Bundestrainer Helmut Schön war kurz davor, hinzuwerfen. Das kannte er so nicht. In der tristen, da abgeriegelten Sportschule von Malente stellten Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Co. ihr Ultimatum. Sie waren keine fügigen Amateure mehr, die einfach stolz waren, für ihr Land spielen zu dürfen - sie waren Geschäftsleute, die ihren Wert einzuschätzen wussten. Obwohl Deutschland im Auftaktspiel gegen Chile enttäuschte und die Forderungen nicht gerade untermauern konnte.
Die Mannschaft stimmt gegen Netzer
Als die Siegprämie schließlich ausgehandelt war, rafften sich die Fordernden auf und nahmen Schön manche Entscheidung ab - zum Beispiel mit Wolfgang Overath zu spielen und nicht mit Günter Netzer. Für ein unvermeidliches Knistern sorgte das Vorrunden-Duell mit "Klassenfeind" DDR - dessen Siegtorschütze Jürgen Sparwasser den Westdeutschen einen unverhofften Gefallen tat.
Durch die Niederlage im deutsch-deutschen Duell ging die BRD der wohl schwereren Zwischenrunden-Gruppe aus dem Weg - und hatte erneut Glück, dass die spielstarken Polen in der "Wasserschlacht von Frankfurt" nicht zur Geltung kamen. "Unter normalen Bedingungen hätten wir keine Chance gehabt", gab Beckenbauer hinterher unverblümt zu.
Titelgarant Sepp Maier
Auch im Endspiel im Münchener Olympiastadion war der Ausrichter Außenseiter, mit "totalem Fußball" hatten sich die Niederlande um Johan Cruyff zum Titelfavoriten gemausert. Wie gegen Polen wuchs vor allem Torhüter Sepp Maier über sich hinaus, während einmal mehr Gerd Müller - auch wenn er nicht wie 1970 überragte - unnachahmlich den Siegtreffer markierte. Mit großen Namen, etwas Risikobereitschaft und ein bisschen Glück wurde Deutschland 1974 Weltmeister im eigenen Land.
Niklas Baumgart
1974: Was sonst noch geschah ...
Erster Henkelpott im Wiederholungsspiel: Der FC Bayern um Gerd Müller (mit Pokal) schlägt Atletico Madrid im Landesmeister-Finale mit 4:0. imago images
Meister: Bayern München
Pokal: Eintracht Frankfurt (nach 3:1 n.V. gegen Hamburger SV)
Fußballer des Jahres: Franz Beckenbauer (Bayern München)
Torschützenkönig: Jupp Heynckes (Borussia Mönchengladbach, 30 Tore)
DDR: 1. FC Magdeburg (Meister), FC Carl-Zeiss Jena (Pokalsieger nach 3:1 n.V. gegen Dynamo Dresden), Torschützenkönig: Hans-Bert Matoul (1. FC Lok Leipzig, 20 Tore), Fußballer des Jahres: Bernd Bransch (FC Carl-Zeiss Jena)
Europapokal der Landesmeister: Bayern München (nach 4:0 gegen Atletico Madrid im Wiederholungsspiel)
UEFA-Cup: Feyenoord Rotterdam (gegen Tottenham Hotspur)
Europapokal der Pokalsieger: 1. FC Magdeburg (nach 2:0 gegen AC Mailand)
Weltmeisterschaft in Deutschland: Sieger Deutschland (nach 2:1 gegen Niederlande)
Frauen-Fußball: TuS Wörrstadt (Meister)