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Wenn ein Pixel zum Kunstwerk wird

Das bleibt von Ibrahimovics Karriere

Wenn ein Pixel zum Kunstwerk wird

Das Tor der Tore: Zlatan Ibrahimovic trifft per Fallrückzieher gegen England.

Das Tor der Tore: Zlatan Ibrahimovic trifft per Fallrückzieher gegen England. IMAGO/TT

Sein vielleicht größtes Kunstwerk gibt es nur als YouTube-Pixel.

Den 9. März 2001 zeigt die selbst für diese Zeit noch minderwertige Kamera an, Uhrzeit 15:37. Zlatan Ibrahimovic, ungefähr der fünfte Pixel von links, erhält den Ball etwa 20 Meter vor dem gegnerischen Tor, chippt den Ball direkt bei der Annahme über einen Gegner und läuft um ihn herum. Man kann nur erahnen, wie die Person hinter der Kamera sich mit den Händen an den Kopf fasst, denn das Objektiv zieht sie nicht mehr nach. Der Ball und Ibrahimovic verschwinden, als er ihn mit der Hacke über einen weiteren Gegenspieler lupft. Dann liegt er im Tor. Dazwischen, so erzählt es Ibrahimovic selbst, liegt noch ein satter Volleyschuss.

Niemand wird dieses Tor übertreffen können.

Ibrahimovic über seinen Fallrückzieher gegen England

Dieser Treffer, erzielt für Malmö FF in einem Vorbereitungsspiel im spanischen Trainingslager, er ist "das schönste Tor, das ich jemals erzielt habe, ein unvorstellbares Tor", sagt der zu diesem Zeitpunkt schon ein paar Jahre ältere Ibrahimovic in dem Video. Da wusste er noch nicht, was noch kommen würde.

"Das schönste Tor war gegen England", sagte Ibrahimovic 2014, zwei Jahre nach seinem 30-Meter-Fallrückzieher, nach dem einige Menschen auf Twitter sogar scherzhaft forderten, dass jetzt nie wieder Fußball gespielt werden dürfe. Der Höhepunkt sei erreicht, der Sport durchgespielt. "Niemand wird dieses Tor übertreffen können", findet Ibrahimovic selbst. Er könnte Recht haben.

Während Social Media und allein die wöchentlichen Torwand-Kandidaten im Sportstudio belegbar machen, dass Amateurkicker quer über den Globus regelmäßig Scorpion-Kicks im Winkel versenken oder Soli über den gesamten Platz gekonnt abschließen, gibt es Tore, die kann man nicht kopieren. Weil unter allen Fußballspielern des Planeten rein athletisch nur wenige dazu in der Lage sind. Und wie viele von denen wären dann noch so verrückt, überhaupt einen Fallrückzieher aus 30 Metern zu versuchen?

Wahrscheinlich nur einer, der alles und jeden zum Anlass nimmt, um sich zu beweisen. "Für die englische Presse bist du erst dann gut, wenn du gegen sie getroffen hast", sagte er etwa nach seinem Tor. Als habe er gar keine andere Wahl gehabt, als einen Viererpack mit einem Jahrhunderttor zu krönen. Und als habe er vor dem Spiel gezielt alle britischen Zeitungsarchive durchsucht, um Kritik an ihm zu finden, die er persönlich nehmen konnte.

In seiner 2011 veröffentlichten Autobiografie geht es eigentlich hauptsächlich darum: Alle haben was gegen mich, also muss ich es ihnen zeigen. Aber so richtig. Er konnte nach Manchester gehen, nach Paris, nach Los Angeles. In ihm blieb immer Rosengard, der von Armut und Kriminalität geprägte Vorort von Malmö. "Du kannst einen Typen aus dem Ghetto holen, aber nie das Ghetto aus dem Typen", schreibt er selbst.

In den Jugendmannschaften, beschreibt er in dem Buch, hätten die Eltern seiner Mitspieler Unterschriften gesammelt, um ihn aus der Mannschaft zu entfernen. Bei vielen Trainern sei er nur Reservist gewesen, "weil ich nicht Lasse Söderholm heiße und blonde Haare habe".

Später waren es dann Berater, von denen er sich trennte, weil sie nach einer Fahrt mit 300 km/h ("Einmal habe ich sogar 325 geschafft") kreidebleich wurden. Es waren Mitspieler wie Oguchi Onyewu ("Er war Amerikaner und groß wie ein Haus"), dessen Trainingsprovokationen eine Prügelei "auf Leben und Tod" aus Ibrahimovics Sicht völlig alternativlos machten. Es waren Gegenspieler wie Marco Materazzi, an denen er sich für harte Fouls auch noch Jahre später rächen musste ("Ich schickte ihn ins Krankenhaus"). Die Journalisten. Und vor allem Pep Guardiola. Immer gab es Feinde. Es musste sie geben.

Das fanden einige lustig und einige unerträglich. Und Ibrahimovic selbst hätte es wahrscheinlich gar nicht lustig gefunden, wenn es nicht einige unerträglich gefunden hätten.

Zlatan Ibrahimovic, Pep Guardiola

"Wir brauchen diesen Philosophen nicht": Zlatan Ibrahimovic und Pep Guardiola waren sich nur selten grün. imago sportfotodienst

Hängen bleiben, jetzt nach dem Karriereende, Sprüche, Skandale, Traumtore. Nicht die Titel. Zwar hatte Ibrahimovic entscheidenden Anteil daran, dass Inter von 2007 bis 2009 dreimal in Folge italienischer Meister wurde, die Champions League gewann das Team aber erst, als er weg war. Beim Europa-League-Sieg 2017 mit Manchester United hatte er sich kurz vor dem Finale am Kreuzband verletzt.

Zlatan Ibrahimovic, das ist irgendwo auch eine von ihm selbst geschaffene Kunstfigur. Eine, die vielleicht gar keine ist, weil er - so genau kann man das aus der Ferne nicht sagen - genau so ist, wie er sich gibt. Er zelebrierte es geradezu, kein ausgewiesener Teamplayer zu sein. Sondern ein Ausnahmekönner, der - anders als die meisten Weltklassespieler seiner Zeit - niemals mit hauptsächlich einem oder zwei Teams konnotiert werden wird, sondern mit ihm selbst als Gesamtwerk. Als Geschenk für jeden, der vom Fußball in erster Linie unterhalten werden will.

Bei seinem Trainingslager-Tor in La Manga soll Ibrahimovic beim Jubel anwesenden Journalisten zufolge "Zlatan, Zlatan" gerufen haben. "Total falsch", sagte Ibrahimovic selbst. "Ich habe Showtime gerufen, weil es ein Showtime-Tor war. Showtime, nicht Zlatan. Warum sollte ich meinen eigenen Namen rufen?"

Aber warum sollte er nicht?

Michael Bächle

Geld, Gott, Geburtstag: Sprüche von Zlatan Ibrahimovic