Wintersport

Graneruds wundersame Wandlung zum Tournee-Favoriten

Ein fliegender Kita-Erzieher ist Norwegens Hoffnung

Graneruds wundersame Wandlung zum Tournee-Favoriten

Plötzlich Überflieger: Halvor Egner Granerud.

Plötzlich Überflieger: Halvor Egner Granerud. imago images

Ausdauernd an der Schaukel, flink auf dem Dreirad, geschickt mit Buddeleimer und Förmchen: Im großen Knirpse-Dreikampf ist Halvor Egner Granerud ein absolutes Ass, was Theresa Dahl bezeugen kann. "Halvor ist großartig, die Jungs und Mädchen waren richtig glücklich bei ihm", sagt die Leiterin des Trondheimer Espira-Muruvik-Kindergarten über ihren prominenten Mitarbeiter, der im Frühjahr mit der Arbeit im Hort seinen Hauptjob als Skispringer finanziert hat.

Die Engelsgeduld, die Granerud bei den Kids ausgezeichnet hat, verhalf ihm sportlich im sechsten Weltcupjahr endlich zum Durchbruch: Bei der am Montag beginnenden Vierschanzentournee ist der fliegende Kindergärtner der große Favorit. "Das ist eine ganz neue Situation für mich - die öffentliche Aufmerksamkeit wird riesig sein", sagt der 24-Jährige.

Auf einmal der Beste - "Jetzt kann ich mein Konto auffüllen"

Einen vierten Platz hatte Granerud als bestes Weltcup-Ergebnis seiner ersten fünf Winter auf dem Konto. Dann kam Corona, kamen finanzielle Zwänge, kam der Kindergarten, kam die neue Saison: Und Granerud war auf einmal der beste Skispringer der Welt, nie schlechter als Platz vier, gewann die letzten fünf Weltcups vor der Tournee.

"Meine Welt hat sich komplett auf den Kopf gestellt. Über ein Jahr habe ich überwiegend vom Ersparten gelebt - jetzt kann ich mein Konto auffüllen", sagt er. Und das nicht zu knapp. 63.000 Schweizer Franken (ca. 58.000 Euro) an Preisgeld hat er seit Saisonstart kassiert - im gesamten Vorwinter, als Graneruds Karriere auf dem Tiefpunkt anlangte, waren es ganze 800 Franken.

Den Job im Kindergarten, das bekräftigt Granerud, habe er nach der desaströsen Saison auch, aber nicht nur aus finanziellen Gründen angenommen: "Als Leistungssportler sind alle Tage irgendwie gleich. Ich wollte mal etwas anderes machen. Etwas, dass ich mir auch nach meiner Karriere vorstellen könnte."

Sein Urgroßvater erfand "Karius und Baktus"

Halvor Egner Granerud

Gewann die letzten fünf Weltcups vor der Tournee: Halvor Egner Granerud. imago images

Die Arbeit mit Kindern hat er im Familien-Blut: Sein Urgroßvater war der Kinderbuch-Autor Thorbjörn Egner, der an Heiligabend 1990 verstorbene Erfinder der Zahnputztrolle Karius und Baktus. "Seine Bücher wie 'Die Räuber von Kardemomme' und 'Klaus Klettermaus' sind nach 50 Jahren noch aktuell, das finde ich toll an ihm", sagt Granerud.

Ebenso einem Egnerischen Märchen könnte der Aufstieg des Urenkels entsprungen sein. Graneruds Explosion kam fast aus dem Nichts - eine dieser unerklärlichen Entwicklungen im Skispringen. "Er hat ein super System, ein tolle Anfahrtsposition, ist in einem wahnsinnigen Flow drin", sagt der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher: "Solche Seriensieger gibt es immer mal, aber so eine Serie endet auch mal."

Norwegen wartet seit 14 Jahren

Die Norweger wollen daran nicht glauben, der Druck auf Granerud ist immens. "Es gab nur wenige Springer, die jemals ein größerer Tournee-Favorit gewesen sind", sagt Norge-Springerchef Clas Brede Braathen. Letzter Tourneesieger der Skandinavier war Anders Jakobsen 2006/07 - länger warten unter den Topnationen nur die Deutschen (seit Sven Hannawald 2001/02).

Granerud lässt sich davon nicht verunsichern, die Espira-Muruvik-Engelsgeduld verschafft ihm über Weihnachten die nötige Ruhe. "Ich werde mich erstmals an einem Festtags-Dinner versuchen", sagt er. Was es an Heiligabend gibt? "Einen Corona-Test - und Koteletts."

sid/kon

Zehn Fakten zur Vierschanzentournee