Bundesliga (D)

Hummels-Rot: Zweifel und Kritik an Drees' Rechtfertigung

Nicht nur Ex-Schiri Heynemann hält den VAR-Eingriff für unangemessen

Hummels-Rot: Zweifel und Kritik an Drees' Rechtfertigung

Grätsche gegen Openda: Mats Hummels kommt zu spät - die Frage ist nur wo?

Grätsche gegen Openda: Mats Hummels kommt zu spät - die Frage ist nur wo? IMAGO/eu-images

Heynemann, unter anderem als Schiedsrichter bei der EM 1996 und der WM 1998 im Einsatz, ärgert sich "immer wieder" über den VAR. "Wie am Samstag in Dortmund. Schiedsrichter Jablonski gibt für Hummels' Foul an Openda Strafstoß und Gelb - nachvollziehbar", urteilt Heynemann in seiner aktuellen kicker-Kolumne (die komplette Kolumne lesen Sie in der Montagsausgabe oder ab Sonntagabend im eMagazine).

Heynemann: "Solche Erbsenzählerei mit der Lupe schadet dem Fußball"

Bei Jablonskis Entscheidung blieb es aber nicht. Nach Hummels Vergehen in der 12. Minute gab es eine längere Intervention von VAR Pascal Müller, der mit seinem Team im Kölner Videocenter zunächst eine mögliche Abseitsstellung Opendas überprüfte und klar mit Nein beantwortete. Überraschend kam es aber nicht zum Elfmeter für Leipzig, sondern zu einem direkten Freistoß an der Strafraumgrenze, verbunden mit dem dann regeltechnisch unausweichlichen Platzverweis für Dortmunds Nationalspieler, für den sich dieser nach der 2:3-Niederlage entschuldigte.

Für Heynemann ist die Entscheidung allerdings nicht passend. "Dann aber wird die Szene im Kölner Keller millimeterweise seziert und das Foul aus dem Strafraum verlagert, obwohl selbst die Zeitlupen nicht eindeutig sind", übt der frühere FIFA-Referee deutliche Kritik: "In solchen Fällen sollte unbedingt die Feldentscheidung stehen bleiben und die Entscheidungsgewalt nicht vom Keller beansprucht werden. Der hat im Falle Hummels allein die frühe und potenziell entscheidende Rote Karte zu verantworten. Solche Erbsenzählerei mit der Lupe schadet dem Fußball."

Drees: "Evidenz durch Kameraeinstellungen "16er hoch" und "Reverse links"

Dr. Jochen Drees, in der 2022 neu gegründeten DFB Schiri GmbH Leiter Innovation und Technologie und bereits seit 2018 verantwortlich für den Bereich VAR, verteidigt hingegen den Eingriff Mülllers auf kicker-Nachfrage. "Regeltechnisch ist bei einem Fußangriff bzw. Foulspiel entscheidend, an welcher Stelle der erste, initiale Kontakt erfolgt, durch den der Angreifer schließlich zu Fall kommt. Das war beim vorliegenden Zweikampf zwischen Hummels und Openda bildlich belegbar kurz vor dem Strafraum der Fall, sodass die korrekte Entscheidung direkter Freistoß und Rote Karte wegen der Vereitelung einer offensichtlichen Torchance lautete", erklärt Drees und fügt an: "Die Evidenz haben die Kameraeinstellungen '16er hoch' und 'Reverse links' geliefert."

Spiele von Borussia Dortmund

Da der DFB die betreffenden Kameraeinstellungen bisher nicht veröffentlicht hat, lässt sich diese Aussage nicht überprüfen. Allgemein fügt Drees an, dass es sich bei der Feststellung des Ortes des Vergehens wie bei Abseitsstellungen und der Frage "War der Ball im Aus"? um faktische Entscheidungen handele, die direkt vom VAR getroffen werden, ohne dass sich der Feld-Schiedsrichter die betreffenden Szenen im Stadion selbst noch einmal ansieht. "Eine präzise Analyse ist bei allen faktischen Entscheidungen notwendig, da es sich hierbei um sogenannte Schwarz-Weiß-Entscheidungen handelt", so Drees.

Interner Widerspruch gegen Drees' Regel-Behauptung

Was Drees nicht sagt: Es gibt in der Bundesliga, anders als bei der Torlinientechnologie, bei den Seitenauslinien und den Strafraumumrandungen noch keine 3-D-Technik, die zweifelsfreie Genauigkeit über den Standort des Balles und der Spieler garantiert.

Davon abgesehen gibt es nach kicker-Informationen innerhalb des Profi-Schiedsrichterwesens einige Stimmen, die den VAR-Eingriff in Dortmund wie Heynemann als unangemessen betrachten. Das liegt unter anderem daran, dass es gegen Drees' Behauptung, dass bei einem Foul nur der "erste, initiale Kontakt" entscheidend sei, Widerspruch gibt. Es gehe vielmehr um den "entscheidenden" Kontakt.

Hinzukommt: Während sich ein Foulspiel bei Fußauftritten - das so genannte "Stempeln" - oder bei einem Beinstellen ähnlich wie einem Handspiel recht genau lokalisieren lässt, verhält es sich insbesondere bei Grätschen anders. Da gibt es in der Regel eine längere "Kontaktzeit" zwischen foulendem und gefoultem Spieler und der allererste Kontakt muss noch nicht maßgeblich und entscheidend für ein Foul respektive das "Zu-Fall-Bringen" des gefoulten Spielers sein. So wie bei Hummels. Der BVB-Innenverteidiger hatte Openda von seitlich hinten mit einer Grätsche "abgeräumt", das Zu-Fall-Bringen durch den Bein-Treffer findet klar im Strafraum statt.

Hummels-Foul am 6. Spieltag: Andere Entscheidung, andere Argumentation

Interessant ist, dass die DFB-Schiedsrichter bei einem anderen, in Teilen durchaus vergleichbaren Foul von Hummels diese Saison anders entschieden und argumentiert haben, als es Drees in diesem Fall tut. Am 6. Spieltag hatte Hummels Hoffenheims Stach per Grätsche gefoult. Dabei gab es - anders als am Samstag gegen Leipzig zwei klar voneinander abgrenzbare Kontakte mit dem Gegenspieler. Der erste am linken Fuß von Stach fand deutlich außerhalb der Strafraumlinie statt, danach traf Hummels innerhalb noch den anderen Fuß.

Die Entscheidung damals von Schiedsrichter Florian Badstübner: Gelb und Strafstoß für Hoffenheim. VAR Sören Storks intervenierte nicht. Die Argumentation dahinter: Der entscheidende Kontakt für das Foulspiel fand innerhalb des Strafraums statt.

DFB rechtfertigt erneut Entscheidung, die für Unverständnis sorgt

Im aktuellen Fall rechtfertigen die DFB-Verantwortlichen in komplizierter Fachsprache zum wiederholten Male eine Entscheidung, die bei der Fußball-Gemeinde für Unverständnis sorgt und mit der obendrein intern ein beträchtlicher Teil der Akteure unzufrieden ist. Ohne VAR Müller hart kritisieren zu müssen, hätte Drees erklären können, dass es besser gewesen wäre, diesen Eingriff zu unterlassen. Damit wäre eine regeltechnisch gedeckte, nachvollziehbare Entscheidung des im Topspiel insgesamt guten FIFA-Referees Jablonski stehen geblieben und die Kompetenz des Feldschiedsrichters gestärkt worden.

Das wurde seit Langem als großes Ziel von Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich proklamiert. Fröhlich hatte übrigens ebenfalls schon öfter erklärt, dass im Video-Center keine Detektiv-Arbeit betrieben werden solle. Während Hummels einer Sperre entgegensieht, wird es spannend zu beobachten sein, wie 2024 der dann neue Schiri-Chef Knut Kircher mit solchen Szenen öffentlich umgehen wird.

Carsten Schröter-Lorenz

Bilder zur Partie BV 09 Borussia Dortmund gegen RasenBallsport Leipzig