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1976 - Hoeneß und der fatale Fehlschuss in den Nachthimmel von Belgrad

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1976 - Hoeneß und der fatale Fehlschuss in den Nachthimmel von Belgrad

Uli Hoeneß vergab im Finale der EM in Belgrad den entscheidenden Elfmeter für Deutschland. Europameister wurde die Tschechoslowakei.

Uli Hoeneß vergab im Finale der EM in Belgrad den entscheidenden Elfmeter für Deutschland. Europameister wurde die Tschechoslowakei. imago images

Hoeneß atmet tief durch. "Elfmeter kann man schon einmal verschießen", merkt er heute erklärend-entschuldigend an, "aber das war damals schon ein spektakulärer Schuss." Und: "Es war halt so." Ist nicht mehr zu ändern und schon lange Geschichte.

20. Juni 1976, Finale der Europameisterschaft in Belgrad. Nach 120 Minuten, also Verlängerung inklusive, steht es zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei 2:2. Der kontinentale Titel muss per Elfmeterschießen ermittelt werden. In der deutschen Auswahl drängen sich dafür nur wenige Spieler vor. Hoeneß "wollte auch nicht schießen", wie er erzählt, doch Franz Beckenbauer erinnert den Bayern-Kollegen an seine Erfahrung von 33 Länderspielen, da könne er doch einem Dieter Müller in dessen zweitem Einsatz im A-Team nicht diese Verantwortung aufbürden. Hoeneß sagte ja.

Rainer Bonhof, Heinz Flohe und Hannes Bongartz hatten verwandelt. Hoeneß lief als vierter deutscher Schütze an. Fünf, vier, drei Schritte, der Oberkörper leicht nach links gelehnt, das rechte Bein schwingt durch zum Vollspannschuss, doch leicht nach links verrutscht der Vorderfuß bei der Berührung des Balles, der deshalb einen leichten Bogen nach rechts zeichnet, steigt und steigt und etwa einen Meter über den Querbalken in den Nachthimmel rast.

Hoeneß fühlte sich seinerzeit "am Ende meiner Kräfte", seine Knieoperation aus dem Jahre 1975 wirkte nach, schon das Habfinale gegen Jugoslawien hatte zwei Stunden gedauert, 4:2 nach Verlängerung. "Ich war total kaputt." Deshalb wollte er sich nicht auf ein Psychoduell mit dem CSSR-Torhüter Viktor einlassen, mied den Blickkontakt und "haute einfach drauf - und dann ist es eben passiert".

Für gewöhnlich suchte Hoeneß schon dieses Nervenspiel gegen den Torhüter, wartete, bis sich das Gegenüber bewegte, "und dann habe ich immer relativ scharf und flach geschossen". So auch bei der WM 1974, für die er zum ersten Elfmeterschützen bestimmt worden war. "Eigentlich war das Elfmeterschießen nicht meine Spezialität", räumt Hoeneß ein, aber in der 1974er WM-Vorbereitung wurde der Schuss vom Punkt eifrig geübt, und da sich Hoeneß "relativ sicher" präsentierte, sagte Helmut Schön: "Dann machen wir es halt so."

Jener Bundestrainer war nach dem Belgrader Fehlschuss sofort zur Stelle, um Hoeneß zu trösten; ebenso Franz Beckenbauer, der sagte: "Gott sei Dank hast du ihn verschossen, weil nach dir hätte ich schießen müssen." Beckenbauer behagte diese Prozedur ebenfalls nicht sonderlich. "Franz war nervlich kein großer Elfmeterschütze und nicht begeistert, dass er schießen musste", sagt Hoeneß, dem sogar Helmut Kohl oder Franz-Josef Strauß aufbauende Briefe schrieben.

Seine persönliche sportliche Bilanz sieht Hoeneß durch diesen Fauxpas nicht im mindesten getrübt. Die EM hatte er schon 1972 und die WM 1974 gewonnen, dazu mit dem FC Bayern alles, was der Klub-Fußball zu bieten hatte.

Karlheinz Wild

1976: Was sonst noch geschah ...

Hamburger SV

Im DFB-Pokal-Finale setzte sich der Hamburger SV unter Trainer Kuno Klötzer mit 2:0 gegen den 1. FC Kaiserslautern durch. imago images

Meister: Borussia Mönchengladbach

Pokal: Hamburger SV (nach 2:0 gegen 1. FC Kaiserslautern)

Fußballer des Jahres: Franz Beckenbauer (Bayern München)

Torschützenkönig: Klaus Fischer (FC Schalke, 29 Tore)

DDR: SG Dynamo Dresden (Meister), 1. FC Lok Leipzig (Pokalsieger nach 3:0 gegen FC Vorwärts Frankfurt/Oder), Torschützenkönig: Hans-Jürgen Kreische (Dynamo Dresden, 24 Tore), Fußballer des Jahres: Jürgen Croy (BSG Sachsenring Zwickau)

Europapokal der Landesmeister: Bayern München (nach 1:0 gegen St. Etienne)

UEFA-Cup: FC Liverpool (gegen Club Brügge)

Europapokal der Pokalsieger: RSC Anderlecht (nach 4:2 gegen West Ham United)

Europameisterschaft in Jugoslawien: Sieger Tschechoslawkei (nach 5:3 i.E. gegen Deutschland)

Olympische Spiele in Montreal: DDR (Gold), Polen(Silber), Sowjetunion (Bronze) - die Bundesrepublik Deutschland war nicht vertreten

Frauen-Fußball: Bayern München (Meister)