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Angstschweiß am Vesuv? Nüchternes Juve und die große Chance

Serie A, 18. Spieltag: Hürde Napoli vor der Brust

Angstschweiß am Schichtvulkan? Wie Juventus acht Spiele ohne Gegentor gewann

Platz 2 reicht nicht: Massimiliano "Max" Allegri will mit Juventus in dieser Saison noch an Neapel vorbei.

Platz 2 reicht nicht: Massimiliano "Max" Allegri will mit Juventus in dieser Saison noch an Neapel vorbei. IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Als Juventus in dieser Serie-A-Saison am 9. Spieltag mit 0:2 gegen den amtierenden Meister Milan verloren hatte, war die Wunschvorstellung vom ersten Meistertitel seit 2020 quasi passé. Zu überlegen wirkten zu diesem Zeitpunkt die großen Konkurrenten aus Mailand (Milan und Inter), zu spielerisch stark Klubs wie Tabellenführer Napoli mit seinem spritzigen Stil oder Verfolger Atalanta mit eifrigen Kickern. Deren moderner Fußball befand sich schlicht einige Attraktivitätsebenen über dem vom biederen Turiner Team.

Begeisternder Fußball, viel Verve - darum hatte sich der zur Saison 2021/22 zurückgekehrte Erfolgstrainer Massimiliano Allegri aber auch nicht gekümmert. Der Juventus-Meistertrainer der Jahre 2015, 2016, 2017, 2018 und 2019 (vier Doubles und zwei verlorene Champions-League-Finals inklusive) hatte in dieser schwierigen Zeit stets betont, dass er die Bianconeri erst einmal wieder nüchtern auf Kurs bringen will.

Leichter gesagt als getan, denn schon in der vergangenen Spielzeit war Turin nur mit Ach und Krach auf Platz 4 und damit in die Champions League eingelaufen - und aus dieser im Übrigen in dieser Saison auf peinliche Weise ausgeschieden. Stichwort 0:2 beim krassen Außenseiter Maccabi Haifa Anfang Oktober 2022.

Ein "Todeskampf einer Mannschaft ohne Seele"

Das Erstaunliche aber in dieser Phase war, dass die Juve-Bosse weiter an Allegri festhielten - und damit auch nicht auf den Tenor aus der italienischen Presse hörten. Hier war in dieser Phase nämlich von einem "Trümmerhaufen" (La Repubblica), einem "Todeskampf einer Mannschaft ohne Seele, Persönlichkeit und Qualität" (Corriere dello Sport) oder einer "mutlosen Mannschaft, die in einer tiefen Identitätskrise steckt" (Gazzetta dello Sport) die Rede. Und eben jener Allegri war von den Medien einhellig aus Schuldiger auserkoren.

Dabei musste schon da zu seiner Verteidigung gesagt werden: Die aktuellen Bianconeri hatten kaum mehr etwas gemein mit den Bianconeri unter Antonio Conte und dessen damaligem Nachfolger Allegri, die zwischen 2012 und 2020 mit Leadern wie Gianluigi Buffon, Giorgio Chiellini, Granden wie Andrea Pirlo oder später auch Cristiano Ronaldo (schoss 2019/20 31 Tore in 33 Serie-A-Partien) neunmal am Stück (!) den Scudetto gewonnen hatten.

Vielmehr war zwischendurch unter den Kurzzeittrainern Maurizio Sarri und Pirlo mit entwicklungsfähigen Spielern wie Federico ChiesaManuel Locatelli oder dem teuren Stürmer Dusan Vlahovic das Gesicht der Mannschaft erneuert worden. Und potenzielle Führungskräfte wie der immer noch anwesende Leonardo Bonucci waren immer wieder angeschlagen, während der von Manchester United zurückgeholte Star Paul Pogba seit seiner Ankunft im Sommer 2022 noch immer keine einzige Minute gespielt und auch die WM mit Frankreich verpasst hat.

"Allegri steht nicht zur Diskussion"

Massimiliano "Max" Allegri

Brennt für seinen Job und scheut Krisen nicht: Juventus-Trainer Massimiliano "Max" Allegri. IMAGO/Marco Canoniero

Diese Umstände gepaart mit einem zwischenzeitlich mit etlichen Stammkräften gefüllten Lazarett rechneten die damaligen Bosse wie Geschäftsführer Maurizio Arrivabene oder Präsident Andrea Agnelli stets gegen Aktionismus und eine vorschnelle Trainerentlassung - trotz kursierender Namen wie Thomas Tuchel oder Conte, der einer Rückkehr nach Turin laut Medienangaben nicht abgeneigt sei.

"Unsere Verantwortung ist es, dafür zu sorgen, dass Juventus funktioniert", hatte rund um das herbe 0:2 in der Königsklasse bei Maccabi Haifa etwa Arrivabene gegenüber DAZN gesagt. "Vorschnelle Entscheidungen durchzuführen und einen Schuldigen zu suchen, hilft unserem Verein nicht dabei, diszipliniert an den Zielen zu arbeiten. Massimiliano hat einen Plan, der über einen Zeitraum von vier Jahren entwickelt werden soll. Wir haben Probleme, die man jedoch nicht löst, indem man den Trainer alleinlässt. Jetzt den Trainer zu wechseln, wäre ein Wahnsinn. Allegri steht nicht zur Diskussion."

Ein famoser Lauf

An diese Worte hielten sich die Bosse, durchaus bemerkenswert in diesen längst schnelllebigen Fußballzeiten, wo gerade große Klubs teils eifrig Entlassungen durchführen - was selbst Juventus in jüngerer Vergangenheit immer wieder gemacht hat (zuletzt Sarri im Sommer 2020 trotz gewonnener Meisterschaft, Pirlo im Mai 2021 trotz Pokalsieg).

Und diese Maßnahme, dieses Vertrauen hat erfolgsrechnisch extrem gefruchtet. Nach einem einberufenen Straftrainingslager nach dem CL-Debakel in Israel und vor dem Turiner Derby fuhr der italienische Rekordmeister wie in alten Tagen von Erfolg zu Erfolg. Dem damaligen 1:0 bei Torino folgten bis zu diesem Tag sagenhafte sieben weitere Serie-A-Dreier am Stück - und in all diesen acht Ligaspielen kassierte die Alte Dame nicht einmal ein einziges (!) Gegentor.

Federico Chiesa

Ist eine der lange fehlenden Juve-Stammkräfte, findet sich aber immer besser rein: Federico Chiesa. IMAGO/Marco Canoniero

Sicherlich: Aus neutraler Sicht schön anzusehen waren und sind die Juve-Auftritte in diesem Zeitraum nicht, oft fielen die Siegtreffer erst spät, mit Glück oder erzwungenermaßen. Doch der Erfolg spricht für Allegris Maßnahmen und die Konzentration auf die Abwehr- und nüchterne Ergebnisarbeit. So etwas wie Begeisterung ist hinten angestellt, zumal Stars wie Pogba, Weltmeister Angel di Maria und auch Torjäger Vlahovic weiterhin ganz oder immer mal wieder fehlen. Nüchternheit vor blinder Begeisterung, so das Motto.

Allegri, der laut eigener Aussage nie an einen Rücktritt gedacht hat ("Auf keinen Fall, denn es ist eine Herausforderung - und wenn es schwieriger wird, ist es noch schöner") wurde inmitten dieser Phase und kurz vor der WM-Pause deshalb Folgendes los im Gespräch mit DAZN kurz nach dem überzeugenden 3:0 gegen Sarris Lazio Rom: "Ich möchte sagen, dass die Jungs in den letzten anderthalb Monaten einige sehr gute Dinge getan haben. Jetzt ist die Weltmeisterschaft - mal sehen, in welcher Verfassung meine Spieler zurückkommen. Dann haben wir alle drei, vier Tage ein Spiel, weil wir donnerstags in der Europa League spielen. Vor sechs Tagen hat niemand daran geglaubt, dass wir zur WM-Pause Tabellendritter werden, das ist ein Sprung nach vorne." Akkus für den Januar aufladen, so sein Wunsch.

Geht in Neapel die Juve-Angst um?

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Und während sich in den letzten Wochen und Monaten die Krise bei Juventus immer mehr weg vom Team und hin zur Geschäftsebene verschoben hatte, funktioniert das Team auch nach der langen Pause. Zwei Spiele gab es seit Neujahr - zweimal ein spätes 1:0.

Und zack, nachdem die anderen Klubs wie Meister Milan, Inter, Lazio, Atalanta oder auch die Roma immer mal wieder federn gelassen haben, haben sich die Bianconeri mit einfachen fußballerischen Mitteln, weitestgehend sicherer Abwehrarbeit und der vorhandenen Portion Glück klammheimlich auf Rang 2 vorgearbeitet. Zu einem perfekten Zeitpunkt: Denn an diesem Freitag nun (20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) gastieren die Turiner beim Rivalen vom Vesuv, beim aktuell noch souveränen Tabellenführer aus Neapel (sieben Punkte vor, erst eine Niederlage).

Nichts anderes als Napoli in seiner Heimat den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben hat das Juventus-Team dabei im Sinn. Denn sollte tatsächlich ein Dreier am Schichtvulkan gelingen, würde nicht nur der Rückstand auf dann nur noch vier Zähler dahinschmelzen. Zugleich sei laut "Tuttosport" auch denkbar, dass die aktuelle Geschäftsführung dann trotz klammer Kassen nochmals auf dem Transfermarkt aktiv werden will. Allzu breit stellt sich der Kader nämlich trotz immer besser reinfindender Rückkehr wie Chiesa nicht dar.

Allegri selbst hat allerdings betont, dass er mit dem aktuellen Kader absolut zufrieden ist - und er Wintertransfers nur goutieren würde, wenn sie die Qualität in seiner Truppe signifikant anheben würden: "Wenn es keinen Handlungsbedarf gibt, ist es sinnlos, etwas zu tun."

mag