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Hamann fordert ein Umdenken in der Jugendarbeit

kicker.tv - Der Talk: Folge 10

Hamann fordert ein Umdenken in der Jugendarbeit

Für ihn ist Spanien ein warnendes Beispiel: Dietmar Hamann.

Für ihn ist Spanien ein warnendes Beispiel: Dietmar Hamann. kicker

Die deutsche Nationalmannschaft hat bei der EM ihr Ziel, den Titel zu gewinnen, nicht erreicht. Im Halbfinale kam bekanntlich das Aus gegen Gastgeber Frankreich. Für Vizeweltmeister Dietmar Hamann war das Fehlen eines klassischen Stoßstürmers nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Mario Gomez ausschlaggebend. "Ballbesitz alleine reicht nicht für einen Titel", sagte der 42-Jährige und warnte: "Deutschland muss aufpassen, nicht wie Spanien in Schönheit zu erstarren. Wir haben uns an Spanien orientiert, die mit Spielern, die auf ihrem Zenit waren, vor vier Jahren Erfolg hatten. Das war aber die einzige Mannschaft in der Geschichte, die einen Titel ohne Mittelstürmer gewonnen hat."

Hamann wies auch darauf hin, dass ein Thomas Müller im Verein besser spielt, weil er einen Robert Lewandowski zur Seite hat. Das ist in der Nationalelf nicht der Fall, also ist "ein Müller nur die Hälfte wert". Seine Forderung war eindeutig: Ein "Prellbock" muss her, doch auch Hamann ist nicht entgangen, dass "wir in den letzten sechs bis acht Jahren nicht einen Mittelstürmer hervorgebracht haben. Es kann nicht sein, dass wir mit 80 Millionen Bürgern keinen Mittelstürmer finden."

"Für mich ist viel wichtiger, Eins-gegen-eins-Situationen auf den Außen zu kreieren. Und wir haben Spieler auf den Außen, die sich auf der Außenbahn durchsetzen können", widersprach Welt- und Europameister Andres Möller, der als Co-Trainer mit Ungarn das EM-Achtelfinale erreichte, ein wenig. Dagegen führte Jörg Jakob (kicker Chefredaktion) die fehlende Effizienz als Grund an: "Das Problem haben wir schon länger, dass wir unsere Chancen nicht nutzen. Das hat man schon in der Qualifikation gesehen. Das ist ein Manko, das man abstellen muss."

Alaba, Müller, Ibrahimovic vs. Messi, di Maria, Ronaldo

Thematisiert wurde auch die Rolle der Stars bei der EM, von denen nicht alle überzeugten. Neben Thomas Müller blieben unter anderem auch Zlatan Ibrahimovic oder David Alaba hinter den Erwartungen zurück. Herzog bat dabei um eine differenzierte Betrachtung und verwies im Fall von Ibrahimovic oder Alaba darauf, dass es einen Unterschied mache, "ob ich bei Bayern München oder Paris St. Germain spiele oder in einer schwächeren Nationalmannschaft. Bei Spielern, wie Müller, die sehr oft auf höchstem Niveau spielen, ist schon auffällig, das sie überspielt wirken."

Das führte unvermeidlich zur Frage, ob die Topstars zu viele Spiele bestreiten müssen und folglich verheizt werden. "Wenn du über zehn Jahre nur zwei bis drei Wochen im Jahr frei hast, dann ist das nicht gut", sagte Hamann und forderte: "Man muss schauen, dass man den Spielern mehr frei gibt." Ihm sind vor allem unbedeutende Turniere oder die ganzen Werbereisen ein Dorn im Auge, wohingegen Möller die schiere Größe der Champions League kritisierte.

Kommerzialisierung des Fußballs spielt eine Rolle

Nicht immer einer Meinung: Andreas Herzog und Dietmar Hamann (re.).

Nicht immer einer Meinung: Andreas Herzog und Dietmar Hamann (re.). kicker

Eine Verkleinerung der Champions League ist für Jakob nicht mehr als "Träumerei", da die Kommerzialisierung des Fußballs eine entscheidende Rolle spielt. "Der Klubfußball wird immer bedeutender, auch weil dort das Geld gemacht wird", argumentierte Jakob: "Die besten Spieler haben ihre beste Milch bereits während der Saison gegeben. Dann werden EM und WM abgewertet, weil die Spieler bei diesen Turnieren nicht mehr ihre Bestleistung abrufen können."

Herzog betonte derweil, dass sowohl die Klubs als auch die Spieler selbst mitverantwortlich für die Situation sind und ging dann darauf ein, was die Vereine machen, wenn spielfrei ist: "Sie fliegen nach Amerika oder sonst wohin - zu irgendeinem Cup, weil sie mehr Geld einnehmen wollen. Das müssen sie auch, weil die Spieler auch mehr Geld verdienen wollen. Es hat sich nicht alles zum Positiven gewandelt. So geht es nicht weiter." Dennoch mahnte der Österreicher an, nicht alles über einen Kamm zu scheren, da es auch andere Beispiele gibt: "Bei der Copa haben Weltklassespieler wie Messi oder di Maria dem Turnier ihren Stempel aufgedrückt." Eine Aussage, die wohl auch auf Antoine Griezmann oder Cristiano Ronaldo zutreffen dürfte.

Die Teilnehmer sind nicht das Problem, das Format schon

Einigkeit herrschte in der Frage der Größe des Turniers. Eine Verkleinerung wäre Jakob zufolge der falsche Weg, weil "die UEFA gegenüber all ihren Mitgliedern eine Verantwortung hat. Soll sie immer nur Deutschland, England oder Frankreich spielen lassen?" Ohnehin ist für ihn klar, dass "das sportliche Niveau nicht besser gewesen wäre, wenn nur 16 Mannschaften teilgenommen hätten".

Möller wies darauf hin, dass die "kleinen Länder ein Zeichen gesetzt haben" und verwies auf Albanien, Wales oder Ungarn. Hamann betonte, dass er "nicht immer dieselben Acht oder 16" sehen möchte und unterstrich, welchen Mehrwert die Aufstockung der EM für die kleinen Nationen hat: "Das wird in Ländern wie Ungarn einen Riesenboom auslösen, der in zehn Jahren Früchte tragen wird. Es soll ein Sport für alle sein."

Hamann, der 2005 mit Liverpool die Champions League gewann, vergaß aber nicht, auch auf die Probleme einzugehen. So ist für ihn das Format, bei dem vier von sechs Gruppendritten die Vorrunde überstehen, hinderlich, weil die Spannung fehlt. Herzog sieht das auch so, "weil man taktieren kann und so die Dynamik fehlt". Der 47-Jährige schlug vor, die K.-o.-Phase direkt mit dem Viertelfinale zu beginnen. Dann "würde es schon ab dem zweiten Gruppenspiel zur Sache gehen. Kein Dritter einer Vierergruppe hat es verdient, weiterzukommen."

Das Format allein ist für den Österreicher, der zuletzt als Co-Trainer von Jürgen Klinsmann bei der Copa mit den USA bis ins Halbfinale kam, aber nicht der einzige Grund, warum das Niveau bei der EM eher überschaubar war. In Europa wird "sehr viel Wert auf Disziplin gelegt", erklärte Herzog und zog den Vergleich mit Südamerika, wo "die Mannschaften vielleicht nicht ganz so diszipliniert spielen, dafür aber mehr ins Eins-gegen-eins gehen. Das ist attraktiver anzusehen."