Bundesliga (D)

Geschlossenheit, Defensive, Achse: Wo Magath gefordert ist

Herthas neuer Trainer legt am Dienstag mit der Mannschaft los

Geschlossenheit, Defensive, Achse: Wo Magath jetzt gefordert ist

Hat an einigen Baustellen zu tüfteln: Felix Magath.

Hat an einigen Baustellen zu tüfteln: Felix Magath. imago images/Future Image

Mit der Karriere als Bundesliga-Trainer hatte er knapp neuneinhalb Jahre nach dem Ende in Wolfsburg im Grunde abgeschlossen. Dann kam der Anruf aus Berlin, und nach allem, was man weiß, musste Felix Magath nicht lange überlegen.

"Ich habe mein Leben lang nichts anderes gemacht außer Fußball", sagte Magath am Montagmittag bei seiner Präsentation. "Ich kann einfach nicht anders. Ich bin Fußballer, ich will Fußball und ich liebe Fußball. In der Vergangenheit habe ich auf meinen Trainerstationen gezeigt, dass ich in der Lage bin, mich den Situationen anzupassen. Ich habe in verschiedenen Bundesliga-Vereinen die Aufgabe des Feuerwehrmanns übernommen, also Mannschaften am Tabellenende übernommen und mit denen den Turnaround geschafft. Das ist mir mit sechs oder sieben Vereinen gelungen."

Jetzt will er es wieder schaffen, ein mutmaßlich letztes Mal. Und Magath traut sich die bis Saisonende befristete Aufgabe in Berlin - natürlich - zu, er sieht in ihr "etwas, was auf mich zugeschnitten ist". In seiner 40-minütigen Antrittspressekonferenz wirkte der 68-Jährige, der als Spieler Europameister sowie zweimal Vize-Weltmeister und mit dem HSV zweimal Europapokalsieger war und der als Trainer mit dem FC Bayern München zweimal das Double und mit dem VfL Wolfsburg die Deutsche Meisterschaft gewann, selbstbewusst und klar. Am Dienstag legt Magath auf dem Platz los.

Der kicker sagt, wo der Nachfolger von Tayfun Korkut ansetzen muss.

Felix Magath

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Auf diese Punkte kommt es für Magath an

Geschlossenheit: Geschäftsführer Fredi Bobic brachte es in der Vorwoche auf den Punkt: "Es muss eine Mannschaft werden, so schnell wie möglich. Das sind wir gerade nicht." Hertha als Ansammlung von Individualisten und Grüppchen - das ist der seit Monaten vorherrschende Eindruck. Ein Teamabend in der Vorwoche galt intern als ein Schritt nach vorn. Magath wird und muss alles daransetzen, schnellstmöglich eine Einheit zu formen. Er will "alle in und um den Klub sensibilisieren, dass jetzt der Zeitpunkt ist, zusammen gegen einen Abstieg anzugehen. Da muss jeder mitmachen", sagte Magath am Montag. "Da gehören die Fans dazu, da gehört die Geschäftsstelle dazu, da gehört aber auch die Stadt Berlin dazu."

Vor allem gehören die Profis dazu, in deren Reihen es bislang zu viele Egoismen gab. Im Zweifel wird Magath durchgreifen, auch eine Verkleinerung der Trainingsgruppe scheint denkbar. Bobic nannte Magath am Montag jemanden, "der sich einsetzt für Disziplin", der "eine klare und harte Hand hat". Korkut war in manchen Momenten zu soft. Die Gefahr besteht bei seinem Nachfolger nicht.

Temperament: Aus sich heraus entwickelte die Mannschaft zuletzt viel zu wenig Leidenschaft und Widerstandskraft. Korkut konnte das oft lethargische, wie blockiert wirkende Team nicht dauerhaft beleben. Ab Dienstag wird es Magath versuchen: mit neuen Reizpunkten und einer anderen Ansprache. Das Ziel ist klar: mehr Reibung im Team, mehr Kommunikation - und mehr Erfolg.

Felix Magath (Mi.)

Felix Magath beginnt das Training mit den Herthanern am Dienstag, dann startet die Mission Klassenerhalt. IMAGO/Matthias Koch

Defensive: Hertha als Schießbude - 60 Gegentore nach 26 Spielen sind eine verheerende Bilanz. Unter Korkut brachen zuletzt immer öfter alle Dämme, gegen Leipzig (1:6) und Frankfurt (1:4) wurde Hertha förmlich zerlegt. Auch in Gladbach (0:2) war Hertha vor der Pause zeitweise ein Spielball. Mangelhafte Staffelung und Absicherung, krasse individuelle Aussetzer und eine fatale Anfälligkeit bei Standards (schon 21 Gegentore): Hertha macht den Gegnern seit Saisonbeginn das Toreschießen viel zu leicht. Ohne mehr Kompaktheit und Konzentration ist der Klassenerhalt eine Illusion.

Achse: Bruno Labbadia suchte sie und fand sie bis zu seiner Entlassung im Januar 2021 nicht. Der Ende November von Bobic abgesetzte Pal Dardai vermisste Leader im Team, Tayfun Korkut ebenso. Diesem schief gebauten Kader mangelt es an Spielern, die den Kopf rausstrecken, wenn es windig ist - und die ihren Nebenleuten Halt geben. Korkuts teils erzwungene, teils ohne Not verordnete Personalrochaden spülten zuletzt nicht nur den bisherigen Nummer-1-Keeper Alexander Schwolow, sondern auch Kapitän Dedryck Boyata, Suat Serdar, Marco Richter und zuvor Niklas Stark aus der Stammelf. Der von Bobic im Sommer als vermeintlicher Leader verpflichtete Kevin-Prince Boateng war sportlich ohnehin nie ein Faktor.

Magath muss zügig ein Gerüst finden, mit dem er die Mission Klassenerhalt angeht.

Beständigkeit ist das große Thema

Offensive: Korkuts Auftrag, Hertha einen aktiveren, offensiveren Stil zu verpassen, warf im ersten Dienstmonat Ertrag ab - danach nicht mehr. Herthas Offensive verkümmerte zuletzt zusehends. Zu schematisch, zu wenig dynamisch, nicht variabel und kreativ genug: Das Spiel in Ballbesitz, bis zum Schluss Dardais größte Baustelle, konnte auch Korkut nicht entscheidend weiterentwickeln. Sechs Tore in neun Rückrundenspielen: Herthas Angriffsspiel braucht mehr Struktur, Mut und Zielstrebigkeit. Es könnte helfen, spielstarke Profis wie Suat Serdar und Jurgen Ekkelenkamp auf ihre stärksten Positionen zu stellen und ihnen ebenso wie dem quirligen Marco Richter mehr Spielzeit als zuletzt zu geben.

System: Korkut, der in seinen ersten Berliner Wochen konsequent auf ein 4-4-2 setzte, experimentierte zuletzt angesichts ausbleibender Siege immer mehr. Ein 4-3-3 kam öfter zum Einsatz, in Gladbach dann ein 3-5-2 - mit drei nominell eher defensiv ausgerichteten zentralen Mittelfeldspielern (Santiago Ascacibar, Lucas Tousart, Vladimir Darida) hinter der von der Versorgung weitgehend abgeschnittenen Doppelspitze Ishak Belfodil/Davie Selke.

Flexibilität schadet nicht, aber Herthas Profis wussten zuletzt kaum noch, in welche Richtung sie ihr Vorgesetzer eigentlich führen wollte. Taktisch und personell lechzt diese hochgradig verunsicherte Mannschaft nach mehr Beständigkeit.

Steffen Rohr