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Drachen, Debütanten und große Hoffnungen

Bosnien-Herzegowina im Porträt

Drachen, Debütanten und große Hoffnungen

Unerfüllter Traum: Trotz Stars wie Hasan Salihamidzic (am Ball) fehlte Bosnien lange Zeit bei großen Turnieren.

Unerfüllter Traum: Trotz Stars wie Hasan Salihamidzic (am Ball) fehlte Bosnien lange Zeit bei großen Turnieren. picture alliance

Die Geschichte

Bosnien-Herzegowina befindet sich noch nicht lange auf der Fußball-Landkarte Europas. Zwar hat das Land eine über hundertjährige Geschichte im Fußball, allerdings war das Land praktisch nie unabhängig und war daher stets nur ein Teil von anderen Staaten. Erst war es Teil von Österreich-Ungarn, nach dem ersten Weltkrieg zählte es zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, um nach dem zweiten Weltkrieg eine Teilrepublik von Jugoslawien zu werden. Anfang der 1990er Jahre kam es dann zum Bürgerkrieg in Jugoslawien, dessen Folge auch die Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina war. Damit einher ging auch ein eigenständiger Fußballverband.

Weltmeisterschaft - Vorrunde, 1. Spieltag
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Weltmeisterschaft - Tabelle - Gruppe F
Pl. Verein Punkte
1
Argentinien Argentinien
3
2
Iran Iran
1
Nigeria Nigeria
1
Trainersteckbrief Susic
Susic

Susic Safet

Bosnien-Herzegowina - Vereinsdaten
Bosnien-Herzegowina
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1992 wurde der Fußballverband Bosnien-Herzegowinas (N/FSBiH) gegründet, wurde aber wegen des Bürgerkrieges erst vier Jahre später in die FIFA aufgenommen. 1998 folgte schließlich die Aufnahme in die UEFA. Bis sich erste sportliche Erfolge einstellten, sollten dann aber noch weitere Jahre ins Land gehen. Während sich die "großen" Nachbarn Kroatien und Serbien regelmäßig bei Großturnieren blicken ließen, blieb den Bosniern fast immer nur die Rolle als Fernsehzuschauer - trotz Spielern wie Hasan Salihamidzic oder Sergej Barbarez, die dem Fußball-Fan in Deutschland bestens vertraut sein dürften. Die Probleme waren vielfältlig und erstreckten sich von korrupten Verbandsfunktionären bis hin zu fehlender Identifikation der serbischen und kroatischen Bevölkerung des Landes.

Die Qualifikation

Erst nach der Jahrtausendwende wurde es besser: Auf dem Weg zur WM 2010 in Südafrika und zur EM 2012 in Polen und der Ukraine scheiterten die Bosnier erst in den Play-offs – jeweils an Portugal. Zuvor hatten sie in der Gruppe stets einem Schwergewicht des Fußballs (Spanien und Frankreich) den Vortritt lassen müssen. Auf dem Weg zur WM in Brasilien war den Mannen vom Balkan die Losfee dann zugeneigt. In Gruppe G hießen die Gegner Griechenland, Slowakei, Litauen, Lettland und Lichtenstein. Alles lief am Ende auf einen Zweikampf mit den Hellenen hinaus, der erst am letzten Spieltag entschieden wurde - und das zu Gunsten der Bosnier, die nach acht Siegen, einem Remis und nur einer Niederlage in der Endabrechnung zwar ebenso viele Punkte wie die Griechen hatten (25), dafür aber die deutlich bessere Tordifferenz vorweisen konnten (24:8). Am 15. Oktober 2013 stand demnach fest: Bosnien-Herzegowina wird in Brasilien als WM-Debütant an den Start gehen.

Der Trainer

Vater des Erfolgs: Safet Susic (Mi.).

Vater des Erfolgs: Safet Susic (Mi.). imago

Großen Anteil am Erfolg hat Trainer Safet Susic, der in den 1980er Jahren zu den weltbesten Offensivspielern zählte und seit März 2010 die bosnisch-herzegowinische Nationalmannschaft coacht. Ihm gelang es, aus einem Haufen Individualisten eine ernstzunehmende Truppe zu formen. Sein größter Verdienst dürfte aber sein, dass er es auch schaffte, die Politik aus der Nationalmannschaft zu vertreiben und einte so auch die verschiedenen Ethnien. In der Nationalelf ziehen inzwischen alle am selben Strang, seien es Bosniaken, Kroaten oder Serben. Was im Kleinen geklappt hat, soll nun auch auf die gesamte Gesellschaft ausstrahlen. Der Generalsekretär des Fußballverbandes, Jasmin Bakovic, erhofft sich jedenfalls viel von der WM: "Ich glaube, dass uns alle Bürger unseres Landes anfeuern werden und ich bin mir auch sicher, dass auch unsere Nachbarn uns die Daumen drücken werden."

Die zweite Runde muss unser Ziel sein!

Stuttgarts Vedad Ibisevic

Susic, der selbst als Spieler an den Weltmeisterschaften 1982 und 1990 mit Jugoslawien teilgenommen hat, verstand es aber auch, die richtige Taktik für seine Schützlinge zu finden. Offensiv waren die Bosnier schon immer gefällig, doch defensiv kam so manche Vorstellung einer Katastrophe gleich. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert: Bosnien-Herzegowina zeigt sich zwar noch immer angriffslustig, verfügt nun aber auch über eine solide Deckung, sodass hanebüchene Fehler der Vergangenheit angehören. Das belegt schon der Blick auf die Qualifikation: 30 erzielten Treffern standen nur sechs Gegentore gegenüber.

Die Stars

Bosniens Edin Dzeko (#11) und Vedad Ibisevic (#9) beim 0:2-Testländerspiel gegen Argentinien im November 2013

Lufthoheit: Bosniens Edin Dzeko (#11) und Vedad Ibisevic (#9) beim 0:2-Testländerspiel gegen Argentinien im November 2013. Getty Images

Bosnien-Herzegowina verfügte in der WM-Quali mit Vedad Ibisevic (VfB Stuttgart) und Edin Dzeko (Manchester City) europaweit das gefährlichste Sturmduo. Gemeinsam schossen beide 18 Tore. Die Drachen bestehen aber nicht nur aus Dzeko und Ibisevic, das Team stellt sich in allen Bereichen aus gestandenen Profis zusammen, die fast alle in den Top-Ligen Europas aktiv sind. Ein Großteil davon in der Bundesliga: Neben Ibisevic verdienen auch Jasmin Fejzic (VfR Aalen), Ermin Bicakcic (Eintracht Braunschweig), Mensur Mujdza (SC Freiburg), Sead Kolasinac (FC Schalke), Emir Spahic (Bayer Leverkusen) und Sejad Salihovic (1899 Hoffenheim) ihre Brötchen in Deutschland. Dazu kommen noch der ehemalige Wolfsburger Zvjezdan Misimovic, der inzwischen in China beim FC Guizhou Renhe kickt, oder die Italien-Legionäre Miralem Pjanic (AS Rom) und Senad Lulic (Lazio Rom).

Ein wichtiger Aspekt ist auch das neue Selbstbewusstsein, dass Susic seinem Team eingeflößt hat. Hatten sich die Bosnier früher oft klein geredet, scheut man nun nicht davor, sich die Favoritenrolle zuzuschreiben. Folglich überrascht auch nicht, dass Susic davon ausgeht, das Achtelfinale zu erreichen. Für Susic ist Argentinien zwar der klare Favorit in der Vorrunde, "ich denke aber, dass Nigeria und Iran nicht unsere Qualität haben und dass wir die Gruppe deshalb überstehen müssten." Ähnlich sieht es Ibisevic: "Die zweite Runde muss unser Ziel sein!" Zunächst gilt das bosnische Augenmerk aber dem eigenen WM-Debüt am 16. Juni im altehrwürdigen Maracana gegen den zweimaligen Weltmeister Argentinien, der erst im vergangenen November in einem Test-Länderspiel die Bosnier mit 2:0 bezwungen hat.

Der Ausblick

Bosnien-Herzegowina wird erstmals bei einer WM dabei sein und sieht sich zudem einem gewaltigen Druck ausgesetzt. Vor allem die Tatsache, dass der Fußball das Land einen soll, kommt einer unmenschlichen Bürde gleich. Auch die extreme Euphorie, die in Bosnien inzwischen entfacht wurde, könnte hinderlich sein, andererseits kann sie den Drachen auch enormen Auftrieb geben. Emotionen spielen nämlich eine gewaltige Rolle bei den Bosniern, sie können Segen und Fluch zugleich sein - das hängt immer ein wenig davon ab, wie es gerade läuft und ist folglich eine nicht einschätzbare Variable. Sportlich sieht es da schon anders aus, da die Drachen aus einer Vielzahl von erfahrenen Profis bestehen und für jede Mannschaft der Welt ein Problem werden können. Das Ziel Achtelfinale scheint realistisch, auch wenn manch ein Experte den Bosniern mehr zutraut. Serbiens Fußball-Ikone Dragan "Piksi" Stojkovic, der einst mit Susic zusammengespielt hat, prophezeit, dass die Bosnier den jugoslawischen Erfolg von der WM 1990 in Italien wiederholen werden. Zur Erinnerung: Jugoslawien scheiterte damals im Elfmeterschießen im Viertelfinale am späteren Finalisten Argentinien um Diego Armando Maradona.

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