Bundesliga (D)

Max Eberls Wandel vom Sympathieträger zum Buhmann

Nach den Trennungen von Gladbach und Leipzig

Eberls Wandel vom Sympathieträger zum Buhmann

Zählte zu den Sympathieträgern im deutschen Fußball, wird inzwischen jedoch äußerst kritisch gesehen: Max Eberl.

Zählte zu den Sympathieträgern im deutschen Fußball, wird inzwischen jedoch äußerst kritisch gesehen: Max Eberl. IMAGO/motivio

Die Zuschriften, die den kicker zur Trennung von RB Leipzig und seinem bisherigen Sportgeschäftsführer erreichten, ließen an gemeinsamer Stoßrichtung nichts zu wünschen übrig. Praktisch ausnahmslos liefen sie darauf hinaus, was Michael Bauer aus Wien drastisch so formulierte: "Max Eberl ist für mich das Gesicht des Sittenverfalls im Fußball."

Global betrachtet gewiss ein bisschen viel der zweifelhaften Ehre für den im niederbayerischen Städtchen Bogen geborenen Eberl im Vergleich zu Persönlichkeiten wie Nasser Al-Khelaifi, Mohammed bin Salman oder Gianni Infantino. Doch dass Eberl überhaupt einmal mit einem solchen Etikett belegt würde, schien lange Zeit so unvorstellbar wie "Rudi raus"-Rufe bei einem Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft.

Ein Verfechter von 50+1 und einer "deutschen Fußball-Kultur"

Als Frontmann von Borussia Mönchengladbach stand Eberl, 2008 vom Nachwuchs-Chef zum Sportdirektor befördert, über mehr als eine Dekade lang für die gute Seite des Spiels. Mit klugen Trainer- und Transferentscheidungen gestaltete er das organische Wachstum seines Klubs vom Relegations-Teilnehmer zum Champions-League-Starter. Der Ex-Profi, zwischen 1999 und 2005 in 137 Partien für Gladbach am Ball, und seine Borussia verkörperten eine Bilderbuchbeziehung, die beide zu einem Inbegriff jener Werte machte, die Eberl nach außen hochhielt: Kontinuität, Loyalität, Maßhalten im Wirtschaftlichen und ganz generell.

Eberl profilierte sich als Verfechter von 50+1 und einer "deutschen Fußball-Kultur" in Abgrenzung zur von Mehrheitseignern getriebenen englischen Premier League. In diesem Kontext kritisierte er finanzielle Auswüchse, als er sagte: "Der Transfermarkt ist wie Monopoly." Und er sprach konkret auch das Modell RB an sowie dessen "Geschiebe von Spielern von Salzburg nach Leipzig und von Leipzig nach Salzburg".

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So etwas zahlte kräftig ein auf Eberls Image als Max Saubermann. Beim Wechsel nach Leipzig im vergangenen Dezember aber fiel es ihm dann umso heftiger auf die Füße. Dazwischen lag seine Scheidung von der Borussia, die viele Außenstehende aus allen Wolken riss. Im Nachhinein aber finden sich Anhaltspunkte für einen schleichenden Entfremdungsprozess. Zwischen dem Manager Eberl und seinem Verein. Und, so scheint es, zwischen dem Menschen Eberl und seiner bis dato wahrgenommenen Persönlichkeit.

Während Roses zweiter Saison: Gladbach atmosphärisch ein anderer Verein

2019 den soliden Trainer Dieter Hecking trotz erfüllter Erwartungen zu opfern, um eine Millionen-Ablöse an Salzburg für den aufstrebenden Marco Rose zu zahlen, war unter rein professionellem Aspekt legitim - doch, nach bis dahin geltenden Maßstäben, nicht mehr Gladbach-like. Rose führte das Team in die Champions League. Dennoch bleibt die Frage, ob der Fall nachhaltig nicht mehr geschadet als genutzt hat.

Spätestens als während Roses zweiter Saison bekannt wurde, dass er seine Ausstiegsklausel nutzen würde, um zum BVB zu wechseln, war die Borussia atmosphärisch ein anderer Verein. Geprägt von kurzfristigem Erfolgsdenken, einem immer Höher, Schneller, Weiter, das Eberl mit Blick auf andere so oft angeprangert hatte.

Prompt verloren bewährte Wertvorstellungen an Glaubwürdigkeit und damit Wirkungsmacht: Dass Eberl an Rose trotz dessen selbst gewählten Abschieds festhielt, wurde nicht mehr als Gebot von Loyalität und Vertragstreue aufgefasst, sondern schlicht als Sturheit. Die Talfahrt auf Platz 8 ließ sich so nicht stoppen. Fortan landete der Klub nicht mal mehr in der von Eberl jahrelang als Ausdruck der Bodenständigkeit propagierten "Einstelligkeit" - obwohl für Rose-Nachfolger Adi Hütter sogar eine Rekordablöse gezahlt wurde.

Ganz augenscheinlich hatte sich Eberl verrannt im Bemühen, oder besser: der sportlichen Gier, mit Rose das große Rad zu drehen. Ebenso belegt die Ablehnung eines Angebots im Bereich von 50 Millionen Euro Ablöse für Denis Zakaria: Eberl hatte auf seinem lange so geradlinigen Weg für die Entwicklung des Vereins den Kompass verloren, wirkte zusehends beratungsresistent. Zugleich fehlte ein konsequentes Korrektiv im Klub.

Aus der Sackgasse gab es irgendwann kein Zurück

Dass Eberl fast unumschränkt walten durfte und auch wollte, dann aber am Druck einer subjektiv gefühlten Alleinverantwortung zerbrach, macht klar: Aus der Sackgasse gab es irgendwann kein Zurück. Da passt es nur ins Bild, dass Eberl noch im Dezember 2020 seinen Vertrag bis sage und schreibe 2026 verlängerte - um sogar schon im darauffolgenden Herbst erstmals hinschmeißen zu wollen, ehe er es im Januar 2022 wirklich tat.

Eine rasante Entwicklung, die rund um die tränenreiche Pressekonferenz unweigerlich eine Vielzahl von Glaubensfragen aufwarf. Der Großteil entzieht sich einer medialen Bewertung, zu stark spielen gesundheitliche und somit persönliche Aspekte ein Rolle. Fakt ist: Eberl machte in einem "Focus"-Interview die ärztliche Diagnose einer "situativen Depression" öffentlich. Definiert wird diese als "ungeklärte Reizbarkeit, Müdigkeit und Schuldgefühle, gefühlte innere Leere und Wertlosigkeit, beeinträchtigte Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit".

RB Leipzig verkörpert genau das Gegenteil dessen, wofür Eberl in 23 Jahren Gladbach gestanden hat.

Frankfurter Rundschau

Eberl war zu diesem Zeitpunkt ein kranker Mann, was ihn nicht von jeglicher Verantwortung freispricht. Etwa dafür, während seiner Liebesbeziehung mit Gladbachs Teammanagerin Sedrina Schaller, die sich im intimsten Bereich der Mannschaft bewegte, Berufs- und Privatleben nicht konsequent zu trennen. Auch dieser Umstand beschleunigte die Negativspirale. "Erfolg führt zu Leichtsinn", nannte Eberl vor Jahren als Lebensmotto. Was heute klingt wie eine Prophezeiung in eigener Sache.

Nach Gladbach ausgerechnet in Leipzig anzuheuern und das bereits nach erstaunlich kurzer Frist von nicht mal elf Monaten, schüttete natürlich Wasser auf die Mühlen all derer, die schon Eberls Abschied von der Borussia für fragwürdig erachtet hatten. In deren Sinne kommentierte etwa die "Frankfurter Rundschau": "Was der Sache ein unschönes Geschmäckle verleiht, ist der neue Arbeitgeber. RB Leipzig verkörpert genau das Gegenteil dessen, wofür Eberl in 23 Jahren Gladbach gestanden hat: Tradition, Leidenschaft, Emotion, Mitbestimmung. (...) Sicher ist: Ein Stück weit hat er mit dem Wechsel auch seine Seele verkauft."

Das Engagement in Leipzig wirkte eher wie eine Verlegenheitslösung

So darf man das selbstredend bewerten in einem Showgeschäft, dessen Grundlage nicht zuletzt Emotionen und Polarisierung bilden. Sicher ist jedoch ebenso: Mit seinem Wechsel zu RB hat Eberl nichts Verbotenes getan, noch nicht einmal etwas Unrechtes. Allerdings etwas Falsches, wie das rasche Ende in diesem September belegt. "Es war in etwa so, als würden zwei frisch Verliebte zusammenziehen und nach einiger Zeit in der gemeinsamen Wohnung bemerken: Oh, das haben wir uns irgendwie anders vorgestellt", vergleicht Marc Kosicke. Eberls Berater spielt insbesondere auf die im Alltag doch zu unterschiedlichen Vereins- bzw. Unternehmenskulturen zwischen RBL und Gladbach an. In Leipzig zweifelt man unterdessen nachvollziehbar daran, dass Eberl überhaupt je in die neue Herausforderung "verliebt" gewesen ist.

Im Nachhinein wirkt es eher, als sei der bis 2026 unterzeichnete Vertrag für Eberl letztlich eine Verlegenheitslösung gewesen. Aus dem Antrieb, ins Business zurückzukehren, ausgestattet mit einer Machtfülle wie noch kein Sportlicher Leiter in Leipzig vor ihm, doch ohne Überzeugung und professionelle Identifikation. Statt wie von RB-Boss Oliver Mintzlaff erwartet als Gesicht des Vereins entpuppte sich Eberl als Galionsfigur wider Willen, machte sich rar in der Öffentlichkeit wie im Leistungszentrum am Cottaweg. "Fehlendes Commitment" lautete die Begründung des Klubs für die Trennung. Ein verheerendes Urteil über eine Führungskraft, dem Eberl selbst nicht widersprechen wollte.

Schon im Mai war er, intern wie öffentlich, betont vage geblieben, als er beim FC Bayern als Nachfolger von Sportvorstand Hasan Salihamidzic gehandelt wurde. Dies wiederholte sich Ende September - bis Eberl nach kicker-Informationen intern unverblümt einräumte: Sollte ihm sein Herzensverein Bayern München tatsächlich ein Angebot machen, werde er in Leipzig um seine Freigabe bitten. In vollem Bewusstsein, der weiteren Zusammenarbeit damit trotz des erstklassig gemanagten XXL-Kaderumbruchs im Sommer die Grundlage zu entziehen.

Den Vorwurf, seine Freistellung provoziert zu haben, wird Eberl folglich nicht entkräften können. In anderer Beziehung steht sein Wort unverbrüchlich: "Ich bin ein Roter und werde es immer bleiben", betonte er im Mai 2009 in einem Interview mit dem "Bayern-Magazin". Für RB hat das teure Missverständnis immerhin etwas Positives, das sich mit Geld nicht kaufen ließe: In der Causa Eberl liegen die allgemeinen Sympathien tatsächlich mal beim sonst gerne geschmähten "Brauseklub". Über Eberls Standing wäre damit ebenfalls alles gesagt.

Dieser Text erschien erstmals in der kicker-Print-Ausgabe vom 29. Oktober 2023.

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