Champions League

Frankfurt-Gegner Neapel im Check: Ein Trainer ohne System

Frankfurts Achtelfinal-Gegner in der Champions League

Ein Trainer ohne System und ein Stürmer, der hoch steht: Napoli im Check

Zwei Köpfe der aktuell besten italienischen Mannschaft: Trainer Luciano Spalletti und Mittelstürmer Victor Osimhen (re.).

Zwei Köpfe der aktuell besten italienischen Mannschaft: Trainer Luciano Spalletti und Mittelstürmer Victor Osimhen (re.). IMAGO/HochZwei/Syndication

Luciano Spalletti ist ein hochgeschätzter Serie-A-Trainer, der für offensiven Genussfußball steht. Erst kürzlich hatte ihn Milan-Coach Stefano Pioli neben Größen wie Antonio Conte oder Carlo Ancelotti als Legende des italienischen Calcios gelobt.

Die ganz großen Titel fehlen dem aus der Toskana stammenden 63-Jährigen aber noch. Abgesehen von zwei russischen Meisterschaften mit Zenit St. Petersburg - darunter das Double 2010 - und zwei Coppa-Italia-Triumphen mit der Roma (2007, 2008) ist da nichts, auch weil sein Engagement bei Inter Mailand (2017 bis 2019) nur den Grundstein für den später kommenden Conte bildete.

In dieser Saison scheint aber alles anders zu werden, obwohl der seit 2021 in Neapel tätigte Spalletti im letzten Sommer einen gewaltigen Umbruch zu meistern hatte. Gestandene Stars wie Lorenzo Insigne (FC Toronto), SSC-Rekordtorschütze Dries Mertens (Galatasaray) oder Abwehrchef Kalidou Koulibaly waren weggebrochen.

Statements in Königsklasse und Serie A

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Dafür kamen der georgische Glücksgriff Khvicha Kvaratskhelia oder das "Monster" in der Abwehr namens Min-Jae Kim - und an vorderster Front sollte sich Victor Osimhen weiter als Torgarant verankern.

Gesagt, getan: Mit fünf Siegen aus sechs Spielen in der Champions-League-Gruppenphase begeisterten die Neapolitaner auf der großen europäischen Bühne, ließen etwa den FC Liverpool hinter sich oder fertigten zwischenzeitlich Ajax Amsterdam in den Niederlanden mit 6:1 ab.

In der heimischen Serie A ist gegen die Partenopei ebenfalls kein Kraut gewachsen, der Vorsprung an der Tabellenspitze auf die Verfolger Inter Mailand, Atalanta Bergamo oder Spallettis Ex-Klub AS Rom ist immens. Die dritte Meisterschaft in der Vereinshistorie nach den glorreichen Maradona-Jahren 1987 und 1990 gilt fast nur noch als Formsache.

Prunkstücke des Erfolgs sind dabei der 24-jährige Osimhen (17 Treffer in 18 Serie-A-Spielen) und der 22-jährige Kvaratskhelia mit 20 Scorerpunkten in 18 Erstligapartien sowie fünf Torbeteiligungen in fünf CL-Einsätzen. Doch wie genau funktioniert das Napoli-Spiel, was zeichnet es aus - und warum hat die süditalienische Defensive erst 15 Gegentore in 22 Serie-A-Spielen kassiert?

Spallettis Spielstil

Grundsätzlich kommen die Gli Azzurri im 4-3-3-System daher, wobei die Flügelspieler Kvaratskhelia und Matteo Politano oder Hirving Lozano extrem hoch stehen und bei Angriffen unter anderem zur Grundlinie durchbrechen wollen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit: Wie so oft bei 4-3-3-Systemen wird beim neapolitanischen Ballbesitz ein 4-1-4-1 daraus, Akteure wie Piotr Zielinski schieben hoch mit, um das Zentrum hinter Zielspieler Osimhen zu befüllen.

Khvicha Kvaratskhelia

Neben Victor Osimhen ist Khvicha Kvaratskhelia, der den Spitznamen "Kvaradona" bekommen hat, ein herausragendes Puzzlestück im Napoli-Konstrukt. IMAGO/sportphoto24

Dazu passt, dass Spalletti im Oktober 2022 gesagt hatte, dass das klassische System im modernen Fußball für ihn nicht mehr existiert. Vielmehr passiert alles fließend und Spieler aller großer Mannschaften seien darauf getrimmt, im rechten Moment Räume und Möglichkeiten zu erkennen sowie Erfolgschancen richtig auszuloten. Spallettis genauer Kommentar dazu: "Systeme existieren nicht mehr länger im Fußball, es geht nur um die Räume, die dir der Gegner überlässt. Du musst schnell sein, diese zu erkennen - und wissen, wann der Moment zum Zuschlagen gekommen ist. Und den Mut haben, den Schritt zu wagen, selbst wenn du unter Druck gesetzt wirst."

Ein Beispiel dazu: Kvaratskhelia oder auch der defensive Flügelspieler Giovanni di Lorenzo suchen stets nach Lücken im gegnerischen Verbund. So ist der Georgier bei Angriffsaktionen gern auch mal auf der für ihn komplett anderen Seite zu finden, nur um dort in die Spitze stechen zu können oder für einen Mitspieler Raum zu schaffen. Dribblings von ihm richten sich dabei stets direkt auf den Gegner.

Systeme existieren nicht mehr länger im Fußball, es geht nur um die Räume, die dir der Gegner überlässt.

Luciano Spalletti

Wer nun aber den Eindruck gewinnt, Neapel spiele einen ungeordneten (Offensiv-)Fußball, der irrt. Sehr wohl kommt das Spiel der Kampanier auch geordnet daher. Nach Ballverlusten wird der Raum um den Ballverlust herum attackiert, der Gegner gestellt und am schnellen Konterspiel gehindert. Beim Spielaufbau wird eine Dreierreihe quasi als Dreieck gestellt, während ein Akteur davor als überblickender und den ersten Pass Richtung Vorstoß spielender Spieler agiert - hier sind etwa der omnipräsente André-Frank Zambo Anguissa oder der quirlige Stanislav Lobotka zu nennen. Rauten oder Dreiecke im Angriff, um dem ballführenden Profi mehr Auswahl an Möglichkeiten zu geben, gehören zum guten SSC-Ton. Dabei wird auf die Räume zwischen den Reihen geachtet.

Was bei genauer Betrachtung außerdem auffällt: Der zentrale Stürmer Osimhen lauert nicht nur stets auf Möglichkeiten, zieht Gegenspieler auf sich oder spielt sein enormes Tempo etwa bei Kontern aus. Der Nigerianer, nach seinem wenig berauschenden Engagement beim VfL Wolfsburg durchgestartet und im Sommer 2020 für teures Geld nach Neapel gekommen, drückt mit seiner Präsenz und seinem hohen Stehen die Abwehr der Kontrahenten bewusst tief rein, um seinen Mitspielern dahinter Raum zu schaffen.

Darüber hinaus wird im defensiven Verhalten die Seite mit dem ballführenden Gegner überlagert, die Neapolitaner sind sich auch nicht zu schade, um mal zwei tiefstehende Viererketten aufzustellen - und auf dem Weg nach vorn wird stets das kreative und extrem ballsichere Kurzpassspiel bevorzugt, um sich in Richtung Tor zu arbeiten. Hier kommt es auch häufig zu einem tiefen Spielaufbau, Akteure lassen sich fallen. So hat bei einem Steilpass Zielspieler Osimhen etwa mehr Raum. Und stark bei Standards, wo Ecken oft kurz ausgeführt werden, sind die Partenopei auch noch. Alles in allem muss sich die Frankfurter Eintracht hier auf einiges an Arbeit einstellen.

mag

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