mehr mit der Flucht vor der Vergangenheit beschäftigt, so dass kaum Platz blieb für die Träume, die nun im Europa-League-Finale gegen Frankfurt wahr werden können.

Vorschau

"The Resurrection", also die Auferstehung von den Toten, überschrieben gleich mehrere britische Medien den Marsch von der 4. Liga bis nach Sevilla, wo am Mittwoch zigtausende Fans beider Lager dem Endspiel entgegenfeiern werden. "Hoffentlich bleibt es friedlich", sagt Craig Moore, einst Kapitän der Rangers und später auch Verteidiger in Mönchengladbach. "Es geht nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Fans darum, wie man seinen Verein und sein ganzes Land repräsentiert." Die Rangers posteten am Montag mehrere Videos mit Aufrufen an die Fans durch Klublegenden, in einem davon mahnt Graeme Souness gleich viermal: "Benehmt euch!"

Die Gewalt, der Vandalismus und Anti-Katholizismus, der hier durch Rangers-Fans zu Tage trat, ist schlicht nicht zu akzeptieren.

Nicola Sturgeon

Denn die Feierlichkeiten nach der Meisterschaft 2021 waren im vergangenen Mai ziemlich aus dem Ruder gelaufen. Mitten im Lockdown hatten Rangers-Fans die Innenstadt von Glasgow verwüstet, selbst vor Kirchen machten einige nicht halt. Schottlands First Minister Nicola Sturgeon richtete einen wütenden Appell an die Randalierer. "Die Gewalt, der Vandalismus und Anti-Katholizismus, der hier durch Rangers-Fans zu Tage trat, ist schlicht nicht zu akzeptieren", sagte sie vor einem Jahr.

Die Gräben sind wieder tiefer geworden in Glasgow zwischen Celtic und Rangers, zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen jenen, die eher zu Irland tendieren, während in der Rangers-Kabine noch immer ein Portrait von Queen Elizabeth II. hängt. Und der Zwist hat natürlich ebenfalls mit dem Comeback der Blauen zu tun.

Vor allem in den späten 1980ern und 1990ern unter Souness und dem im Oktober verstorbenen Walter Smith waren sie die dominante Kraft in Schottland gewesen, mit neun Meisterschaften in Serie und Stars wie Brian Laudrup, Jörg Albertz, Paul Gascoigne oder dem jungen Gennaro Gattuso.

Hoch geflogen, tief gefallen

Viel später aber kam heraus, dass der Klub zahlreiche Spieler und Trainer illegal über eine Zweitfirma bezahlte und, ähnlich wie damals Borussia Dortmund, massiv über seinen Verhältnissen lebte. Die Profis verdienten üppig, Trainer wie Dick Advocaat kauften fleißig ein. Über ein Jahrzehnt später kam all das ans Licht. Als die Steuerbehörde Ihrer Majestät nachträglich 75 Millionen Pfund forderte, die Rangers aber nur zwei Millionen hatten, wurde der damals 140 Jahre alte Verein 2012 offiziell liquidiert und musste in der 4. Liga neu starten.

Ein Gericht entschied schließlich fünf Jahre später, dass aus der Konkursmasse der ehemaligen Rangers kein Cent zu holen ist und die neue Firma Rangers Football Club Ltd. nicht dafür belangt werden könne. Die gegnerischen Fans, nicht nur von Celtic, haben darum längst eine eigene Zählweise: Nicht die Weltrekordzahl von 55 Meisterschaften haben die Rangers gewonnen, sondern eine einzige, jene 2021.

Neuaufbau aus der Viertklassigkeit

Der Titel im Vorjahr, mit Coach Steven Gerrard auf der Bank geholt, galt schon als Signal: Die Rangers, seit 2016 wieder erstklassig, sind endgültig zurück im Geschäft. Dass Celtic vergangene Woche die Meisterschaft eroberte, verschmerzen sie in der blauen Ecke der Stadt. Denn drei Tage nach dem Europa-League-Finale wartet auf sie am Samstag noch eine zweite Titelchance: im schottischen Pokalendspiel gegen Heart of Midlothian.

Es war eine unglaubliche Reise.

Giovanni van Bronckhorst

Giovanni van Bronckhorst, einst in den goldenen Zeiten selbst Profi bei den Rangers, hatte im vergangenen November den Trainerjob von Gerrard übernommen und das Team taktisch flexibel wie geschickt in zwei Finals manövriert. Heute sagt der Niederländer: "Es war eine unglaubliche Reise."

Und zwar für den gesamten Verein, ob die Rangers nun erst zehn oder doch schon 150 Jahre alt sind. Die Millionen aus dieser Europa League helfen enorm für die längst wieder knappe Kasse, schon im Januar waren deshalb kaum Verstärkungen möglich gewesen. Immerhin kam Aaron Ramsey auf Leihbasis von Juventus, fehlte aber meist verletzt. Im Finale gegen die Eintracht könnte der Waliser allerdings dabei sein.

Es geht um die Königsklasse

Schließlich geht es auch um die Zukunft. Der Sieger von Sevilla qualifiziert sich direkt für die Champions League, dort waren die Rangers seit 2011 nicht mehr in einer Gruppenphase vertreten. Und die Königsklasse könnte ein entscheidendes Argument für Neuzugänge sein, nach Glasgow zu wechseln. Große Fußballnächte erlebt man dort ohnehin.

Martin Gruener, Phil Gordon

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